Graz 2003 und Linz 09 oder: Die schleichende Privatisierung der Kulturpolitik

Sicherlich lässt sich Offenheit als Chance begreifen. Im Allgemeinen allerdings als eine Chance für diejenigen, die die Definitionsmacht besitzen. Und zu diesen AkteurInnen gehört – das haben Graz 2003 und auch Linz 09 wieder klar und eindrucksvoll bewiesen – mit Sicherheit nicht die jeweils regionale, womöglich auch noch politisch widerständige Kulturszene.

Mokre Monika


 

Erinnern Sie sich noch an Graz 2003? Ist lange her, ich weiß – und gar so spannend war es auch nicht. Der Uhrturmschatten war ganz lustig, auf der Murinsel gab es Konzerte, und man konnte mit einem Lift zur Marienstatue hinauffahren. Ach ja, und dann gab es auch noch ein paar Projekte heimischer KünstlerInnen, aber zu denen ist kaum jemand hingekommen, wurden ja auch im traditionellen Grazer Schmuddelviertel, im Griesviertel, gezeigt.
Und erinnern Sie sich vielleicht auch noch an die Diskussionen rund um die Organisation von Graz 2003? An die Kritik an der kommerziellen Ausrichtung, der Programmauswahl, der Knebelverträge für die Projekte? Aber das müssen Sie eigentlich auch nicht. Sie können sich genauso die Debatten rund um Linz 09 anschauen.

Hier wie dort hat die Kulturpolitik die Aufgabe, für die sie bezahlt wird, an ein privatwirtschaftliches Unternehmen, eine GmbH, abgegeben. Hier wie dort stilisiert sich ein Mann (mit kräftiger medialer Unterstützung) als Mr. Kulturhauptstadt. Hier wie dort bleibt die heimische Kulturszene größtenteils außen vor. Hier wie dort werden diejenigen KünstlerInnen, die es ins Programmbuch geschafft haben, mit Klauseln in den Finanzierungsverträgen geknebelt.

Doch fangen wir mal am Anfang an, beim Konzept der Kulturhauptstädte. Das Programm »Kulturhauptstadt der Europäischen Union« wurde im Jahr 1985 aufgrund eines Vorschlags der damaligen griechischen Kulturministerin und ehemaligen Sängerin, Melina Mercouri, ins Leben gerufen. Ziel des Programms war es, »der europäischen Öffentlichkeit besondere kulturelle Aspekte der Stadt, der Region oder des betreffenden Landes zugänglich« zu machen. Interessant daran ist insbesondere, dass diese Initiative zu einer Zeit gestartet wurde, als die EG noch keinerlei kulturelle Kompetenzen hatte (die gibt es erst seit dem Vertrag von Amsterdam 1999). Um keinen Widerstand bei den Mitgliedsstaaten hervorzurufen, beschränkten sich die Aktivitäten der Europäischen Institutionen daher auf ein Mindestmaß – nämlich die Auswahl der Städte und einen (eher geringfügigen) Beitrag zur Finanzierung. Im Unterschied zu den – viel später entstandenen – EU-Aktivitäten im Bereich »Creative Industries« wurden die Kulturhauptstädte nicht als Wirtschaftsmotor konzipiert, sondern sollten der Entwicklung EUropäischer Identität dienen, ohne die Empfindlichkeiten der Mitgliedsstaaten zu verletzen. Wie weit dies gelingt, erscheint mindestens bei den beiden österreichischen Städten fraglich. In erster Linie scheint es um Internationalisierung zu gehen – jedenfalls um Internationalisierung des Publikums, sprich: Tourismusförderung, eventuell auch um Internationalisierung der Produktion. Der Bezug zur EU wird kaum thematisiert, sodass auch die positiven Auswirkungen auf europäische Identitäten fraglich bleiben. Aber das ist ja vielleicht auch ganz gut so – was auch immer der EU fehlen mag, eine europäische Identität auf der Basis einer behaupteten gemeinsamen Kultur, die wesentlich aus teuren Kulturprodukten und -produktionen besteht, ist es wohl nicht. Jedenfalls geht es aber um ziemlich viel Geld, in Graz waren es etwas mehr als 51 Millionen, für Linz geht man von 60 Millionen aus. Der Beitrag der EU-Kommission betrug für Graz 500.000 Euro, in Linz hofft man auf 1,5 Millionen Euro. Den Rest steuern Stadt, Land und Bund zu etwa gleichen Teilen bei. Daraus folgt, dass …
 

  1. 1. die Stadt einen erheblichen Zuschuss für Aktivitäten von anderen Gebietskörperschaften erhält;
  2. 2. der generell und strukturell unterfinanzierte heimische Kunst- und Kultursektor sich zumindest für ein Jahr Hoffnung auf
        ausreichende Finanzierungen macht;
  3. 3. Steuergelder in nicht unerheblichem Maße in Kulturhauptstädte fließen.


Unterschiedliche Interessen also mit erheblichem Konfliktpotenzial. Zwischen den Gebietskörperschaften, zwischen den VerwalterInnen des Budgets und den potenziellen Projekt-betreiberInnen, zwischen den Kulturschaffenden, die sich um Gelder bemühen.
PolitikerInnen schätzen Konflikte nicht, reduzieren sie doch ihre Wiederwahlchancen. PolitikerInnen schätzen andererseits kulturelle Großereignisse, da sie attraktive Repräsentationsflächen zur Verfügung stellen und daher Wiederwahlchancen erhöhen. Die Lösung dieses Dilemmas heißt Auslagerung. In Graz wie in Linz wurde die gesamte Gestaltung des Kulturhauptstadtjahrs einer privaten Gesellschaft übertragen; diese hat alle Streitigkeiten auszufechten – die zuständigen PolitikerInnen treten dann bei Eröffnungen auf.
Dieses durchaus einleuchtende Kosten-Nutzen-Kalkül wird allerdings üblicherweise nicht als Argument für Auslagerungen ins Treffen geführt, sondern es wird auf die größere Effizienz privater Unternehmensformen verwiesen. Abgesehen von der Fragwürdigkeit der Behauptung, dass privatwirtschaftliche Unternehmen stets effizienter sind als die öffentliche Hand, kann Effizienz nur an dem Ziel gemessen werden, das erreicht werden soll. Dieses Ziel ist im privatwirtschaftlichen Bereich Gewinnmaximierung – und genau auf die Erreichung dieses Ziels hin sind GmbHs strukturiert. Bei der Organisation kultureller Aktivitäten geht es hingegen – zumindest auch – um ganz andere Ziele. Pauschal lässt sich sagen, dass sich kulturelle und kommerzielle Zielsetzungen zumeist widersprechen, was bedeutet, dass ökonomische Effizienz kulturell meist ineffizient ist. Dies ist kein abstraktes Argument gegen die Auslagerung von Kulturpolitik in GmbHs, sondern ein sehr konkretes, das sich auch konkret belegen lässt:

  • Die Verträge zwischen der Graz 2003 GmbH und den KünstlerInnen, die für die Kulturhauptstadt Projekte durchführten, waren außerordentlich problematisch und oftmals nachteilig für die KünstlerInnen. Einnahmen aus Sponsoring waren großteils an die GmbH. abzuführen; Kritik an der GmbH. oder Graz 2003 im Allgemeinen wurde mit Pönalen belegt. (Kleine Zeitung, 22.02.2002)
  • Von 2001 bis 2003 führte die Graz 2003 GmbH einen Prozess mit steirischen Kunstschaffenden um die Graz2003-Internetdomains. Diese Domains wurden von den Kunstschaffenden bereits vor Gründung der GmbH gesichert, die GmbH argumentierte aber, dass ihr die Domains qua Geschäftszweck gehörten.
  • Das Theater Phönix, die wichtigste freie Mittelbühne in Linz, hat seine Zusammenarbeit mit Linz 09 aufgekündigt, weil die GmbH, laut Aussage von Theater Phoenix, in erster Linie Zugriff auf den Theaterraum wollte, nicht aber eine Zusammenarbeit mit dem Ensemble. (http://ooe.orf.at/magazin/treffpunkt/kultur/stories/281737/)
  • Die MigrantInnen-Initiative maiz hat ihr bereits bewilligtes Projekt zurückgezogen. »Das von maiz entwickelte Projekt ›Linz in Torten‹ hatte das Ziel, neben Eigenkreationen und dem Verkauf von Linzer Torten durch Migrantinnen, einen Veranstaltungsraum und ein Café zu etablieren.« (http://www.kupf.at/node/2173) Es kam allerdings nie zu einer Vertragsunterzeichnung, hingegen wurden immer neue Forderungen, etwa nach Gewinnorientierung und Gewinnbeteiligung der GmbH, von Linz 09 gestellt.
  • Linz 09 hat aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten die Aufführung des Opernprojekts »Montezuma – fallender Adler« abgesagt, besteht aber auf die Ausschließlichkeitsrechte an Libretto und Partitur und behindert damit auch anderweitige Aufführungen des Werks massiv. (http://www.mica.at/musiknachrichten/detail_ 18284.html)


Es geht bei diesen Beispielen nicht darum, dass jede regionale Aktivität das Recht haben muss, im Rahmen eines Kulturhauptstadtprojekts repräsentiert zu werden. Es geht hier noch nicht einmal um die generellen kulturpolitischen Zielsetzungen der Kulturhauptstadt (obwohl noch einmal angemerkt werden sollte, dass es der bezahlte Job von KulturpolitikerInnen ist, solche Zielsetzungen festzulegen und sich dem politischen Streit um diese Entscheidungen zu stellen). Es geht um die Begegnung zweier unvereinbarer Logiken – und die zunehmende Hegemonie der kommerziellen über die kulturelle und kulturpolitische Logik. Und auch wenn hier argumentiert wurde, dass sich die Abgabe kulturpolitischer Agenden an private Gesellschaften aus dem Eigeninteresse von KulturpolitikerInnen erklären lässt, so sind wohl in erster Linie gesellschaftliche Rahmenbedingungen dafür verantwortlich, dass Auslagerungen seit zehn bis fünfzehn Jahren immer häufiger werden – ansonsten hätten sie wohl bereits früher stattgefunden. Doch die lange Zeit insbesondere in Österreich selbstverständliche Auffassung, dass Kulturfinanzierung Sache der öffentlichen Hand sei, kommt zunehmend unter den Druck des allgemeinen Paradigmenwechsels vom Wohlfahrtsstaat zum minimal marktkorrigierenden Staat. Dieser Paradigmenwechsel ist nicht friktionsfrei umzusetzen, gibt es doch hierzulande eine jahrhundertelange Tradition staatlicher Kulturförderung. Und daher wird er über die Nebenfahrbahn eingeführt. Z. B. über punktuelle Ereignisse, wie Kulturhauptstädte (wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass die Graz 2003 GmbH noch immer existiert, in stark reduzierter Form und mit ähnlich reduzierten Aufgaben – Verwaltung der Murinsel und Unterstützung anderer kultureller Institutionen – aber doch sehr unproblematisch reaktivierbar). Oder auch über angeblich ganz neuartige Aktivitäten, wie die finanzielle Unterstützung der Creative Industries, die angeblich keinesfalls eine Veränderung kulturpolitischer Zielsetzungen bedeutet, sondern als ausschließlich wirtschaftspolitische Maßnahme zu werten ist. Sodass sicherlich nur aufgrund eines zufälligen Zusammentreffens zeitgleich finanzielle Unterstützungen für Kulturinitiativen drastisch gekürzt wurden. Wenn Zufälle ähnlicher Art sich häufen, ist Misstrauen angesagt. Allerdings nicht zwangsläufig Misstrauen gegen individuelle oder institutionelle AkteurInnen – auch Verschwörungstheorien liefern selten adäquate historische Erklärungsmuster. Aber manche gesellschaftliche, politische und ökonomische Veränderungsmuster liegen in der Luft (bzw. manifestieren sich bereits in weitaus stabilerer Form). Auf sie wird zurückgegriffen, wenn neue Strukturen entwickelt werden. Kulturhauptstädte bieten dafür ein besonders geeignetes Terrain. Nicht wegen der – unbestritten – neoliberalen Ausrichtung der EU-Politik, diese mischt sich hier konkret nicht ein. Sondern gerade wegen der Undefiniertheit dieser Projekte, deren Zweck wie auch Gestaltung von jeher fast völlig offen sind.

Sicherlich lässt sich Offenheit als Chance begreifen. Im Allgemeinen allerdings als eine Chance für diejenigen, die die Definitionsmacht besitzen. Und zu diesen AkteurInnen gehört – das haben Graz 2003 und auch Linz 09 wieder klar und eindrucksvoll bewiesen – mit Sicherheit nicht die jeweils regionale, womöglich auch noch politisch widerständige Kulturszene.

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