Der Musik wird, schneller als irgendeiner anderen Kunstform, nachgesagt, dass sie nur das Unbewusste der Technologie und der vorherrschenden Produktionsmittel verkörpere – und dabei vor allem ihre Krise, den Wechsel von einem Paradigma zum nächsten. Während der Futurismus das Zeitalter der Maschinen für die Massen willkommen hieß, zollten Punk und Post-Industrial Musik auf der anderen Seite dem Zerfall des Fordismus ihren Tribut und kolonisierten die Relikte suburbaner Fabriken.
Throbbing Gristle, die experimentellste aller Punkbands, artikulierte trotz ihres industriellen Fetischs schon 1976 den Drang hin zum »Informationskrieg«.1 Ein paar Jahre später erschien Technomusik in Detroit: der Originalklang der Motorstadt beinhaltete die synthetische Vorahnung der kommenden digitalen Maschinen. Juan Atkins wurde beim Terminus »Techno« von Alvin Tofflers Buch »Die Dritte Welle« inspiriert, in dem die ersten »Technorebellen« als die Pioniere des Informationszeitalters2 beschrieben wurden. Der Detroiter Techno war die Rhythmussektion des Fordismus, angeregt durch die tonalen Strukturen der ersten Mikrochips. Als danach der digitale Code zum hegemonialen Paradigma der Information wurde, wurde auch die Musik des Underground noch modularer, kognitiver und minimaler (indem sie von TR-909 drum machines zu Max/MSP Software wechselte, um es in einer technischen Formel vereinfacht auszudrücken).
Nach diversen Evolutionen hat die Parabel des Detroiter Techno heute ihren Weg in die Berliner Clubs gefunden, im Mainstream und mikrohedonistischen Genre des »Minimaltechno«. Diese abstrakte Genealogie von Musik, welche die vorhersehbaren Theorien von Remixkultur auslässt, muss eine einfache Frage stellen: Wo ist der Underground heute? Die Horizontalität von Netzwerken und digitaler Kreativität scheint Hierarchien und Autorenschaft ausradiert zu haben, aber auch die alte beruhigende Vorstellung des Undergrounds. Wenn der Underground genau eine parasitische Lebensform in den Spalten der dominanten Produktionsarten und ihrer urbanen Infrastrukturen war, wo können wir seine neuen Inkarnationen mit Bezug auf die zeitgenössische Metropolis finden? Wenn die Fabriken informationell wurden, wie es sogar die Punks vorher sahen, welche Relikte wird dann der Kunstunderground in der Zukunft kolonisieren? Welche Ruinen und materiellen Erinnerungen wird die digitale Matrix zurücklassen?
Die Vorstellung des Undergrounds gehört offensichtlich in das Zeitalter des Industrialismus, als die Gesellschaft eine klare Klassentrennung hatte und noch nicht in eine Vielzahl von prekarisierten Arbeitern und Selbständigen atomisiert war.3 Jahrzehntelang formte die Innervierung des Industrieapparats die maschinische Vorstellungswelt der Subkulturen und bot die Möglichkeit zur Kolonisierung vieler urbaner Brüche. Wenn die Underground-Kultur ein Nebenprodukt des Fordismus war, wo können wir dann eine Dimension des Underground im Zeitalter der Netzwerkgesellschaft finden, der wohl erzogenen ›creative‹ commons und der free culture der Konzerne? Wo ist die underground resistance, der Widerstand des Undergrounds, in der Zeit des Finanzkapitalismus und der unberechenbaren Börsenmärkte?4
Sowohl die Gentrifizierung wie auch aggressive Formen der Finanzwirtschaft sind Beispiele neuer Techniken der Wertsteigerung, die auf spekulativen Mieterträgen basieren, die von Kulturaktivismus und Kunstwelt erst verstanden werden müssen. Heutzutage betrifft die weltweite Kreditkrise vor allem diese neuen Geschäftsmodelle und hat viele politische und kulturelle Koordinaten sehr plötzlich verändert. Gentrifizierung, wie sie in Berlin und anderen »kreativen« Städten Europas erlebt wurde, könnte durchaus ihrem Doppelgänger begegnen. Der amerikanische Albtraum von heute ist paradoxerweise das 1$ Haus.
»Detroitifikation« ist der Neologismus, der diesen vertikalen Kollaps des industriellen Sektors, des Immobilienmarkts und des sozialen Gefüges der US-Städte beschreibt. Noch bevor Prozesse der Wissensökonomie und der Gentrifizierung voll verstanden wurden, befand sich die kulturelle Produktion schon im neuen Szenario der Finanz- und Kreditkrise. Wenn in einer Stadt wie Berlin die »Kulturfabrik« eine Schlüsselkomponente der Wertproduktion geworden ist (und zwar für Immobilienspekulation und Stadtmarketing), was ist dann das Schicksal der kulturellen Produktion in der gegenwärtigen globalen Krise?
In Berlin ist die Kolonisierung der Relikte des Fordismus noch immer eine faszinierende und komplexe Geschichte: nicht nur die Überreste früherer totalitärer Regime, sondern auch die schizophrene Stratifizierung gescheiterter urbaner Pläne formen die Geologie und den Humus der Kulturwelt.5 Heutzutage inkludiert diese Stratifizierung eine dicke, immaterielle Schicht kulturellen Kapitals, die als Katalysator für den »Creative City«-Hype und bekannter Prozesse der Gentrifizierung wirkt. Es gibt daher eine immaterielle Architektur, die es noch zu entdecken gilt, oder genauer: eine Wirtschaft des Immateriellen, die sich unbewusst aus der Kunstwelt und durch Undergroundsubkulturen speist. Dieses Thema ist wiederum mit der Frage verknüpft: Welche Art von Undergroundkultur ist möglich in einer Zeit der Ökonomie des Spektakels?
Die Hypothese des vorliegenden Texts ist, dass die gegenwärtige Form des »Undergrounds« entlang der neuen Kette der Wertbildung gefunden werden muss – entlang der neuen Ruinen der Finanzkrise. Zynisch gesagt, betrifft diese Frage der Neutralisierung des Undergrounds auch Agenden der Geschäfts- und Stadtpolitik. Was ist die Zukunft der Gentrifizierung, wenn es keine Subkulturen mehr gibt, die einen »Mehrwert« produzieren und ihn durch die Stadt zirkulieren lassen?
Die Literatur, die »creative cities« propagiert (wie das Werk von Richard Florida), ist ebenso umfangreich wie jene, die deren versteckte neoliberale Agenda und Sozialkosten anprangert. Mein Text nähert sich dem ideologischen Konstrukt der »creative city« von einem anderen Standpunkt an, um ein »reverse engineering« ihres ökonomischen Mechanismus zu versuchen. Normalerweise verwenden sowohl liberale Anhänger wie auch radikale Kritiker der »kreativen Ökonomie« ein symmetrisches Paradigma, in dem die materiellen und die immateriellen Domänen in ihrer Autonomie und Hegemonie gegeneinander verteidigt werden.
Dementsprechend wird die Metropole entlang des urbanen Gefüges oder des symbolischen Kapitals beschrieben, entlang der guten alten materiellen Ökonomie oder der angeblich tugendhaften Ökonomie der Kreativität. Im Gegensatz dazu versucht dieser Text, die Konflikte, Spannungen und Wertasymmetrien, die entlang der materiellen und immateriellen Domain vorkommen, zu unterstreichen, die durch die Kulturproduktion ausgelöste materielle Wertschöpfung zu beleuchten und die Autonomie der sozialen Kulturfabrik gegen die Silhouette der »creative« cities abzugrenzen. Hoffentlich kann auf diese Weise der unsichtbare Motor der Kulturstadt wieder konstruiert und vielleicht umgekehrt werden.
Konzeptuell fokussiert dieser Text auf drei Vorstellungen. Erstens auf dem Konzept der Kulturfabrik, d.h. der sozialen Produktion von Kultur versus der etablierten Kreativwirtschaft und den institutionalisierten Politiken der »Creative Cities«. Zweitens, auf den tiefgreifenden Asymmetrien der cultural commons und der Wertschöpfung zwischen den zwei Schichten der symbolischen Produktion und materiellen Ökonomie, so wie es am Beispiel der Gentrifizierung abzulesen ist. Solche gegensätzlichen Wertkonkretisierungen können als die Ruinen der Creative City angesehen werden. Schließlich wird die Vorstellung der kreativen Sabotage der creative rent, der auf symbolischer Wertsteigerung basierenden spekulativen Miete, als eine politische Antwort auf Gentrifizierung und der Verwertung des kulturellen Kapitals einbezogen. Als ein Weg, die Ruinen der Finanzkrise zu kolonisieren und eine stärkere Definition der Autonomie der Commons voranzutreiben.
Das Konzept der Kulturfabrik ist Vorstellungen über Kulturindustrie, Kreativindustrie oder »creative cities« entgegengesetzt. Die zeitgenössische Kulturproduktion ist viel komplexer, maschinischer, sozialer und gegensätzlicher als es modische und institutionelle Modelle der Kreativität bewerben. Innerhalb dessen, was Mario Tronti als »social factory« beschreibt, nimmt das Modell der Kulturfabrik eine produktive Schlüsselrolle für die kulturelle Welt ein.6
Es gibt viele soziale Fabriken immaterieller Arbeit in der Wirtschaft von heute: Bildung, Kunst, digitale Netzwerke und so weiter. Indem man Kultur als Fabrik unterstreicht, zeigt man auch die maschinische Komplexität der Wirtschaft auf und attackiert die vorherrschende Leseweise der Commons als jungfräuliches Territorium jedweder kapitalistischen Ausbeutung. Im Gegensatz zur Interpretation von Aposteln der free culture wie Lawrence Lessig und Yochai Benkler sind die Commons der Kultur kein unabhängiger Bereich reiner Freiheit, Kooperation und Autonomie, sondern fallen unaufhörlich in das Kraftfeld des Kapitalismus.7
Nach Jahrzehnten paralleler Entwicklungen haben sich zwei Schichten der jüngsten Vergangenheit in einem einzigartigen Dispositiv vereinigt: die urbane Revolution (wie Lefebvre die Stadt in den 1960ern beschrieb, ein Motor der autonomen Produktion und der Kapitalakkumulation)8 und die Kulturindustrie (wie die Frankfurter Schule feierlich die Verwandlung der Kultur in Geschäft und »Täuschung« einleitete). Der Name dieser neugeborenen Chimäre ist »creative cities« – eine asymmetrische Chimäre, da die Maske der Kultur oft verwendet wird, um die Hydra aus Beton und Immobilienspekulation zu bedecken. Die Chimäre der Kulturstädte ist eine komplexe Maschine, die nicht länger im Gegensatz zwischen Hochkultur und Kultur der Straße eine Grundlage hat, die zentral für den Kanon der Kulturindustrie der Frankfurter Schule war. Eigentlich ist Kulturproduktion heute eine biopolitische Maschine, in der alle Aspekte des Lebens integriert und ausgenutzt werden, wo neue Lifestyles zur Handelsware werden, wo Kultur als ökonomischer Flow wie jeder andere angesehen wird und wo besonders die kollektive Produktion des Imaginären schnell gekidnappt wird, um die Profite des Corporate Business zu steigern.9 Eine solche biopolitische Produktion bildet den Kern der Kulturfabrik.
Wie sich vielfach zeigt, ist die Miete das hegemoniale Geschäftsmodell der Kulturökonomie. »Miete ist der neue Profit«, wie es Carlo Vercellone ausdrückte.10 Miete ist der Motor der Wertschöpfung hinter der Gentrifizierung, da sie die gemeinsame Ressource des Bodens oder des kulturellen Kapitals ausbeutet, ohne selbst besonders produktiv zu sein. Formen der Miete sind auch Monopole über Softwarepatente, Kommunikationsprotokolle oder Netzwerkinfrastrukturen (Microsoft, Google, Facebook, um nur einige grundlegende Beispiele aus der digitalen Welt zu nennen). Wenn Profit und Lohn die Vektoren der kapitalistischen Akkumulation im Industrialismus sind, dann sind Monopole und Ausbeutung der kulturellen Commons die Geschäftsmodelle, die für die auf Wissen gegründete Wirtschaft – oder den kognitiven Kapitalismus – kennzeichnend sind. Hinter den neuen Formen der Gentrifizierung gibt es eine signifikante Verbindung zwischen Immobilienspekulation und Kulturproduktion.
Neil Smith war der erste, der Gentrifizierung in seinem bahnbrechenden Buch »The New Urban Frontier« als die neue Bruchlinie zwischen sozialen Klassen vorstellte.11 In seinem Modell wird die Gentrifizierung New Yorks durch die Vorstellung des rent gap beschrieben: die Zirkulation einer Differenz von Grundstückspreisen quer durch die Stadt löst die Gentrifizierung aus, wenn solch eine Wertlücke in einer bestimmten Gegend profitabel genug ist. David Harvey erweiterte die Theorie der Miete dahingehend, dass er die kollektive Produktion von Kultur als Terrain inkludierte, das der Markt ausbeutet, um neue »Distinktionsmerkmale« zu finden. In seinem Text »The Art of Rent«, der die Gentrifizierung in Barcelona beschreibt, präsentiert er auch die Vorstellung des kollektiven symbolischen Kapitals: Das Immobiliengeschäft nutzt das alte und neue kulturelle Kapital, das sich graduierlich in einer bestimmten Stadt angehäuft hat, so wie Formen der Sozialität, Lebensqualität, Kunst oder gastronomische Traditionen.12
Harveys Text ist einer der wenigen, die politische Asymmetrien der vielgelobten cultural commons hervorheben. Harvey verbindet die immaterielle Produktion mit der Akkumulation sehr realen Geldes nicht durch das Regime des geistigen Eigentums, sondern indem er die parasitäre Ausbeutung der immateriellen Domäne durch die materielle verfolgt. Das kollektive symbolische Kapital ist ein anderer Name für die kapitalistische Ausbeutung der Commons – eine Form der Ausbeutung, die keine gewaltsamen Einzäunungen braucht (eine Form dieses »Kapitalismus ohne Privatbesitz«, die viele Aktivisten der free culture nicht anerkennen.)
Die Vorstellung eines kollektiven symbolischen Kapitals enthüllt die enge Verbindung zwischen kultureller Produktion und der Immobilienwirtschaft. Das kollektive symbolische Kapital wird auf verschiedene Art und Weise hergestellt. Traditionell betrachtet, ist es das historische und soziale Gedächtnis eines bestimmten Lokalität (im Falle Barcelonas dokumentiert durch Harvey). Auf modernem Wege kann es produziert werden, indem es urbane Subkulturen und die Kunstwelt instrumentalisiert (mit ihrer Beschreibung des Aufstiegs der Loft-Kultur im New York der 80er definierte Sharon Zukin13 einen spezifisch künstlerischen Produktionsmodus, der danach trachtete, Bezirke für das Immobiliengeschäft attraktiver zu machen). Auf einem mehr künstlichen Wege kann es hingegen durch PR-Kampagnen der Stadträte produziert werden, die – in Anlehnung an die Strategien Richard Floridas – danach streben, dem Klub der creative cities beizutreten.
Trotz ihrer verschiedenen urbanen Ausdehnungen teilen Berlin und Barcelona ein ähnliches Schicksal. Der alte Underground Berlins förderte die Gentrifizierung – ganz so wie in Barcelona. Auf diesem kulturellen Milieu aufbauend, forcierte später eine Strategie zweiter Ordnung großangelegte Stadtentwicklungspläne – in Zusammenhang mit den Medienindustrien und als neue künstliche Modi der Akkumulation symbolischen Kapitals verstanden werden konnten.
In Barcelona wurde der Stadtplan 22@ so konzipiert, dass er den früheren industriell geprägten Bezirk Poble Nou unter dem modernen Konzept der »Wissensstadt« wieder auferstehen lassen wollte.14 In gleicher Weise versucht das Projekt »Media Spree« in Berlin, ein großes Areal an der Spree in einen neuen Anziehungspunkt für Medienindustrien umzuwandeln. Das Gebiet ist bekannt für seine Underground-Musikszene, und es gibt einen auffallenden Widerspruch der mehr enthüllt als hunderte Analysen: um dieses Areal zu bewerben, müssen die Magazine der Investmentgesellschaften die Bildsprache der gleichen Clubs verwenden, die sie mit Räumung bedroht hatten.15
Auch die Berliner Biennale zeigte sich interessiert am städtischen Schlachtfeld: die Veranstaltung wählte 2008 das Projekt Skulpturenpark Berlin_Zentrum als einen ihrer Hauptstandorte. Der »Skulpturenpark« ist eine »urbane Leerstelle«, die sich im Besitz verschiedener privater Firmen und Individuen befindet. Früher noch Teil des »Mauerstreifens«, der militarisierten Zone innerhalb der Berliner Mauer, ist sie heute von Unkraut überwuchert. Dort wurde nicht nur öffentliche Kunst für die Biennale gezeigt, sondern auch die kontroversielle Rolle von Künstlern im Bezug auf den urbanen Raum in Frage gestellt. Die Festnahme Andrej Holms im Juli 2007 für seine Recherche über Gentrifizierung fand in diesem breiteren Kontext statt – eine Festnahme, die einer breiten Öffentlichkeit das Ausmaß der wirtschaftlichen Interessen und die Aufmerksamkeit der Polizei rund um das G-Wort klar machte. Bedenkt man, dass sogar Walter Benjamin sich darüber beschwerte, dass die Bars der Bohemiens von der neuen zügellosen Mittelklasse überfallen wurden (in den 1930ern!), dann könnte allein in Berlin ein Jahrhunderte währender Konflikt als kontinentales Fallbeispiel zurückverfolgt werden.16
Der »künstlerische Modus der Produktion« ist mittlerweile zu einer erweiterten immateriellen Fabrik geworden. In Berlin und ganz Europa werden wir Zeugen der Kondensation einer merkwürdigen Form des kulturellen Kapitals als der führenden Macht hinter dem Immobilienmarkt und der creative cities-Strategie von Stadträten, die sowohl Investitionen wie auch hochspezialisierte Arbeiter anziehen wollen. In weiterer Folge hat das Immobiliengeschäft eine perverse Maschinerie in Allianz mit der Kunstwelt und den kulturellen Produzenten entwickelt. Wenn auch seit Jahrzehnten die Gegenkultur das Spektakel und Kulturindustrien mit frischen Ideen gefüttert hat, so muss sich nun zum ersten Mal die gegenwärtige Generation der urbanen Subkulturen den unmittelbaren konkreten Nebenprodukten ihrer symbolischen Arbeit stellen.
Die extremste Form der Inkarnation des künstlerischen Produktionsmodus ist die Figur des Damien Hirst, dessen Kunst eine rein finanzielle Inszenierung geworden ist. Als ehemaliger Student der Goldsmiths University of London ist Hirst zur ironischen Verkörperung des Karmas der Universität geworden, die als Erbin einer mittelalterlichen Gilde von Goldschmieden und Juwelieren entstand: sein neuestes Kunstwerk ist eine moderne Version des Goldenen Kalbs, die bei Sotheby’s um 10 Millionen Pfund verkauft worden ist. Dieses Werk wird nur aus einem einzigen Grund als Meilenstein in die Annalen eingehen: es ist das erste Mal, dass ein Kunstwerk den Weg auf den offenen Markt ohne die gängigen Zwischenstationen der Galerien und Kunsthändler gefunden hat. Tatsächlich hat Hirst auf den »Ruinen« der Finanzmanie gebaut. Doch ist diese zynische Überidentifikation mit dem Kapitalismus das einzige Schicksal, das dem Underground noch bleibt? Vielleicht ist es an der Zeit, sich auch die postfinanziellen Ruinen vorzustellen, auf denen man aufbauen wird – auf gleiche Weise wie der Underground auch die post-industriellen Relikte kolonisierte.
Auf der anderen Seite kommen viele Vorschläge des politisch korrekten Aktivismus, die keine besonders effektiven Lösungen vorschlagen. Der Ruf »Seid unkreativ!« des Kollektivs BAVO repräsentiert die typisch postmoderne Sackgasse, in der von jeder Handlung des Widerstands angenommen wird, dass sie fatalistisch den dominanten Code bestärkt.17 Die Paranoia über ein Reich der Kreativwirtschaft, dem es möglich ist, jedwede widerständige Kulturproduktion zu vereinnahmen, wird vielleicht in einer Selbstkastration unserer Lebensenergie resultieren.
In gleicher Weise ist auch die Idee der nachhaltigen Gentrifizierung, bei der Künstler über ihre Produktion symbolischen Kapitals und die Steigerung der Mieterlöse besorgt sein sollten, schlichtweg naiv. Zu den Widersprüchen des kognitiven Kapitalismus zählt, dass es – sobald symbolisches Kapital und Wert angehäuft sind – ziemlich schwierig ist, sie wieder zu deakkumulieren. All diesen Modellen fehlt ein richtiges Verständnis des kognitiven Kapitalismus: es ist nicht möglich, einer vernünftigen politischen Antwort näher zu rücken, ohne die Akkumulierung von Überschüssen und Grundstücksmieten anzusprechen. Kürzlich hat Antonio Negri die Formen des »Soft-Aktivismus« in der Metropole kritisiert, oder diejenigen, die daran glauben, dass der »politische Vektor« der Falle eines »biopolitischen Diagramms« entkommen könne, die das gesamte Leben der Stadt und die Wirkungsmächtigkeit der Kulturproduktion umfasst.18 Negri unterstreicht die Tatsache, dass die politische Geste die biopolitische Produktion beeinflussen müsse, oder ansonsten eine ephemere Geste bliebe. Das heißt, dass im Falle der kulturellen und urbanen Gentrifizierung die einzig übrig gebliebene Hypothese die der Sabotage der spekulativen Miete ist.
Da die für Börsenmärkte charakteristische »kreative Zerstörung« von Wert das politische Befinden der letzten Zeit geworden ist, brauchen wir eine Neudefinition der kulturellen Commons. Eine rein imaginäre Fabrikation von Wert ist eine Schlüsselkomponente sowohl des Finanzspiels als auch der Gentrifizierungsprozesse. Was würde wohl geschehen, wenn die urbanen Multitudes und die Kunstwelt in dieses Wertschöpfungsspiel einsteigen und eine gemeinsame Macht über die Kette der Wertproduktion wiedererlangen, die dieser Tage ihre inhärente Fragilität enthüllt? Die neuen Koordinaten des Undergrounds im Zeitalter des kognitiven und finanziellen Kapitalismus können entlang dieser unfühlbaren Vektoren des Werts verlaufen, entlang dieser unsichtbaren »Ruinen« der creative city, so wie früher einmal der Musikunderground die industriellen Relikte oder die unsichtbare Architektur der ersten Mikroprozessoren kolonisierte. Der Punk Underground wuchs aus den Ruinen der vorstädtischen Fabriken und nun erleben wir eine so genannte Kreativindustrie, die sich selbst parasitär vom Underground ernährt: es ist Zeit, sich die Kulturfabrik so vorzustellen, wie sie sich innerhalb der Ruinen organisiert, die die creative cities hinter sich zu lassen bereit sind.