It’s the community, stupid! Urbane Regierungstechniken der Selbstverwaltung

Die Stadt galt schon immer als bevorzugter Ort von Regierung, da sie sich im Idealfall zu einer einheitlichen sozialen und kulturellen Form verdichtet.

Apprich Clemens

 

Die Stadt galt schon immer als bevorzugter Ort von Regierung, da sie sich im Idealfall zu einer einheitlichen sozialen und kulturellen Form verdichtet (Lynch 1960, 116f.). Die Kulturstadt des 21. Jahrhunderts zeigt sich allerdings als weitgehend defragmentierter Raum, der durch eine Vielzahl lose zusammenhängender »Gemeinschaften« konstituiert ist. Damit zielen die heutigen Regierungstechnologien weniger auf »die Gesellschaft« als Ganzes ab, als vielmehr auf die einzelnen, sich selbst regulierenden Individuen und sozialen Gruppen. Das althergebrachte Prinzip einer kollektiven Verantwortung wurde dabei durch die Betonung individueller Freiheiten und Pflichten aufgebrochen. Dass dies mit dem Traum einer technologischen Befreiung einherging, soll im Folgenden anhand der »digitalen Stadt« gezeigt werden. So wurde die Kulturstadt der westlichen Netzwerkgesellschaft schon während der 1990er Jahre an die digitale Datenautobahn angeschlossen. Unter dem Eindruck weltweit vernetzter Kommunikationssysteme (insbesondere dem Internet) sollte die bloße Verbreitung von Kommunikationsmitteln (WWW, E-Mail, Online-Foren) zur Demokratisierung der Gesellschaft beitragen. Ein neues attisches Zeitalter stand demnach bevor: »Cyberdemocracy oder elektronische Demokratie heißen die neuen Schläuche, welche die passive Zuschauerdemokratie in eine aktive Mitwirkungsdemokratie verwandeln und zugleich eine globale Öffentlichkeit schaffen sollen« (Leggewie 1997, S. 5). An die Stelle der alten Solidargemeinschaft, deren innere Verbundenheit nicht zuletzt durch eine massenmediale Steuerung hergestellt wurde, sollten nun die neuen »Communities« mit ihren jeweils spezifischen Identitätsmustern treten.

Digitale Städte


Die Metapher von der Datenautobahn war nicht die erste ihrer Art. Bereits Mitte der 1980er Jahre diente dem Cleveland Freenet die Stadt als Ordnungsmuster zur Strukturierung des Datenraums. In der räumlichen Metapher der digitalen Stadt vermengten sich soziale mit technischen Utopien, welche den städtischen Raum als idealen Ort demokratischer Regierung für sich zu beanspruchen wussten (vgl. Wagner 2008). Die urbane Umgebung mit ihren verzweigten Gassen und öffentlichen Plätzen befand sich dabei in direktem Widerspruch zur (vorzugsweise männlichen) Phantasie von individueller Freiheit und uneingeschränkter Mobilität: »Die Datenautobahn, die den individuellen Benutzer privilegiert, der einen relativ homogenen Informationsraum erkundet, ist eine andere Weise der Realisierung« (Bolter 1996). Gemäß der Stadtmetapher sei der Cyberspace dagegen kollektiv, heterogen, räumlich organisiert und visuell verwirklicht. Und mehr als die schlichte Geschichte vom »Information Highway« als Antwort auf einen zunehmend dezentralisierten Raum, inszeniert sich die »Stadt am Netz« nicht nur als ideale Ordnung des Wissens, sondern bildet darüber hinaus den Ort einer idealen Gesellschaftsordnung (vgl. Rheingold 1994). Die Idee der »virtuellen Gemeinschaft« war dann auch maßgebend für die Gründung von De Digitale Stad (DDS) in Amsterdam. Sie wurde im Januar 1994 auf Betreiben des Kulturzentrums De Balie und dem HackerInnenkollektiv HackTick ins Leben gerufen, um damit eine Revitalisierung urbaner Öffentlichkeit voranzutreiben. Neben den Informationsportalen öffentlicher Institutionen und dem Angebot von Handel- und Gewerbetreibenden, stand insbesondere der Zugang zum, als auch die Repräsentation durch das Internet im Vordergrund (vgl. Lovink 1995). Mit der explosionsartigen Ausbreitung des WorldWideWeb und den neu entstandenen Internetprovidern, sah sich die DDS allerdings einem verstärkten ökonomischen Druck ausgesetzt. Seit 2001 wurde die DDS in eine kommerzielle Firma umgewandelt, deren »EinwohnerInnen« nur mehr wenig mit der ursprünglichen Gemeinschaft und ihren Belangen zu tun haben.

Die DDS galt trotz allem als Vorbild einer Vielzahl von digitalen Städten, die während der 1990er in Europa gegründet wurden. Neben Berlin, Bologna, Kiew oder London war eine solche auch für Wien geplant. Anfang 1995 trafen sich diverse Interessengruppen (u.a. Blackbox und die Gruppe engagierter Computer Experten) im Wiener Rathaus, um über die Möglichkeit von Online-Diskussionsforen, öffentlichen Terminals und akustischen Interfaces zu beraten. Wie zuvor schon in Cleveland und Amsterdam, konnte das Wiener Beispiel dabei auf ein bereits bestehendes, sich selbst verwaltendes Mailboxsystem zurückgreifen, welches 1992 im Umfeld der Sozialistischen Jugend gegründet worden war. Die Blackbox wurde sodann auch von der Stadt Wien mit der Koordination beauftragt, deren kommerzieller Spin-Off Datenwerk mit dem Betrieb von »Wien.at – Digitale Stadt«. Die Stadtmetapher fand dabei im Untergrund ihre Fortsetzung: sechs U-Bahnlinien (Politik, Kultur, Sightseeing, Freizeit, Wirtschaft/Medien, Service) sollten die UserInnen durch den Datenraum führen und mit den bereits etablierten Netzwerken sowie florierenden Aktivitäten von Public Netbase/t0 und Thing.at verbinden. Allerdings geriet das Unternehmen aufgrund der Nähe zur sozialdemokratischen Partei schon bald ins Stocken, und die meisten Initiativen sprangen vom Datenzug ab. Nachdem die digitale Stadt im Dezember 1995 unter www.wien.at schließlich doch noch an den Start gegangen war, wurde die Domaine bereits im Juli 1996 in das offizielle Informationssystem der Stadtverwaltung (bis dahin unter www.magwien.gv.at erreichbar) integriert: »Nicht mehr Cyber-Philosophen und -Metaphern waren gefragt: [...] Die Stadtverwaltung wollte sich den Wünschen nach Inhalten, Serviceleistungen und schneller Informationsbeschaffung nicht verschließen und konzentrierte sich daher wieder verstärkt auf den bereits bestehenden Auftritt von Wien Online« (Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien). Die digitale Stadt als technologische Lösung einer selbstverwalteten Community blieb damit ein Phantom, welches auch weiterhin durch die Kulturhauptstadt geistern sollte.
 

Community

 

Mit dem Ende der digitalen Stadt war auch die Vorstellung einer cyberdemokratischen Gemeinschaft vergessen. Die Hoffnungen im Übergang zum 21. Jahrhundert an die demokratischen Ideale der griechischen Stadtstaaten anzuschließen, waren dabei von Beginn an fragwürdig. So groß die Pläne und Ansprüche in Bezug auf die digitale Stadt in ganz Europa auch waren, so ernüchternd war ihr jeweiliges Scheitern. Ob aus Unbedarftheit, oder doch beabsichtigt, nutzten die Visionen einer digitalen Zukunft vor allem der Privatisierung von Öffentlichkeit. Anstelle einer tatsächlichen Öffnung des urbanen wie medialen Raums, führte die Vermarktung der »Cyberdemocracy« zu einer Zentralisierung des Mediensektors, welcher in der Agora virtueller Gemeinschaften schließlich doch nur einen global vernetzten Marktplatz sah. Der Kulturstandort Wien, wie er insbesondere im Quartier21 des Museumsquartiers (MQ) als einem eigenständigen Cluster der »Creative Industries« zum Ausdruck kommt (Mokre 2007, S. 96f.), wird damit zu einem weiteren Wirtschaftsfaktor in der internationalen Städtekonkurrenz. Digitale Kultur, Mode und Design bilden hier die Identitätsfelder der kreativen Gemeinschaften, welche unter dem Hinweis auf ihre vermeintlich »neue Selbstständigkeit« zunehmend Vorbildcharakter für die gesamte Gesellschaft bekommen. Wie bei der Online-Community erreicht Zugang allerdings nur, wer auch »partizipativ« an der jeweiligen Gemeinschaft teil hat. Damit verknüpft sich der Imperativ einer beständigen Konnektivität mit einer neuen Art des Regierens: »Diese beruht auf der Instrumentalisierung persönlicher Loyalitätsbeziehungen und der Bereitschaft, aktiv Verantwortung zu übernehmen: Regieren durch Community« (Rose 2000, S. 81). Der »Community-Diskurs« sprengt damit den alten Begriff der »Gesellschaft« auf und hinterlässt ein disparates Feld unsicherer Arbeitsverhältnisse und sozialer Prekarität. Flexibilität statt Solidarität heißt die Losung der neuen Selbstverwirklichung, der eine ganze Generation junger, kreativer und mobiler Menschen folgt. So verknüpft sich der soziale mit dem technischen Wandel, indem die bestehende Solidaritätsstruktur der Gesellschaft aufgelöst und über die dadurch aufklaffende Lücke digitale Netzwerke gespannt werden.

Die »Gouvermentalisierung der Community« zeigt sich nicht zuletzt in den populärkulturellen Bereichen der westlichen Netzwerkgesellschaft: sei es im Bereich von Werbung, Film oder Neuen Medien, sei es bei Design, Musik oder Architektur, überall wird die »kreative Klasse« als selbst bestimmte Form des UnternehmerInnentums propagiert. Nicht mehr die Massenmärkte der Industriegesellschaft werden dabei beschworen, sondern neue »Innovationsfelder« an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Kultur: »Die große Bedeutung von Kreativität und das Zusammentreffen von Marktlogik und künstlerischen Zielsetzungen bildet einerseits einen interessaten Ausgangspunkt für neue kreative Produkte und Dienstleistungen; andererseits kommen Impulse für den öffentlichen Diskurs und die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts aus dieser Konstellation« (Ratzenböck/Harauer/Falk 2004, S11). In Wien arbeiten zwischen 100.000 und 120.000 Menschen in diesen heterogenen Wirtschaftszweigen, deren privat-öffentliche Strategie eigenständige Wissensformen und Subjektivierungsweisen voraussetzen. Die daraus resultierenden, informellen Netzwerke führen zu einer weiteren Verfestigung bestehender Machtstrukturen, da vor allem diejenigen begünstigt werden, welche über die nötige Zeit und die erforderlichen Kontakte verfügen (vgl. Mayerhofer/Mokre 2006). So bastelt NetzNetz,
die selbst ernannte Wiener »Community für Netzkultur«, unter der Leitung der städtischen Kulturabteilung (MA7) seit 2005 an einem partizipativen Fördermodell, welches die gegenseitige Bewertung der AntragstellerInnen ermöglichen soll. Als Alternative zum bisherigen KuratorInnenmodell werden dabei die Machtbefugnisse und Verantwortlichkeiten auf die Community selbst übertragen, ohne jedoch eine autonome Gestaltungsmöglichkeit zu erhalten. Wie in einer Fortsetzung der Phantomgeschichte von »Wien.at« entpuppt sich die vielfach proklamierte Selbstverwaltung von Netznetz als neue Form der Selbstregulation, welche als erweitertes Regierungsinstrument vor allem der städtischen Verwaltung dient. So werden die administrativen Belastungen und organisatorischen Schwierigkeiten an die Gemeinschaft ausgelagert, die sich in diesem Prozess der Selbstregierung auch noch als solche bestätigt fühlt. In Wien gilt daher bereits, was zur allgemein gültigen Regierungstechnik der Kulturstadt im 21. Jahrhundert werden könnte: It’s the community, stupid!

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