Selbst wenn Kohlendioxid kein Treibhausgas wäre, säßen wir doch an Bord eines Zuges, der ins Verderben rast. Vor uns liegt die wahrscheinlich gefährlichste Kreuzung in der Geschichte der Menschheit, die von manchen Kassandras, bleich vor Angst, »Konvergenz« genannt wird. Die akademische Forschung hat sich erst spät mit den Möglichkeiten auseinandergesetzt, die durch das gleichzeitige Auftreten verschiedener Phänomene entstehen: durch das rasante Ansteigen der Weltbevölkerung, den abrupten Klimawandel, Ölverknappung (und in manchen Regionen Wassermangel), den möglichen Kollaps ganzer Agrarsysteme und durch aufgestaute städtische Verwahrlosung. Obwohl die deutsche Regierung, die CIA und das Pentagon jeweils Berichte publiziert haben, die sich mit den Auswirkungen einer mehrfach begründeten Weltkrise auf die nationale Sicherheit beschäftigen, ähneln ihre Einsichten eher einem Hollywoodfilm als einer stichhaltigen Deutung der nächsten Jahrzehnte.
Dies sollte angesichts des Fehlens einer Analogie in der Menschheitsgeschichte allerdings nicht überraschen. Während die Paläoklimatologie den Wissenschaftlern helfen kann, die nicht-lineare Physik einer Erderwärmung vorherzusagen, gibt es keinen historischen Präzedenzfall oder Blickwinkel, um zu verstehen, was in den 2050ern passieren wird, wenn ein Bevölkerungshöchststand von neun bis elf Milliarden Menschen versuchen wird, sich an Klimachaos und das Verschwinden fossiler Energieressourcen anzupassen. Fast jedes Szenario vom Zusammenbruch der Zivilisation bis hin zu einem neuen Zeitalter der Fusionsenergie kann auf die uns so fremde Zukunft unserer Enkel projiziert werden.
Wir können jedoch sicher sein, dass Städte der Einschlagspunkt dieser Bombe und somit der Ground Zero dieser Konvergenz sein werden. Die Urbanisierung der Welt ist sowohl der Grund und, so glaube ich, die einzig mögliche Lösung des Problems des neuen Zeitalters, des Anthropozän. Zwar haben Waldrodungen und für den Export bestimmte Monokulturen eine entscheidende Rolle im Übergang zu einer neuen geologischen Epoche gespielt, doch war der fast exponentielle Anstieg des ökologischen Fußabdrucks der städtischen Regionen die ausschlaggebende Antriebskraft in der nördlichen Hemisphäre. So gesehen zerstört städtisches Leben gerade die ökologische Nische der Klimastabilität des Holozän, durch die seine eigene Entstehung und Komplexität erst möglich wurden.
Und doch gibt es hier ein erstaunliches Paradoxon: Städtische Gebiete sind derzeit nicht nachhaltig umweltfreundlich, doch geht dies sogar in den größten Megacities gerade auf jene Merkmale zurück, die dezidiert anti-urban oder suburban sind: die explosive räumliche Ausdehnung, begleitet durch die Beeinträchtigung oder schlichte Zerstörung lebenswichtiger Grundlagen (Grundwasser führende Bodenschichten, Niederschlagsgebiete, Gartenbaubetriebe, Wälder, Küstenökosysteme); das ungeheuerliche Wachsen des Verkehrsvolumens und der Luftverschmutzung; das Auflösen der städtischen Kultur der Arbeiterklasse; das Anwachsen der Slums an den Stadträndern und das Ansteigen der informellen Beschäftigungsverhältnisse; die Privatisierung und Militarisierung des öffentlichen Raums, und die Flucht der Wohlhabenden in ummauerte, Disneyland-ähnliche Enklaven.
Die Verbindung »klassischer« und tatsächlich urbaner Merkmale hingegen, die es sogar auf der Ebene kleiner Städte und Orte gibt, zeichnet ein etwas positiveres Bild. Ein kanonischer Urbanismus, dessen Koordinaten sowohl Effizienz in Umweltfragen und – um es mit Fourier zu halten – die »Multiplikation menschlicher Affinität« beinhalten müssen, bleibt als Synthese unvollständig. Trotzdem erkennen wir manche der Hauptmerkmale: den Austausch von privatisiertem Konsum durch öffentlichen Luxus; die Sozialisierung von Begehren und Identität innerhalb des öffentlichen Raums; umweltwirtschaftliche Skaleneffekte in Bezug auf Transport und den Bau von Wohneinheiten; klar definierte Grenzen zwischen Stadt und geschützter Landschaft; den vielfältigen Austausch lokaler Stadtviertel mit den Kulturen der Welt; der Vorrang eines kollektiven Gedächtnisses anstelle von proprietären Symbolen, und die Integration von Arbeit, Freizeit und Privatleben.
Unser Anliegen ist hier natürlich nicht die triviale Diskussion, was »gutes« oder »schlechtes« Design ist, sondern vielmehr, auf welche Weise eine kohärente, niedrigenergetische Stadtstruktur, im Gegensatz zur randstädtischen Zersiedelung und ökologischen Fehlorganisation, die Quadratur des Kreises schaffen könnte, indem sie menschliche Ansprüche beachtlichen Ausmaßes den begrenzten erneuerbaren Ressourcen entgegenstellt. Zwar bieten viele historische Traditionen des Städtebaus, vor allem die des Mittelmeerraums und des Nahen Ostens, Anleitung für passives Solardesign, Wasserkonservierung und Müllrecycling, die schon seit langem umwelttechnisches Design inspirieren. Doch ist das kritische fehlende Glied in der Kette zwischen Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit eine konstruktivistische Strategie – aufgegriffen bereits in der Frühzeit sowjetisch-urbanen Elends, um das Leben in überfüllten und erdrückenden Wohneinheiten mit wunderbar ausgestatteten Arbeitervereinen, Volkstheatern und Sportpalästen zu erleichtern.
Zwar stellten sich El Lissitsky, Golosov und ihre Kameraden vor allem solche Komplexe, die mit riesigen fordistischen Fabriken verbunden waren, als »soziale Kondensatoren« einer neuen proletarischen Zivilisation vor, doch arbeiteten sie implizit auch an einer konstitutiven Rolle des »öffentlichen Wohlstands«(Büchereien, Parks, Museen, Kinos, Schulen, etc.) in der Urbanität großer Städte. Nach den heroischen Kämpfen während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in denen die europäischen Arbeiterklassen ihr Recht am öffentlichen Wohlstand der Stadt durchsetzen wollten, wurden sie ironischerweise in den 1960ern und 1970ern – zumeist als Resultat der Wohnpolitik ihrer eigenen Arbeiterparteien und der Sozialdemokratischen Parteien – in Wohnsiedlungen der Peripherie exiliert, deren eigentliche Raison d’être, die Fabrik am Stadtrand, bis zu den 1990ern weitgehend ausgestorben war. Die kulturelle De-Urbanisierung breiter Gesellschaftsschichten innerhalb der ausufernden Stadtregion ist natürlich in den sogenannten »Entwicklungsländern« ein noch akuteres Problem: jedes Jahr werden viel mehr Slumbewohner und Mieter der Arbeiterklasse gezwungen, die Kerngebiete der Stadt zu verlassen, als durch die Regierung oder durch NGOs formell wieder an irgendeinem Ort angesiedelt werden können. Obwohl jeder die Wichtigkeit des Baus von Massentransportwegen zum Stadtkern und der Schaffung kompensatorischer »sozialer Kondensatoren« in armen Gegenden versteht, hinkt das öffentliche Investment dem Bevölkerungswachstum mehr als eine Generation hinterher. In Folge wird die Last des Angebots an Wohnfläche auf die Armen selbst abgeschoben, und essentielle Infrastrukturen sowie die traditionelle Ausstattung urbaner Kultur werden nicht bereitgestellt. Dies ist die Katastrophe des Alltags in der Peripherie, wo jeder Weg zur Arbeit oder ins Spital Stunden kosten kann, weil man sich in einem überfüllten Minibus durch den Stau kämpfen muss. Genau dort, wo die Städte den Ballast der Armut abwerfen, ist es auch, wo der Ruf des amerikanischen »New Urbanism« nach der Reurbanisierung des zersiedelten Stadtrands sowohl auf menschlicher wie auf umweltpolitischer Ebene besonders dringend widerhallt – wenn auch in einem radikaleren Sinn als ursprünglich geplant.
Ich glaube, dass die innere Krise der heutigen Architektur genau das Fehlen von mutigen Konzepten und Designs ist, die Armut, Energie und Klimawandel im Kontext sich entwickelnder Städte ansprechen. Die Wohlhabenderen können aus einer Fülle von Designs für ökologisches Wohnen wählen, doch was ist letztendlich unser Ziel? Dass Prominente mit ihrem CO2-neutralen Lebensstil protzen, oder dass Solarenergie, Toiletten und öffentlicher Raum auch in arme Stadtgemeinden gebracht werden?
Sich der Herausforderung eines nachhaltigen Städtebaus für den ganzen Planeten und nicht nur für ein paar privilegierte Länder zu stellen, erfordert ein großes Maß an Phantasie, wie schon mit Architektur und Städtebau in den Zeiten von Wchutemas und Bauhaus gezeigt wurde. Außerdem wird ein radikaler Wille vorausgesetzt, über den Horizont des neoliberalen Kapitalismus hinaus bis zu einer globalen Revolution zu denken, die sowohl die Arbeit der informellen Arbeiterklassen wie auch der ländlichen Armen in den nachhaltigen Wiederaufbau ihrer Umwelt und Existenzgrundlagen reintegriert.
Natürlich ist dies ein unmöglich scheinendes Szenario, aber entweder begibt man sich auf die Reise der Hoffnung und glaubt, dass Zusammenarbeit zwischen Architekten, Ökologen und Aktivisten eine kleine, aber essentielle Rolle in der Verwirklichung einer anderen Welt spielen kann, oder man begibt sich in eine Zukunft, in denen Architekten nur die angeheuerten Ingenieure der alternativen Lebensformen von Eliten sein werden. Es mögen die »Green Zones« des Planeten pharaonische Möglichkeiten für die Monumentalisierung individueller Visionen bieten, doch die moralischen Fragen der Architektur können nur in den Wohnsiedlungen und Gemeindebauten und der sich immer weiter ausbreitenden »Red Zones« gelöst werden.
Von dieser Perspektive aus glaube ich, dass nur eine Rückkehr zu explizit utopischen Vorstellungen die Mindestanforderungen für den Erhalt menschlicher Solidarität angesichts der vielgestaltigen Krise der Planeten klarmachen kann. Ich glaube zu verstehen, was Tafuri und Dal Co meinten, als sie gegen eine »Regression zur Utopie« warnten. Aber um unsere Vorstellungskraft an die Herausforderungen des Anthropozän anzupassen, müssen wir uns auch alternative Strukturen von Akteuren, Praktiken und sozialen Beziehungen vorstellen können. Dies wiederum erfordert, dass wir die politisch-ökonomischen Vorstellungen ändern, die uns an die Gegenwart ketten. Wenn dies wie ein sentimentaler Schlachtruf klingt, der auf die Barrikaden führen soll, ein vierzig Jahre altes Echo aus Klassenzimmern und Studios, dann soll das so sein. Wenn man auch nur einen Beweis für geo-ökologische Veränderungen akzeptiert, dann würde uns ein »realistischer« Blick auf die Zukunft der Menschheit wie der Kopf der Medusa einfach in Stein verwandeln.
Es sollte die Ironie nicht vergessen werden – oder der »killing joke«, wie es zu meiner Zeit hieß –, dass manche der führenden Avantgarde-Designer der 1960er- und 1970er-Generation genau jetzt – in ihrer Reife – an den goldenen Ufern Utopias gelandet sind.
Selbstverständlich sind ihre neuen Paradiese Länder, in denen 1789 erst stattfinden muss, wo fundamentale menschliche Freiheiten, wie etwa das Wahlrecht und das Recht zum Zusammenschluss in Gewerkschaften, nicht existieren; aber wie auch immer, der Boom der Golfstaaten hat die architektonische Übertreibung emanzipiert. Die Kombination riesigen Vermögens der Rentiers mit atemberaubenden Designs und Bautechnologien erlaubt einer internationalen Elite von Industrie- und Avantgarde-Architekten, die fantasmischen Designs des 20. Jahrhunderts aufzugreifen und sie in Stahl und Beton zu gießen. Trunken tanzende Wolkenkratzer, kilometerhohe Türme, Unterwasserhotels, künstliche Inselgruppen, Schiberge in der Wüste… Wunder, die jenen auf Umschlagbildern von alten Heften wie den Astounding Stories oder dem Flash Gordon Adventure Magazine gleichen. Es gibt sogar ein ernsthaftes Angebot, in einer Höhe von 300 Metern eine künstliche Wolke über Dubai schweben zu lassen, die Gärten und einen kleinen See bieten würde.
Das Trugbild der Golfstaaten bringt uns weit hinter die erschöpfte Kategorie der Postmoderne. Der scherzhafte Neoklassizismus der 1980er hat überlebt, aber er wird zumindest in den Golfstaaten von der Retro-Pracht des internationalen Stils und von immensen Glasoberflächen überschattet. Um den Philosophen Ernst Bloch zu zitieren: »Der abstrakte Ingenieurstil wird auf keinen Fall qualitativ, trotz der Phrasen, die seine Literaten ihm anhängen, trotz der Schwindelfrische von ›Modernität‹, womit polierter Tod wie Morgenglanz verabreicht wird.«1
Aber diese Modernität der Öl-Utopien befindet sich in seinem Endstadium und ist hoffnungslos rückwärtsorientiert und nostalgisch in seinen grundlegenden Konzepten, vor allem in der Sucht nach veralteter Supervertikalität. Vor allem Dubai ist der Jurassic Park der Architektur, in dem Herden einer ausgestorbenen Spezies geklont werden: des amerikanischen Wolkenkratzers. Außerdem kennzeichnet der Golfboom für seine Zelebranten und Architekten auch die endgültige Aufgabe der Wurzeln des Modernismus im europäischen Sozialismus. Von einigen achtbaren Ausnahmen abgesehen, ist die heutige Design-Aristokratie gewillt, sich all dessen anzunehmen, was die Globalisierung als Tatsache auf dem Boden erschafft: ob es der Abfall in den Elendsvierteln von Lagos ist, die in den vielen Jahren Militärdiktatur entstanden sind, oder die radikale Entrechtung von Großteilen der Bevölkerung in den absoluten Monarchien der Golfstaaten.
Auf einen meiner Texte, der Dubai als einen Ort beschreibt, wo »Walt Disney Albert Speer trifft«, antwortete Rem Koolhaas scharf:
»Das Recycling der Disney-fatwa sagt mehr über die Stagnation der westlichen kritischen Vorstellungskraft als über Golf-Städte. Heute ein Kritiker zu sein heißt, den Export der Ideen zu bedauern, den Sie auf eigenem Terrain nicht verhindern konnten, Drachen, die Sie nicht töten konnten; die überwiegende Mehrheit von Entwicklungen, die von Kritikern bedauert werden, entstanden in ihren eigenen Ländern und sind dort zur Norm geworden. Der tragische Effekt der Unfähigkeit der Architektur, die Sachzwänge der Modernisierung zu erkennen und zu Ende zu denken, ist eine wehmütige Sprache der unaufhörlichen Enttäuschung darüber, was produziert wird, und ein endloser Zyklus der nostalgischen Allheilmittel als wohlmeinende, aber todgeweihte Alternativen …«
Natürlich ist Koolhaas der führend Hipster der zeitgenössischen Architektur, aber in dieser Erklärung macht er gemeinsame Sache mit der fiebertaumelnden Gier, akzeptiert soziale Albträume als Mitbedingung für Design und überlässt die Maydays der Moderne den Müllschluckern der »todgeweihten Alternativen«. Sachzwänge der Modernisierung sind außerdem Furcht einflößend, ein semantisches Zugeständnis an das Böse, sodass wir vielleicht nicht allzu überrascht sein sollten, dass sein Hauptprojekt im Golf, das Ausstellungszentrum in Ras-al-Khaimah, erstaunliche Ähnlichkeiten mit Darth Vaders Todesstern aufweist.