Wenn es darauf ankommt, die Stratifizierung des öffentlichen Raumes durchzusetzen und im Wettstreit des Städtetourismus das Potential des kulturellen Erbes auszuspielen, greift Wien gerne auf die alten militärischen Potentiale zurück. Das ist die These, die im Folgenden kurz ausgeführt wird. Dabei benütze ich schriftliche Aufzeichnungen, die unmittelbar nach dem Match Kroatien – Türkei am 20. Juni 2008 im Rahmen der Fußballeuropameisterschaft entstanden sind. Das Interesse gilt einer Diskursuntersuchung. Kurzum: Wir können bei dem beschriebenen Ereignis auf einen öffentlich-medialen, auf einen ökonomischen und auf einen staatsicherheits-militärischen Diskurs blicken. Sie alle haben ihre Funktion in dem Versuch, die Handlungen der MigrantInnen in Wien zu regulieren. Wie treten uns diese Diskurse im Rahmen eines solchen Ereignisses entgegen?
Das Ereignis wurde mittels Berichterstattung minutiös vorbereitet, mein Interesse daran durch einen Bericht in der NZZ geweckt. Darin war zu lesen:
»So oder so hat die Wiener Polizei für Freitag die Grenzen klar gesteckt. Sie will die Ottakringer-Straße lenken. Thalia-Straße, Neulerchenfelder-Straße sowie Brunnengasse hingegen werden zum türkischen Hoheitsgebiet.«1
Beginnen wir mit der folgenden Notiz:
»Nun wurde diese ›Balkanmeile‹ von Mainstream-Medien der Mehrheitsgesellschaft (auf der Suche nach den gerade zuständigen Exoten!) entdeckt. Zuerst durch die vermeintlichen Ausschreitungen zwischen ›Serben‹ und ›Albanern‹ während der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo, negativ, und in den Wochen vor der europäischen Fußballmeisterschaft als positives Beispiel von Multi-Kulti, ein Ort wo ›Serben‹, ›Kroaten‹ und ›Albaner‹ Lokale haben und auf den Sieg der kroatischen Fußballmannschaft hofften. Schon beim letzten Spiel, das diese Mannschaft gewonnen hatte, sperrte die Polizei diese Straßen und ließ die Menschen bis in die Morgenstunden ›friedlich‹ feiern. Dieses öffentliche Toleranzkonstrukt drohte nun, der öffentlichen Wahrnehmung nach, zu scheitern. Und zwar indem eine vierte Gruppe der Troika öffentlich hinzugefügt wurde: Die ›Türken‹, die plötzlich in diesem Schattenspiel der Zuschreibungen die Anderen von Anderen werden würden. Die Bedrohung wurde so aufgebaut und es ging an diesem Abend darum, die Kampfhandlungen zu verhindern. Darum die Aufteilung in die Gebiete, die gesperrt werden sollten.«
Der medial-öffentliche Diskurs des Großereignisses, in diesem Fall der EURO,2 benötigt eine Vorbereitung, eine Verdoppelung im virtuellen Diskurs, um im Unmittelbaren als wichtiges Ereignis (für Alle!) wahrgenommen zu werden. Da aber dieses Unmittelbare durch die Alteration, Singularität und Beweglichkeit3 innerhalb eines aufgesetzten Ortes charakterisiert ist und sich medial kaum kodifizieren, geschweige denn vermitteln lässt, greift der mediale Diskurs auf die altbewährte Vorgangsweise der Exotisierung zurück. Es werden Klassifizierungen und Typologisierungen geschaffen – im konkreten Fall »Kroaten« (und mit ihnen zusammen alle anderen, deren so genannte Hintergründe dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien zugeordnet werden) und »Türken«. Diesen typologisierten Figuren werden aus der Unendlichkeit der Möglichkeiten ganz bestimmte Merkmale medial »zuerkannt«. Zum Beispiel, dass sie sich gruppenweise in abgrenzbaren urbanen Gegenden niederlassen und diese Räume nach ihren Regeln und Definitionen umformen – ihnen wird ganz einfach durch die Fähigkeit, »Hoheitsgebiete« zu strukturieren, ein impliziter Nationalismus zugeschrieben. Indem sie solche nationalistische AkteurInnen werden, lassen sie sich von den national dominierten Medien als Objekt des Transfers aufnehmen. Diese Folie der Nationalisierung liegt über jedem, seitens der nationalen Medien organisierten Transfer von Informationen. Dabei wird aber nicht transferiert, sondern transformiert. So erscheinen auf den Bildern – und die Schrift ist im medialen Kontext auch Bild – die ein halbes Jahrhundert in Österreich lebenden Individuen als »Kroaten«, »Serben«, »Kosovo-Albaner« und eben als »Türken«. Die nicht sichtbare Hinterseite der gleichen Medaille, die nie erkannte, aber immer anwesende Brille, durch die diese Figuren geschaffen werden, sind natürlich immer die Mehrheitsangehörigen, in diesem Fall die »Österreicher«.
Die Strategie der Exotisierung funktioniert, indem bestimmte Zuschreibungen als Wesensmerkmale, als Identifikationen gesetzt werden. Erst dadurch passen die MigrantInnen in einen weltweiten nationalstaatlichen Diskurs, sonst sind sie in ihren Zwischenräumen unsichtbar. Die Exotisierung und Ethnisierung – die zwei spezifischen Weisen, die Objektivierungen ausmachen – machen die MigrantInnen medial in Form von Bildern transportierbar. Die Unsichtbarkeit wird durch diesen Akt der Verleihung der Sichtbarkeit (und nicht durch die Anerkennung der bestehenden AkteurInnenpositionen) gebrochen – um dadurch eine Verwaltungssicherheit zu gewährleisten.4
Daraus lässt sich schließen, dass der medial-öffentliche Diskurs nur bestimmte Bilder der Menschen zu transportieren fähig (bereit) ist. Wären die Menschen nicht als »Türken«, als »Kroaten«, als »Serben« usw. charakterisiert, wäre ihnen dieses bestimmte Merkmal nicht zugeschrieben, stünden die unzähligen KommentatorInnen vor der Frage, wer diese Menschen sind und wie sie zu beschreiben wären. Und vor allem vor dem Geständnis, dass sie keineswegs eine Differenz zu anderen StaatsbürgerInnen aufweisen...
Es gibt allerdings auch eine andere Realität:
»Was aber tatsächlich überall auffiel, waren viele mit sündteuren Fernsehkameras ausgestattete Männer. Sie waren, kommt mir jetzt vor, überall, und warteten, ja lauerten geradezu auf den Moment, an dem DAS stattfinden würde. (...) Zwischen den PassantInnen. Nicht wirklich störend – aber auffallend, und unserer Betrachtung würdig. Sind sie doch diejenigen, die dieses Ereignis tatsächlich zu einem Medienereignis machen, diese ›kleinen‹ Kameraleute und Fernsehreporter. (...) Um die Ecke konnten wir durch ein Fenster, neben das sich zwei Touristen aus Asien gestellt hatten, einen Einblick in das Innere des Lokals bekommen. Mehr Tische als normalerweise, kam mir vor. Vielleicht entstand dieser Eindruck auch deshalb, weil sie alle voll belegt waren. (...) Und auch hier, mitten drin in dieser Welt der Männerphantasien, ein auf die Bewegungen der Massen wartender Kameramann. Dem aber von niemandem so richtig Beachtung geschenkt wurde. Er will etwas bestellen, die Kamera auf seiner Schultern ist doch etwas zu schwer, aber der Kellner flitzt um ihn herum, ohne seine Versuche eines Blickes zu würdigen. Der Kellner ist in einer solchen Situation der wichtigste Mann und seine Aufmerksamkeit schenkt er nur denjenigen, die er für würdig hält. Er ist der Zeremonienmeister. Und die Teilnahme an der Zeremonie ist für den dokumentierenden Eindringling, wie immer, nur am Rande gestattet. So richtig verstehen, was da vor sich geht, wird er nicht – aber das ist auch nicht seine Absicht.«
Tatsache ist, dass der medial-öffentliche Diskurs derzeit weltweit mit dem Verlust seiner Glaubwürdigkeit zu kämpfen hat. Das Fernsehen wird mehr und mehr auf einen billigen Zeitvertreib reduziert, und die Zeitungen auf die Möglichkeit, die offizielle Meinung zu erkunden. Der Glaube daran ist verschwunden. Dieser Diskurs ist im Abnehmen. In unserem Fall werden seine StraßenexponentInnen nur noch als notwendiges Übel betrachtet. Die Macht der exklusiven Vermittlung von Realität haben diese Menschen schon längst verloren. Sie erscheinen als Störenfriede. Allerdings als solche, auf die man noch nicht zu verzichten bereit ist, weil sie auch ein Geschäft, eine Vermehrung des materiellen Vermögens nach sich ziehen können. Die Medien werden zurzeit auf der Straße auf das reduziert, was sie zum Großteil immer waren, auf einen multiplizierten Schrei von HändlerInnen auf den Märkten des Kapitalismus. Ob es sich bei der Informationsvermittlung um nationale Einrichtungen handelt, oder um solche, die über die Grenzen des Nationalen hinausgehen, ist dabei nicht so wichtig.
Nun ereignet sich der medial-öffentliche Diskurs nicht in einem leeren Raum, sondern ist Teil eines größeren Diskurses, wie etwa der europäischen Fußballmeisterschaft.
»Um die Ecke befand sich das Café International. Wie schon oft gesehen, gab es auch hier eine öffentliche Vorführung. Nur dieses Mal gab es keine große Leinwand, weil die UEFA alles, was eine über 60 cm große Bilddiagonale hat, für öffentliche Vorführungen verboten hatte. Oder besser gesagt, dafür müssten Gebühren entrichtet werden. Als Privatfirma hat diese ein absolutes Monopol über solche Inszenierungen und die Stadt Wien tut vieles, um deren Interessen durchzusetzen. Unter anderem sorgt die Stadt für die Regulierung solcher räumlicher Merkwürdigkeiten und Inszenierungen, in denen wir uns gerade befanden. Einige Verstöße gegen die UEFA-Regeln beobachteten wir später, aber ein Großteil der Menschen und Lokale, die draußen vor ihrer Tür etwas für die Gäste veranstalteten, hielten sich daran.«
Es handelt sich hier, unter Abschirmung des medial-öffentlichen Effektes, um eine neuerliche Stratifizierung des Raumes – und dies vor allem im Rahmen eines weltweiten Privatisierungsprozesses. Eine Privatisierung, die sich im Rahmen der neoliberalen Umstrukturierung abspielt. Die Räume werden dabei immer mehr zu Orten,5 an denen private Firmen vorgeben, was erlaubt und was verboten ist. Immer mehr Räume werden so gestaltet, dass sie nur bestimmten Gruppen von Menschen zugänglich sind. Die EURO, als weltweit beachtetes Sportereignis, unternahm daher einen neuerlichen Versuch, die Handlungsmöglichkeiten der Menschen zu steuern. Mit einem seitens der UEFA (eine private Firma) geleiteten Regulierungsversuch, wie das »Ereignis« zu konsumieren sei. Alles, was eine Gruppe in der Öffentlichkeit zur Gruppe bilden kann, die Möglichkeiten des Bildens eines gemeinsamen Dritten, wie eben Großprojektionen für Alle, wird zur Ware erklärt, wofür Gebühren zu entrichtet sind.
Zur Durchsetzung der Privatisierung der urbanen Öffentlichkeit genügt die medial-öffentliche Abschirmung in Form von Ethnisierung, Exotisierung usw. noch nicht. Es muss dafür auch eine viel stärkere Einbindung und Sicherung, ein materialisierter Sicherheitsdiskurs geschaffen werden. In diesem Eck, in dem hier beschriebenen Dreieck, kommt die Straßen-Polizei ins Spiel.
»Tatsächlich standen die Sperrgitter zwischen Yppenplatz und Ottakringer Straße schon bereit. Und wie sich später während unseres Spaziergangs herausstellte, nicht nur dort, sondern an allen Verbindungen zwischen diesen Gebieten, getreu den Zeitungsberichten, die offenbar eine hervorragende Quelle gehabt hatten. (...) Inzwischen wurde das ganze Gebiet abgeriegelt. Rund um uns Polizeikordone.
Keine Gruppe kam mehr von einem Gebiet in das andere. Die HerrscherInnen des Augenblicks waren die Robocops, zumindest wirkten sie so. (...) Die Trennung war vollzogen und sie war in dieser Nacht endgültig. Das Ereignis hatte stattgefunden und es war wie im wirklichen Leben – auch deswegen, weil es niemandem mehr bewusst war, dass es sich um ein Spiel handelte – mit allen seinen Auswirkungen, ungleich auf die beteiligten Personen verteilt. Es gab VerliererInnen und es gab GewinnerInnen! (Was wurde aber da verloren und was gewonnen?) Und es gab einen durch die Staatsmacht ab jetzt, die ganze Zeit hindurch, zu meisternden Fluss, der sich in diesen Extremen der Emotionen widerspiegelte. (...) Neben uns lief eine Robocopspartie, 30 Figuren, in der sich eine kleinwüchsige Frau in voller Montur mit ihren sehr betonten militärischen Bewegungen auszeichnete. So dass ich mich für einen kurzen Moment wie in einem Slapstick fühlte. Zum Scherzen aber war dabei Nichts und Niemanden. Verstärkung, Überwachung, Kontrolle, Überhang gewinnen, Alles-im-Blick-behalten... Erst da bemerkte ich endgültig: Wir befanden uns in einer vollständig militarisierten Zone. Der Begriff ›Hoheitszone‹ gehört doch zu diesem Wörterbuch! Im Falle von BürgerInnenunruhen müsse es ungefähr auch so laufen. Das gerade Laufende war so etwas wie die Probebühne dafür. Nur, dass in einer realen Situation die PolizistInnen wahrscheinlich auf einer Seite der Barrikaden stehen würden.«
Die Straßenpolizei ist die Kraft, die für die Erhaltung und Umsetzung der Ordnung und Normen zum Einsatz kommt. Sie erscheint während des Ereignisses als Körper auf der öffentlichen Bühne und nicht nur als gewöhnliche Verkörperung der Macht. Es wird vielmehr eine Situation des Bürgerkrieges simuliert. Genau das ist der Sinn der medial-öffentlichen Aufrufung der Ethnien und ExotInnen auf die Straßen der Mehrheitsangehörigen. Wenn es – wie angekündigt – gesonderte Gebiete, dem Kriegsvokabular zufolge »befreite Territorien«, zu geben hat, dann scheint die selbstverständlichste Rolle der Staatsmacht zu sein, zwischen den verfeindeten Parteien für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Darum auch der Auftritt an diesem Abend in einer unübersichtlichen Massigkeit. Dass sie dabei auch die neoliberalen Ortstrukturierungsansätze stützt, scheint ein Nebeneffekt der Hauptstoßrichtung des Einsatzes zu sein. Die Frage, was denn passieren würde, wenn nicht Hunderte von PolizistInnen zum Einsatz kämen, lässt sich leicht beantworten: Eigentlich nichts, außer vielleicht die eine oder andere Prügelei betrunkener Jugendgruppen in dunklen Gassen, also das, was immer und überall, ob mit oder ohne Polizeimassen, passiert.
Durch die Straßenpolizei, die als oberste Ordnungshüterin auftritt, weil die mediale Inszenierung einen bürgerkriegsähnlichen Zustand simulieren könnte, wird am Ende nichts anderes als ein bestimmtes Muster der Privatisierung von Öffentlichkeit vorangetrieben und durchgesetzt. Die strukturelle Bewusstseinsindustrie trägt zu der Stratifizierung des Ortes bei. Durchgesetzt wird diese aber mit altmodischen Mitteln des Polizeieinsatzes – mit der Machtdemonstration des Staates.