Oder: was das ist eigentlich, eine kritische Institution im Kulturbetrieb? (1)
Schlagworte machen sich verdächtig nicht bloß durch ihre Funktion, den Gedanken zur Spielmarke zu degradieren; sie sind der Index ihrer eigenen Unwahrheit.
(Theodor W. Adorno in: Eingriffe. Neue kritische Modelle. Frankfurt am Main 1963, S. 59-68)
Wir leben, wie immer – und alle vor uns – in schwierigen Zeiten, und Dinge, die uns gerade noch sicher erschienen, verschwinden vor unseren Augen. Die Geschwindigkeit, mit der sich gerade erst formulierte Positionen in ihr Gegenteil verwerfen, wirkt oft mitunter fast so, als seien die neuen Paradigma in einem Putsch an die Macht gekommen. Gerade im Kunstbetrieb. Das mag damit zusammen hängen, dass in diesem, wie übrigens in anderen auch, die mit Moden, Stilen und Lebensweisen zu tun haben, bis heute eine Dezennienlogik von Epochengeschichte gängig ist, welche die Produktionsgeschichte von ästhetischen Ideen mit dem Beginn ihrer Durchsetzung im Mainstream des Denkens von nachmaligen Eliten gleichsetzt. Meist ist so ein schlagwortartiger rascher Wandel jedoch mehr der generationenwechselnden Distinktionssucht geschuldet und die Latenz, mit der sich der Betrieb in seinen Strukturen, oder besser Infrastrukturen, weiter bewegt, die Kontinuität, die durch das Personal, das in ihm arbeitet, gewährleistet ist, lässt ihn im Rückblick doch moderat und eher als behäbige Entwicklung denn als radikale Neuordnung erscheinen.
Manchmal jedoch ereignet es sich, dass die Umstellung der Paradigmen grundsätzlich erfolgt, und dass die neuen Kader sie bis in die Strukturen und Personalien hinein mit einer eifrigen und rigorosen Konsequenz durchsetzen. Anders als im Raum des Politischen geschieht das im Kulturbetrieb meist unbemerkt von der größeren Öffentlichkeit, der die Kritik am Geschehen zuweilen wie ein kleinlich-geifernder Verteilungskampf erscheint. Selten ist sie interessiert an der zwar von Ungewissheiten und Marginalisierungen, jedoch von künstlerischer Aufbruchsstimmung gezeichneten, rauen Zeit, in der sich dieses kulturelle Paradigma zu formulieren beginnt. So eine radikale Veränderung kann nur dann beginnen, wenn der normale Gang der Dinge leicht gestört ist. Anfang der Neunziger Jahre war das zum Beispiel der Fall. Da wir bis heute, zumindest im europäischen Kunstbetrieb, die Konsequenzen so einer Störung mittragen, und diese Konsequenzen von einem viel größeren Bruchschlagwort verdeckt sind, dem der Globalisierung nämlich, lohnt es sich vielleicht, will man die gegenwärtige nahezu freiwillig erscheinende Kapitulationserklärung des Politischen vor dem Ökonomischen, deren doppelte Wurzeln in diese Zeit reichen, anders verstehen als in den wie ein Programm vorgebrachten und dennoch staunend hilflosen Statements, mit denen zum Beispiel die Kulturpolitik ihre Konsequenzen aus diesem Wandel argumentiert und zu legitimieren sucht. Wie konnte es dazu kommen, dass in einem nahezu freiwilligen Tuschakt ökonomisches und politisches Handeln im Bezug auf die Kultur parallelisiert, beziehungsweise gleichgesetzt wurden? Natürlich, Globalisierungskritik, die KritikerInnen des Neoliberalismus, Gouvernementalitätsstudien und linke KulturökonomInnen haben diese Erzählung vom Putsch schon durchaus luzide geschrieben. Gerade in manchen dieser Erzählungen aber, dann wenn sie auch über die eigene Position von Intellektuellen und KulturarbeiterInnen in diesem Wechselwetter reflektiert haben, werden auch die ganze Ambivalenz und die Doppelrolle deutlich, die den KritikerInnen selber zukommt. Den marktökonomischen Maximierungsanstrengungen werden dort die eigenen Koordinierungsprobleme als Konsequenz gegenübergestellt. Dabei haben sie, wie mir scheint, beide dieselben Wurzeln. Doch davon zu reden hieße, eine andere Geschichte erzählen zu müssen. Jedenfalls stimmen viele der oben genannten KritikerInnen darin überein, dass es die Perfidie neuer sublimer Herrschaftsformen in der alten westlichen Welt und ihren ausdifferenzierten Teilgesellschaften, wie dem Kulturbetrieb, sei, auf eine moderne, "flüssige" Machttechnologie zu setzen, in der die Vergesellschaftung der Individuen gerade vermittels ihrer Subjektivierungsweisen vollzogen wird. Eine zentrale Rolle spiele dabei die willentliche Selbsttätigkeit der Menschen, sich dem Gesetz ethisch verpflichtet zu fühlen und die Normen auf sich selbst zu beziehen. Demgegenüber gehe es darum, neue Formen von Subjektivität hervorzubringen, indem man die Art von Individualität zurükkweist, die den Subjekten seit Jahrhunderten auferlegt wird – sprich die Unterwerfung unter eine Moral, die nach der Logik des Opfers oder des Verzichts funktioniert. (2)
Doch noch einmal zurück: In den Neunziger Jahren war es im Kunstbetrieb Westeuropas recht modisch gewesen zu sagen, die kulturelle Welt sei eine politische. Gesagt wurde das ganz generell und wohl auch vor dem Hintergrund der neuen sich abzeichnenden politischen wie kulturellen Geographien nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Imperiums und vor dem Wachwerden eines anderen Produktionsmodus am Proszenium des aus Installation, Malerei und Objekt sowie bestenfalls Videoinstallation bestehenden Genretheaters der Kunst der achtziger Jahre – dem Wachwerden dessen, was später Neue Medien hieß. Solche Gefügeverschiebungen, wie sie sich damals abzeichneten und wie sie ja dann tatsächlich von etwa 1987 an über die folgenden Jahre in den Kunstbetrieb eingeschrieben wurden, werden im intellektuellen und im künstlerischen Leben oft von Latenzen begleitet. Vor allem wenn sich eine materielle Basis für den Diskurs von einer von der anderen abgelöst sieht, beziehungsweise sich wie Ende der achtziger Jahre in einer Krise befindet. Damals ereignete sich ein solcher Sprung, der auf Latenzen fiel. Noch ist diese Zeit nahe genug, um diesen Sprung und die Latenzen in ihm nachzuzeichnen und auf die Differenz zwischen einer kulturellen Produktion hinzuweisen, in der die ProduzentInnen sich beobachten und auf ihre Standards und Erfolgsbewertungen acht geben, zu jener, die sich auf die der Publika, also auf etwas schon immer anderswo Interpretiertes und Repräsentiertes berufen muss.
Auch wenn es von heute aus so scheinen mag, als gäbe es keine therapeutische Möglichkeit mehr, die Verdrängungsgeschichten der frühen Neunziger aufzuarbeiten, kann man auf einige Motive, die in dieser Verdrängungsarbeit am Werk waren, hinweisen. Zum Beispiel auf die Bruchstelle zwischen: auf der einen Seite der Kultur als der Auseinandersetzung mit der Kontrolle über die Machtapparate des kulturellen Feldes, und auf der anderen Seite der distinkten Zahl jener Strategien und Artefakte einer wesentlich als neu verstandenen Kunst, die von jenen produziert und praktiziert wurde, die um andere Netzwerke kämpften, Netzwerke, welche ihre eigenen Techniken und Tropen, Formen und Argumente hatten.
Einer der Hauptwidersprüche der ersten Hälfte der Neunziger Jahre war: Der Konflikt zwischen dem Anspruch auf Kritik und dem Bewusstsein der spezialisierten Aufgabe und Rolle der einzelnen KünstlerInnen innerhalb des Gefüges des Betriebes, das die Kritik adressierte, war in Bezug auf den Status von AutorInnenschaft und Autonomie nicht ausreichend reflektiert. Wenn viele im Kunstbetrieb heute – und eben ganz anders als Anfang der Neunziger Jahre – solche Schwierigkeiten damit haben, sich Kategorien wie institutionelle Bedeutung und politische Interpretation als die Schlüsselprobleme kultureller Analyse vorzustellen, und die Kategorie Kultur vor allem wieder vor dem Hintergrund ökonomischer Prozesse gelesen wird, hängt das nicht nur damit zusammen, dass es gerade die Ökonomie ist, die meist fähig ist, ihre Fiktionen als solche zu erkennen, sondern eben auch damit. Es liegt eine gewisse historische Ironie in der gegenwärtigen Hofierung der Zentralität von Ökonomie und Zirkulation für die Analyse von Kultur. Wenn eine Position die intellektuelle Welt dominiert, ist das meist keine Zeit der Kreativität, sondern eine der Stagnation, die Zeit einer Orthodoxie, welche nur mehr selten kreativ ist. Das scheint mir jetzt gerade der Fall zu sein.
Militärische Planungsstäbe werden oft beschuldigt, mit ihren aktuellen Strategien einen Krieg zu spät dran zu sein, die neue Zeit und ihre Möglichkeiten nicht zu sehen. Es ist lange her, seit Intellektuelle und KünstlerInnen an der Spitze der Ereignisse standen. Gerade das nur wird Intellektuellen aber heute von jenen Kadern, die sich an die Spitze der Wendebewegung gestellt haben, von den ManagerInnen des Eventbetriebs und den Oberflächensüchtigen der Mediokratien und deren Reflektoren in den politischen Konzeptabteilungen vielfach vorgeworfen: zu spät dran zu sein, eine Auseinandersetzung verpasst zu haben. Das Problem dabei ist nicht allein die exekutive Macht des neuen Kunstbetriebes gegenüber seinen alten PartizipantInnen, die die Diskussionen bestimmt und verzerrt, sie ist nicht abstrakt etwas "Falsches", sondern es ist die Normalisierung und "Legalisierung" bestimmter Strategien des Diskurses und der Repräsentation selbst, die seit den Neunziger Jahren stattgefunden hat und die derzeit in verschärfter Weise in einer neuen Form ihre Artikulationsgefechte austrägt.
Der Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse gestaltet sich aber gerade für nonkonforme Intellektuelle – als die sich die AutorInnen dieses Buches wohl großteils ansehen – widersprüchlich. Zunächst arbeiten und produzieren sie, oder sagen wir, wir, unter Bedingungen, die typisch für den flexiblen Kapitalismus sind. Unabhängig von den jeweiligen Tätigkeiten versuchen wir ein effizientes Risikomanagement zu praktizieren: Wir qualifizieren uns permanent weiter, sind mobil, wechseln häufig die Tätigkeiten und kombinieren unterschiedliche Arbeitsfelder. Diese Strategien bringen eine Reihe von Konsequenzen mit sich: Erstens verstärkte Selbstkontrolle der Arbeit, d.h. zunehmende Eigenverantwortung auch bei formal fremdbestimmten Strukturen; zweitens erweiterte Selbst-Ökonomisierung, d.h. strategische Vermarktung des eigenen Humanvermögens, drittens Selbst-Rationalisierung und Verbetrieblichung der Lebensführung, die Arbeit und Freizeit kaum noch unterscheidbar macht. Kurz – wir bilden das ideale Stammpersonal für die "New Economy". Postfordistische Werte wie Produktivität oder Flexibilität – von uns analytisch immer wieder als disziplinierende Normen des Systems verdammt – sind uns selbst zur zweiten Natur geworden. Ja, wir stellen in gewisser Weise die Avantgarde für dieses Regime dar, für das wir beständig neue Schneisen schlagen. Das Produktivitäts- Paradigma strukturiert im hohen Maße die sozialen Positionen innerhalb der "Szene" und in der sublimen Instrumentalisierung anderer Individuen für eigene Kalküle können wir wahre MeisterInnen sein.
Nonkonformistische Werte wie Autonomie und Selbstverwirklichung scheinen sich im flexiblen Kapitalismus zu einer stimulierenden Essenz gemausert zu haben. Ist nicht gerade der sich selbst verwirklichende Einzelne ein besonders gut funktionierender Untertan?
Die einstmals gegen die fordistische Verdinglichung mobilisierten Eigenschaften wie Gefühle, Erfahrungen und Kreativität haben sich zu wichtigen Rohstoffen einer "affektiven Ökonomie " transformiert. Offensichtlich fungiert heute Nonkonformität als stimulierende Produktivkraft oder ist zu einem Gegenstand der Konsumtion und Distinktion verkommen. Ein Verdacht drängt sich auf: Sind wir nicht eher ein Teil des Problems und nicht – wie gedacht – ein Teil der Lösung? (2)
Dabei ist uns klar: Geld ist kaum zu machen, wenn es einem autonom und selbstbestimmt um die Produktion von differenziertem Inhalt geht. Die Differenziertheit am Leben erhalten für den Markt allenfalls jene die Latenzen überdauert habenden Institutionen (meist auch solche, die in ähnliche Regimen der Selbstausbeutung eingebettet sind, oder aber solche, die, wie Festivals von der Kurzfristigkeit der Beschäftigung von Stäben in einer Mangelinfrastruktur leben). Diese Kunstvereine und Kulturinitiativen, Projektgalerien und Labors, Vereine, Offices und kleinen Shops, denen es nicht um den Profit, sondern um die Produktion und ihre Inhalte geht, aber auch die größeren, in denen eine Direktion oder Projektleitung den Anforderungen reiner Zweckorientiertheit folgt, das heißt der Erwirtschaftung symbolischer oder realer ökonomischer Rentabilität, geraten allerdings nun selbst immer mehr in eine doppelte Deckung gegenüber ihren beiden AuftraggeberInnen: Der aggressiv nach der Erreichung von ökonomischen Unternehmenszielen fragenden Förderhand und der ebenso aggressiv nach Unabhängigkeit von jener verlangenden Publika und ProduzentInnen des kritischen Feldes. Kontinuierliche Arbeit an einer thematischen Linie ist kaum mehr möglich, die Mittelbeschaffung auf den staatlichen, gemeinnützigen und privaten Sponsoringmärkten, die für die Mischfinanzierung selbst der kleinsten Budgets nötig erscheint, zwingt die meisten von ihnen in eine Ökonomie des Projektes. Und sie drohen zwischen den Fronten aufgerieben zu werden.
Das ist aber nur eines der Dilemmata, die sich aus dieser Situation für die kleinen und mittleren Institutionen des Kulturbetriebes ergibt. Ihre Situation doppelt komplex und die Beharrlichkeit vieler double binds dieser Mischmodelle erweist sich durchaus konstitutiv für ihre Arbeitsmodelle. Dazu kommt auch die Stellvertreterfunktion, aus der Teile ihres Profiles legitimiert werden müssen: Einerseits dienen sie dem Markt und seinen Karrieren natürlich auch als Zwischenlager, als Trainingsplätze und als Reservoir, andererseits sind sie in ihrem Selbstbild gerade als ArbeiterInnen gegen die nivellierende Kraft des Marktes tätig und werden oft von dessen rückblickendem Hohngelächter wegen ihrer vertanen Karriereoptionen bestraft.
Von Seiten der nonkonformen Intellektuellen und anderer kritischer Gruppen wird den Handelnden in diesem Feld gegenüber der Vorwurf geäußert, dass in vielen seiner Projekte über Bildung und Emanzipation, aber nicht die interne Ökonomie geredet werde, obwohl ja gerade diese nicht nur implizit auch das Framing dieser Projekte bestimme. Dabei bleibt meist die Antwort, vielfach aber sogar die Frage offen, was denn ein "Gegenprojekt" zum Kunstbetrieb sei, und wo die Grenze zu jenen Institutionen bestehe, die seinen Bodensatz und daher einen zentralen Bestandteil von ihm bildeten. Doch gerade das ist ja ihr eigentliches Selbstverständnis. Sie sind im Sinne von Foucault ein Macht-Wissen-Dispositiv, wo es immer wieder auch zu bestimmten Ausschlüssen kommt, das Sagbare und das Nichtsagbare, das "Wahre" und "Nicht-Wahre" immer wieder verhandelt wird.
Hinter der Kritik steht natürlich auch die Frage nach der Autonomie der Kunst. Aber im Zeitalter der Eventgesellschaft und der "Ökonomie der Aufmerksamkeit" gerät jedes kulturelle Ereignis in den Sog konsumistischen Ansprüche und Projektionen. Die Kultur ist sowohl für die Politik, für die Wirtschaft, aber auch für die Mehrheit der "Zivilgesellschaft" zu einem entscheidenden Faktor der Selbstdarstellung und der Identitätsbildung geworden. Wer davon abstrahieren oder absehen will, argumentiert letztlich naiv. Auch in dieser Hinsicht bewegt sich die Institution auf dem Feld von Herrschaft, Macht und Ökonomie. Es gelten die üblichen Regeln, also Fragen des Budgets, des Standorts, des Prestiges und des Images. Wobei man noch anmerken muss, dass das Finanzvolumen selbst großer Kulturbetriebe meist nicht viel mehr als dem entspricht, was alleine die Errichtung des Sperrzauns für einen G 8- Gipfel kostet. Also verdammt wenig.
Und das ist auch der Punkt, der die Ökonomie des Projektes für die kleine und mittlere Institution so schwierig macht: Nahezu jeder Leiter, jede Leiterin, jede Gruppe an der Spitze eines nicht genügend mit finanziellen Mitteln ausgestatteten Kulturbetriebes, beziehungsweise eines, dem es einfach aufgrund der Programmpolitik, die sich der reinen Wirtschaftlichkeitserwägung entzieht, nicht gelingt, sich ökonomisch stark gegen- über beiden Parteien zu platzieren, steht in einem Dilemma, wo es um die eigene Rolle geht. Er steht an einer Schnittstelle zwischen einer "herrschenden" und "beherrschten" Position. Es wird ihm ein bestimmtes Finanzvolumen politisch zugestanden oder von SponsorInnen und FörderInnen genehmigt. Selten reichen die Mittel, also kann er das Projekt nur unter schwierigen Bedingungen durchführen: Daher verfährt er so, wie man es von einem Geschäftsführer (und auch einer Gruppe, einem Kollektiv geht es dabei nicht anders) einer solchen Einrichtung erwartet: er spart, wo er kann. Mit allen Konsequenzen der Projektökonomie mit Freelancertum und andere Formen der Prekarität, die im Kulturbereich die Regel geworden sind, nicht zuletzt wegen der restriktiven Sparpolitik der öffentlichen Hand.
Natürlich ist das stillschweigende Agreement, das zwischen kritischen Gruppen und Szenen und den institutionellen Gefügen des Kunst-, des Kulturbetriebes, an die sie andocken (beziehungsweise andocken wollen oder andocken können – viele sind für derlei kommunikative Manöver ohnehin in einem anderen Orbit und kommen entweder nicht in Frage oder haben keine Luken), das der gegenseitigen Instrumentalisierung. Das symbolische Kapital der mittleren Institution oder die selbstausbeuterische Gastfreundschaft oder die Projektgenealogie und damit Credibility der kleinen sind dabei Werte, die gegeneinander getauscht werden. Und natürlich ist die Voraussetzung für die Instrumentalisierungen, dass sich die kritischen Gruppen auf so etwas einlassen. Wobei die paradoxe Situation bemerkbar wird, dass es für mächtigere Institutionen oft leichter ist, kritisches Potential zu binden. Im Windschatten der Institution lässt sich gut mitsegeln. Die Frage des Gebens und Nehmens gilt dort für beide Seiten. Aber selbstverständlich gibt es ein Machtgefälle zwischen den Institutionen und den einzelnen Agierenden, wie er zum Beispiel im Musikbetrieb vor ein paar Jahren noch zwischen Indies und Major-Label existiert hatte. Damit sind wir wieder bei dem Punkt der Institutionenkritik und damit mitten in den frühen Neunziger Jahren gelandet. Es herrscht da eine gewisse Schizophrenie: Man möchte gleichzeitig dabei und dagegen sein. Wieder sind beide Seiten in einem Dilemma: Kooperiert man mit den Großen, kann einem das den beim eigenen Bezugsfeld den Vorwurf des Opportunismus beziehungsweise des Sich-Vereinnahmen-Lassens eintragen. Ein Vorwurf, der paradoxerweise den großen und offenen Institutionen als genau ins Gegenteil gewendeter ebenfalls gemacht wird: Kooperieren diese nicht, oder machen keine Kooperationsangebote, sehen sie sich mit dem Vorwurf der Ausgrenzung des Peripheren konfrontiert. Kooperieren sie mit Kleinen-Peripheren, heißt es nahezu automatisch und nicht unberechtigt, sie saugten das Innovative für das Zentrum auf und ab. Insofern gibt es eigentlich kein Entkommen, es sei denn, man stelle sich gänzlich außerhalb der Ökonomie dieses Betriebes. (3)
Das leitet auch über zur Frage der Repräsentation. Auch hier gilt, dass jede Institution immer mit der Problematik der Repräsentation konfrontiert wird. Insofern kann es nur um Annäherungswerte gehen, um eine Sichtbarmachung des Bemühens. Auf dem Weg dahin hat gerade in den letzten Dekaden, die man gerne die postfordistischen nennt, eine ungeheure Professionalisierung der einzelnen Gefüge stattgefunden und die einzelnen Milieus (4) haben sich immer weiter ausdifferenziert und ihre eigenen substanziellen Wahrheiten generiert. Allerdings ist diese Professionalisierung selbst (man denke hier zum Beispiel an die diskursiven Milieus dessen, was man den politischen Kunstbetrieb nennt; oder, um ein anders Beispiel zu bemühen, die politischen Medienkunstszenen), von der Logik der Projektarbeit so weit getrieben worden, dass es oft keine Möglichkeiten gibt, über die eigentlichen Ziele und Intentionen der Kritik nachzudenken, sondern diese in den Notwendigkeiten und der Mangelökonomie des Projekts selbst aufgesogen werden. Der kritische Betrieb muss eben weiter funktionieren und die Positionen, die in ihm offen stehen, sind beschränkt. Genau hier treffen sich dann die Lebenswelten zwischen dem autonomen und dem institutionalisierten Projekt.
Diese Kunst des Durchlavierens hat ja Paolo Virno (5) unlängst als "Opportunismus" bezeichnet, ohne dies allerdings mit einer moralischen Wertung gleichzusetzen. Opportunistisch sei jemand, der einer Vielzahl von ständig sich verändernden Möglichkeiten gegenüberstehe und auf den größten Teil dieser Möglichkeiten vorbereitet sei, sodass er die nächste sich bietende Gelegenheit rasch ergreifen könne. Gleichzeitig vollzieht sich die Tätigkeit des Selbständigen im Kulturbetrieb in einem dichten Netz von hierarchischen Beziehungen, es bestehen persönliche Abhängigkeiten zu den AuftraggeberInnen oder KundInnen. Insofern nimmt die "Autonome Arbeit" immer auch "Züge der Servilität" an. Dies gilt für (fast) alle Beteiligten auf dem Feld der Kunst.
Mit diesen strukturellen Zwängen, welche die Ökonomie des Projektes durchziehen, müssen wir wohl offensiv umgehen, gerade in einer Zeit, in der die Ordnungsregeln des Ökonomischen alle Lebensbereiche zutiefst durchdrungen zu haben scheinen und keine Politik mehrheitsfähig zu sein glaubt, die ihre kulturpolitischen Entscheidungen anderen Perspektiven unterstellt. Trotz aller "virtuosen Servilität", die FreelancerInnen und KünstlerInnen aufbringen müssen, existiert ein Überschuss, ein geistiger Mehrwert, dem man der Tätigkeit abtrotzen kann. Es geht also um die Haltung zu den herrschenden Verhältnissen: Entweder reine, gegebenenfalls zynische, "Realpolitik" oder Zulassung eines kritischen Moments. Diese Wahl hat man allemal.