Linz – von der Industriestadt zur Kulturstadt?...über die Gefahr, gerade erst erfundene Werbe-Slogans als fundierte Analyse misszuverstehen...

Brüssel hat uns erkannt und zertifiziert. Linz ist europäische Kultur(haupt)stadt! Endlich vollbracht; – endlich – nicht mehr ArbeiterInnenstadt sein müssen.

Zendron Rainer

 


Mit dem 1.1.2009 haben wir LinzerInnen es endlich geschafft! Der selbstbeschwörende Signalruf (mit verzweifelt-optimistischem Nachhall): »In Linz beginnt’s!«1 erklimmt – nach drei Generationen sozialdemokratischer Stadt-/Kulturpolitik schon etwas erschöpft – den Olymp. Brüssel hat uns erkannt2 und zertifiziert. Linz ist europäische Kultur(haupt)stadt! Endlich vollbracht; – endlich – nicht mehr ArbeiterInnenstadt sein müssen.

Zum Ende der 70er Jahre eröffneten Linzer Kulturschaffende eine Dekade aufregender Initiativen, welche Struktur und Perspektiven der heimischen Kultur zu sprengen versuchten. Das Fehlen wesentlicher Ansatzpunkte tradierter Hochkultur(einrichtungen) erwies sich als Glücksfall fürs Nachdenken über adäquate Neudefinitionen zeitgenössischer Kunstformen und ihre Formate. Linz – als europäische Kleinstadt – konnte international Relevantes kraft seiner Provinzialität radikaler konzipieren als andere österreichische Städte, die glaubten, sich mit tradiertem Bestand auseinandersetzen zu müssen. Ihre poststudentInnenbewegten Reformkräfte verbrannten ihre Energien und das frische Geld, welches die lang anhaltende wirtschaftliche Prosperität in den Kultursektor spülte, indem sie (erfolgreich) überkommene Hochkultur auf internationalen Stand zu transformieren versuchten. Das Avantgardefestival Steirische Herbst und die Manuskripte, Wien Modern und soziokulturelle Kulturzentren wie WUK oder Treibhaus, aber auch Peymanns Burg verpassten der völlig ermatteten, postautoritären Staatskunst/kultur3 objektiv bloß einen Bypass, der Österreich als automythifiziertes Kultur(tourismus)land Bestand verlieh, indem es künstlerisch-qualitativ mit europäischen Mittelstädten gleichzog, doch – anders als von PatriotInnen beschworen – in keinem Sektor der Kultur europäische Spitze zu erreichen vermochte.4

Nahezu unbeachtet gelang es in dieser Periode, in Linz zukunftsträchtige Ansätze für eine tragfähige Neupositionierung von Kunst/Kultur und Gesellschaft nicht nur zu diskutieren, sondern diese auch zu realisieren: Mit Forum Design, Andere Avantgarde, ars electronica und dem Themenkomplex »Freie Szene/Offene Räume« gelang es in Linz, frühzeitig Ereignisse von internationalem Format zu entwerfen, die in diesem Maßstab in Europa vorher nicht stattgefunden hatten und mit unterschiedlicher Prägnanz die späteren Auseinandersetzungen zu diesen Fragen weit über Österreich hinaus mitprägten – nicht zuletzt deshalb, weil sich die lancierten Felder Design, Medien/ Kunst/Gesellschaft, Gender/Feminismus und öffentlicher Raum über Jahrzehnte als zentrale Diskurse im Kunst/ Kulturdiskurs erweisen sollten.

Gleichzeitig muss in aller Deutlichkeit festgehalten werden, dass es Linz nur marginal und partiell gelungen ist, in diesen heute den westlichen Kunstdiskurs dominierenden Bereichen eine wichtige Stimme zu erheben. Teils wurden die innovativen Ansätze von der Öffentlichkeit ignoriert und von einer ahnungslosen Kulturpolitik bewusst ruiniert oder finanziell ausgehungert – wesentlicher wirkte jedoch, dass sich im entscheidenden Moment der Vorteil der kulturellen Leere ins Gegenteil verkehrte: Es fehlte oft einfach die intellektuellen/kulturwissenschaftlichen personellen wie institutionellen Ressourcen, um Zukunftsstränge nachhaltig aufzubauen und voranzutreiben.

Exemplarisch wird dies im Feld des Designs deutlich, da hier alle Gegentendenzen zusammentrafen. Die avancierte Großausstellung Forum Design traf auf eine kleinbürgerlich-verzopfte bis bieder-sozialdemokratische Bevölkerung, die von den aufklärerisch-rationalen Gestaltungs- und Kulturkonzepten der Zwischenkriegszeit völlig abgeschnitten war. Selbst führende RepräsentantInnen der Linzer Sozialdemokratie verachteten das von SPÖ und ÖGB offiziell propagierte SW-Möbeldesign5 und füllten ihre Wohnungen lieber im autoritären Heimatstil. Für eine populistische Journaille war es so ein Leichtes, die ahnungslosen PolitikerInnen gegen dieses »Geldvernichtungsprojekt« aufzubringen. Die weltweite Resonanz auf die Ausstellung konnte da keine Hilfe sein6 – denn schon 1986 galt: »Wir wählen Waldheim – jetzt erst recht!«

Mit dem Niedergang der außerparlamentarischen Jugend- und Demokratiebewegung zu Beginn der 1980er Jahre wurden – trotz der Enge der Stadt Linz mit ihrem rasch erschöpften Reservoir an Intellektuellen und KünstlerInnen – Kräfte freigesetzt, die sich vorerst mit der Provinzialität der Kunstinstitutionen beschäftigten. Gerade ein Mangel an Vertrautheit mit Ansätzen von kämpferischen Avantgarden der 1960er und 1970er Jahre (und ihren Niederlagen) ermöglichte Visionen einer gesellschaftlich fruchtbaren und emanzipatorischen Zusammenarbeit von Kunst und Politik, und damit ein Schließen der Kluft zwischen diesen Bereichen und dem alltäglichen Leben.

Auf vulgäre Weise war die intuitive Reflexion von Avantgarde im Sinne von Herbert Marcuse und Peter Bürger7 jedoch stets präsent und wirksam. Immer war den AkteurInnen deutlich, dass »die Freiheit der Kunst zwar Möglichkeitsbedingung kritischer Realitätserkenntnis [ist], gleichzeitig aber auch Garant für Funktions- und Folgenlosigkeit« 8 sei. Gleichzeitig befanden sich die AktivistInnen dieser Zeit nicht in der Situation, dass alle ihre Aktionen und Provokationen von PolitikerInnen und kleinbürgerlicher Öffentlichkeit goutiert wurden, dass diese mit gespannter Neugierde gekommen wären, »um sich das Neueste, das Verrückteste als Produkt der künstlerischen Avantgarde zu Gemüte zu führen«, wie es Martin Damus für deutsche Metropolen beschreibt.9 Doch gerade diese, der unaufgeklärten Enge der Provinz geschuldete Reibung mit der Öffentlichkeit verhinderte vorschnelle Anpassung und Anbiederung. Kritik orientierte sich nicht an isolierter Stilkritik, sondern verstand sich mehr in der Folge von Foucaults »erster Charakterisierung« als »Kunst, nicht mehr dermaßen regiert zu werden«.10 So war es auch nur folgerichtig, Kritik durch Versuche neuer Praxis im öffentlichen Raum zu erproben, anstatt theoretische Auseinandersetzung zu leisten.

Im Zuge der Legitimierung und nennenswerten Finanzierung der freien Szene durch eine neue PolitikerInnengeneration wuchs diese bis zum Ende des Jahrhunderts auf das Dreifache; verflachte Programm und Programmatik und (de)generierte zunehmend zur alternativen Breitenkulturanbieterin, die meist Schlechteres billiger anbietet, als die neu auf den Plan getretenen oder reformierten staatlichen Kultur/KunstveranstalterInnen. Die Kulturverwaltung entwickelte keinerlei Perspektiven und steuerte die Entwicklung ausschließlich mit der Gießkanne. Das Ende der 1980er Jahre für Experimente im öffentlichen Raum eingesetzte »Risikokapital« versickerte im vielfältigen, beliebigen Aktivismus unterschiedlichster VeranstalterInnen.

Deutlich anders verlief die Auseinandersetzung im Feld der digitalen Medien. Die ars electronica behauptet bis heute ihren Platz im internationalen kulturellen Feld und konnte – trotz des obsessiven Hangs der lokalen PolitikerInnen zum tradierten Mainstream bildungsbürgerlicher Kleinstadtkulturen – im Zuge des experimentierfeindlichen Kulturstätten-Baubooms anlässlich der Kulturhauptstadt sogar einen Finanzierungsschub durchsetzen; – doch, wie könnte es anders sein, nicht für dringend nötige Budgets für Forschung/Entwicklung/Diskurs/ Realisierung, sondern für Beton und südseitiges Glas, was jedenfalls großartige Betriebskostensteigerungen sicher zu stellen half.

Das Kulturhauptstadtprogramm wird gewiss Aufregendes und Spannendes für uns LinzerInnen bereithalten; wie könnte es anders sein? Denn auch das Feuer – genährt von einer Million Pfund – von Bill Drummond/Jimmy Cauty11 wärmte die ZuschauerInnen. Doch der Katzenjammer folgt 2010: Das neue Opernhaus und der neue Südflügel des Schlosses wie das neue Kunstmuseum Lentos und das neue AEC, sie alle fordern beständig Zusatzgeld für Personal, Heizung und Kühlung, und gelegentlich sollten diese Grabstätten der Kunst auch später noch mal bespielt werden. Bedeutende Steigerungsraten im Kulturbudget werden nötig sein, nur um die Einrichtungen weiter zu erhalten. Im Zuge der Programmierung der Kulturhauptstadt wurden die alten kulturpolitischen Baustellen konsequent ignoriert, denn der Intendant muss sein Programm autonom erfüllen dürfen. Hatte der Kulturentwicklungsplan noch festgelegt – Linz setzt Schwerpunkte: Freie Szene/Offene Räume, digitale Medien sowie Parität der Geschlechter. Das Programm 2009 bringt Anderes, Neues: etwa Theater, Neue Musik und Tanz ... sicherlich auf hohem Niveau. Und es wird vorübergehen und Altes und Hinzugefügtes zurücklassen – ohne Struktur und Absicherung!

Der Zukunftsworkshop des Magistrats »Linz 21« hat vor fünf Jahren mögliche, divergierende, kulturelle Varianten fürs kommende Jahrzehnt vorgestellt; Linz hat seine Wahl getroffen. Das Szenario »Give the People what they want« hat einen Etappensieg über den »Mut zur Lücke« errungen.

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