Das MuseumsQuartier Wien
Der Titel dieses Beitrags ist selbstverständlich unangemessen, wird damit doch den wenigen (wenn auch prägenden) Jahren schwarz-blauer Regierung ein mittlerweile dreißigjähriger Prozess kulturpolitischen Versagens zur Last gelegt.
Andererseits allerdings ist der Titel korrekt. Denn konservative und perspektivenlose Kulturpolitik in Österreich hat ja nicht erst mit der Machtübernahme von Wolfgang Schüssel begonnen. Vielmehr lässt sich hier durchaus eine gewisse Kontinuität über mehr als ein halbes Jahrhundert behaupten: Seit die neugegründete Zweite Republik Österreich in den 1950er Jahren versuchte, den österreichischen Beitrag zum nationalsozialistischen Massenmord durch Verweise auf ihre Jahrhunderte lange Kulturtradition zu verschleiern, bestand österreichische Kulturpolitik in erster Linie aus unreflektierter Pflege des kulturellen Erbes. Akzentsetzungen variierten – und von solchen Variationen konnten durchaus die Entstehung und/oder das Überleben zeitgenössischer kultureller und künstlerischer Initiativen abhängen. Und selbstverständlich sprach der Brecht- Boykott der 1950er Jahre eine andere Sprache als das SPÖ- Motto "Kultur für alle" in den 1970ern. Wurde im ersten Fall kulturpolitische Auseinandersetzung verhindert, so begann mit der SP-Alleinregierung immerhin die zögerliche und geringfügige Finanzierung von Kulturinitiativen und freien Theatergruppen, aufgrund derer vieles von dem entstand, was die Kulturszene seit damals einigermaßen lebendig erscheinen lässt. Doch "Kultur für alle" bedeutete in der österreichischen Lesart in erster Linie Konsum von Hochkultur für alle, also ermäßigte Museumseintritte und Bundesländertourneen der großen Theater. Und wenn wir Schumpeters Diktum folgen, demgemäß "(…) (d)ie Finanzen (…) einer der besten Angriffspunkte der Untersuchung des sozialen Getriebes (sind)" (Schumpeter 1918), dann lässt sich die Kontinuität österreichischer Kulturpolitik anhand von Budgetvergleichen belegen – unabhängig von Regierungswechseln ging stets der Löwenanteil des Kulturbudgets an Großinstitutionen und die Pflege des kulturellen Erbes. (Vgl. zur Entwicklung der österreichischen Kulturpolitik Rathkolb 2005, Knapp 2005, Wimmer 2006)
In PolitikerInnenreden klingt das allerdings anders als in den nackten Zahlen. Schließlich müssen kulturpolitische Programme und Visionen behauptet werden, und die ständige Fortschreibung des Alten eignet sich dafür schlecht. Daher wurde auch das MuseumsQuartier in der langen Zeit seiner Entstehung und der kürzeren seines Bestehens gerne, wenn auch wenig plausibel, als innovatives Projekt verkauft. Egal, was gerade die aktuellen Pläne für diese Bauten waren – ein Medienzentrum, ein Leseturm, die Sammlung Essl – immer ging es jedenfalls um das ganz neue, nie da gewesene, dringend gebrauchte und ganz zeitgemäße.
Was dahinter stand und was sich demgemäß auch durchgesetzt hat, ist allerdings wiederum Denkmalpflege und Flaggschiffproduktion. In den Worten eines englischen Kollegen: Im Grunde genommen ist das MQ ein Beherbergungsprojekt für große Museen (vgl. Roodhouse/Mokre 2004). Da ging es in erster Linie um das Museum moderner Kunst, das zuvor auf zwei wenig geeignete Standorte aufgeteilt war (nämlich das barocke Palais Liechtenstein und den ehemaligen Weltausstellungspavillon beim Südbahnhof). Und dann auch noch ein bisschen um die Kunsthalle, den einzigen größeren Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst in Wien, die aus ihrem provisorischen Quartier am Karlsplatz ausziehen musste. Dass das Museumsquartier nach zwanzigjähriger Plan- und Bauzeit aber überhaupt realisiert wurde, ist der Sammlung Leopold zu verdanken, auf die die Republik Österreich nicht verzichten wollte und die sie ohne entsprechende Ausstellungsmöglichkeiten nicht bekommen hätte. (Nur am Rande sei hier erwähnt, dass es auch bei der Planung und Durchführung der Museumsbauten zu erheblichen Pannen kam und das Museum moderner Kunst etwa kaum eröffnet war, als es schon den ersten größeren Umbau benötigte).
Die äußere Gestaltung dieses Museumskomplexes wurde in erster Linie vom Denkmalschutz bestimmt, dem wohl mit Fug und Recht die wichtigste gestalterische Rolle in der österreichischen Architektur zugeschrieben werden kann. Die ehemaligen Hofstallungen, die den baulichen Rahmen des MQ bilden, wurden von Johann Bernhard und Johann Emanuel Fischer von Erlach in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts errichtet – und allein die Namen der Baumeister wie auch der Zeitpunkt der Errichtung machen die Bausubstanz im österreichischen Verständnis von Denkmalpflege sakrosankt. Daran ändert auch nichts, dass die Bauten ab den 1920er Jahren 60 Jahre lang als Messepalast heruntergewirtschaftet wurden – im Gegenteil: Im Eifer des Denkmalschutzes wurden auch Bauteile für unverzichtbar erklärt, die erst in dieser Zeit entstanden waren. Und die etwas ambitionierteren Pläne für das MQ, wie vor allem der berühmt-berüchtigte Medienturm, scheiterten daran, dass eine solche architektonische Neuerung tatsächlich auch außerhalb des Areals sichtbar gewesen wäre. Dies jedoch sollte weder den Wien-TouristInnen noch der traditionsbewussten Wiener Bevölkerung zugemutet werden – und zumindest Teile der letzteren entwickelten durchaus politischen Aktivismus in Form von BürgerInneninitiativen, um zu verhindern, dass das MQ einen architektonischen Unterschied in Wien machen könnte. Nach dieser Vorgeschichte ist es kaum erstaunlich, dass im Wiener MuseumsQuartier eine reduzierte Version dessen entstanden ist, was wir in den meisten größeren europäischen Städten in der einen oder anderen Form finden: Eine Agglomeration von Museen mit publikumsträchtigen Aus- stellungsprojekten und eine Kombination alter und neuerer Architektur, die in erster Linie einigermaßen langweilig ist. Dazwischen große Freiräume, die – wie jede Art nicht ausschließlich kommerziell genutzten öffentlichen Raums – begrüßenswert sind und sich ansonsten in geradezu bewundernswerter Perfektion in den Mainstream der Kombination von Kunst, Kommerz und kulinarischem Kulturverständnis einpassen. Insgesamt ein glattes und ziemlich langweiliges Areal, zu dessen Auszeichnung auch der Betreibergesellschaft selbst nicht viel mehr einfällt, als dass es eines der zehn größten Kulturareale der Welt ist. Was ja andererseits vielleicht aus heutigem kulturpolitischen Verständnis durchaus ausreicht, um das MQ als erfolgreiches Projekt zu bilanzieren. Da trotz erheblicher öffentlicher Finanzierungen von Museen derzeit kaum mehr (oder anderes) verlangt wird, als dass sie BesucherInnen und Einnahmen maximieren, ist es sicher günstig, wenn sich mehrere große und publikumsträchtige Einrichtungen nahe beieinander befinden und daher TouristInnenströme in möglichst kurzer Zeit durch möglichst viele Museen geleitet werden, ohne dass die städtische Infrastruktur durch Reisebusse unnötig belastet wird. Und vom MQ aus ist nicht nur das Kunsthistorische Museum bequem zu Fuß zu erreichen, sondern auch die Albertina ist nicht weit. (Dass die Wiener Museumsdirektoren einander mit sehr ähnlichen und häufig zeitgleichen Ausstellungen Konkurrenz machen, die außerdem meist von einer europäischen Stadt in die nächste reisen, könnte hier einen gewissen Wettbewerbsnachteil darstellen – vielleicht aber auch nicht; bekanntlich freuen sich viele KunstkonsumentInnen darüber, immer wieder das gleiche zu sehen.)
Doch eine gelungene Verkaufsstrategie lässt sich nicht eins zu eins in kulturpolitische Reden ummünzen; auch wenn große Zahlen in kaufmännischen Bilanzen und Jahresberichten durchaus sexy sind, fehlt es ihnen ein bisschen an der Zukunftsträchtigkeit und Innovation, auf die sich PolitikerInnen stets berufen müssen, um ihre Jobs zu legitimieren. Wobei das Schlagwort "Innovation" eher ein Relikt der 1990er Jahre ist und seit Beginn dieses Jahrtausends von China bis Finnland fast vollständig von dem noch verschwommeneren Begriff "Kreativität" abgelöst wurde. In den meisten Kontexten wurden die beiden Bezeichnungen einfach eins zu eins ausgetauscht; jedes simple Textverarbeitungsprogramm ist in der Lage statt ökonomischer, wissenschaftlicher, gesellschaftlicher Innovationen Kreativität in all diesen Bereichen zu fordern. Mit einer Ausnahme: Das kulturpolitische Repertoire wurde durch den Begriff der Creative Industries erheblich verändert. Hier werden mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Künstlerische und kulturelle Aktivitäten sind kein gesellschaftlicher Luxus mehr, sondern der Wirtschaftsentwicklung dienlich. Die Wirtschaft dient nicht mehr in erster Linie der Profitmaximierung weniger, sondern fördert die Kreativität der Beschäftigten und ist zugleich von ihr abhängig. Und davon lässt sich plausibel ableiten, dass Kunst und Kultur auf öffentliche Finanzierungen weitgehend verzichten können und dass die Kreativität der Individuen nicht durch kollektive soziale Sicherungsmaßnahmen und politische Organisation gedämpft werden sollte (Vgl. zur Kritik der Creative Industries Raunig/Wuggenig 2007). Dabei erscheint es weitgehend nebensächlich, dass niemand wirklich weiß, was die Creative Industries sind – verstehen die einen darunter das, was früher einmal unter dem Begriff "angewandte Kunst" zusammengefasst wurde, subsumieren andere durchaus auch Theater und Museen unter diesen Begriff, während es einer dritten Gruppe eher um Kreativität in "normalen" Wirtschaftsbetrieben, also etwa in Marketingabteilungen großer Unternehmen geht (Vgl. etwa European Commission 1998, MKW 2001). (Eher originell war in diesem Zusammenhang ein Interview mit dem damaligen Kunststaatsekretärs Franz Morak, in dem dieser – ohne weitere Begründung – auch die Reifenindustrie den Creative Industries zuordnete.)
Für das MQ jedenfalls bedeuten die Creative Industries das Feigenblatt, mithilfe dessen ein langweiliges kulturpolitisches Konzept als zukunftsweisend und neuartig verkauft wird. Nicht nur Ausstellungsprojekt, sondern auch Platz für Kulturproduktion, nicht nur die Darstellung von Altem, sondern auch die Entstehung von Neuem, nicht nur große Flaggschiffe, sondern auch Klein- und Kleinstorganisationen – all diesen Aufputz bieten die Creative Industries für das MQ. Und lösen nebenher das Problem, dass die historischen Teile des MQ für den eigentlichen Zweck des Areals ziemlich schlecht nutzbar sind. Nun befindet sich also in den barocken Trakten das "Quartier 21", das mit seinem Namen bereits darauf hinweist, dass es für sich in Anspruch nimmt, dem Kulturverständnis des 21. Jahrhunderts zu entsprechen. Ansonsten hält sich die Beschreibung dieser "Trägerstruktur, die innerhalb des MuseumsQuartier (MQ) kleinen und mittelgroßen autonomen Kulturinitiativen Platz und Unterstützung bietet"1, ebenso wie die Gesamtbeschreibung des MQ an wenig aussagekräftige Aufzählungen: "(…) ein (…) Cluster aus über vierzig Präsentations- und Produktionsorten (…). Mehrere Zeitschriften haben im q21 ihre Redaktionsräume, Künstlergruppen und Projektreihen ihre Homebase, Musiklabels und Interessensverbände ihre Büros. Daneben gibt es einen Plattenladen, ein Café/Restaurant, Künstlerstudios und Gästezimmer, eine große Kulturbuchhandlung sowie mehrere kleine Shops und Servicestellen. (…) Inhaltlich entwickelt sich das q21 durch seine verschiedenen Betreibergruppen zusehends zu einem polymorphen Medienzentrum: das Spektrum reicht von Popmusik und TV bis Medien- und Projektionskunst, von Fotografie, Comics, Filmanalyse und Klangarchitektur bis hin zur Netzkritik." Dass hier unklar bleibt, inwiefern diese unterschiedlichen Aktivitäten einen Cluster bilden, bzw. welchen Vorteil diese Clusterbildung bieten könnte, liegt nicht am Ungeschick derer, die diesen Text formuliert haben, sondern daran, dass sich diese Fragen schlecht beantworten lassen. Das Quartier 21 wurde (ebenso wie das gesamte MQ) nicht aufgrund von konkreten Bedarfsanalysen und Planungen geschaffen, sondern weil es (1) einen Legitimationsbedarf für das MQ gab, (2) Räume leer standen, die gefüllt werden mussten, und (3) der Hype der Creative Industries gerade Österreich erreicht hatte. Details der Implementierung wurden großzügig übersehen: Die Klein- und Kleinstunternehmen in diesem Bereich können sich zumeist die Mieten im MQ nicht leisten, die Räume des Quartier 21 liegen so, dass sich kaum zufällige BesucherInnen dorthin verirren, die baulichen Strukturen sind aufgrund der Denkmalschutzauflagen extrem unflexibel. Ebenso wie die großen Institutionen im MQ eigentlich nichts miteinander zu tun haben wollen, sondern aufgrund von kulturpolitischen Zufälligkeiten an einem gemeinsame Ort gelandet sind, wird auch der Cluster Quartier 21 nicht durch erwartbare Synergien bestimmt, sondern ist in seiner Zusammensetzung in erster Linie davon abhängig, wer sich die Miete dort leisten kann und will.
Soweit also die Geschichte eines spektakulären und in all seinen Phasen abgefeierten kulturpolitischen Scheiterns. Allerdings sind ja geschichtliche Entwicklungen selten so nahtlos und eindeutig, wie sie bisher geschildert wurden, lassen sich bei näherem Hinsehen stets Brüche und Möglichkeiten anderer Entwicklungen erkennen. Im Falle des MQ deutete sich eine mögliche andere, interessantere Projektrealisierung Ende der 1990er Jahre an. Zwanzig Jahre nach Planungsbeginn wurde es selbst für österreichische Verhältnisse langsam offensichtlich peinlich, dass dieses riesige innerstädtische Areal noch immer nicht mehr aufzuweisen hatte, als eine Vielzahl von Baustellen und ungelösten Fragen. Als daher einige kleinere kulturelle Initiativen von sich aus aktiv wurden, Räume für sich beanspruchten und sehr aktiv nutzten, wurde das fürs erste durchaus positiv zur Kenntnis genommen. Und tatsächlich entwickelte sich so etwas wie eine Aufbruchsstimmung unter prekären Verhältnissen aufgrund der Aktivitäten des Architekturzentrums, des depot, der basis wien und der public netbase. Seit den 1970ern hatten ja immer wieder Kulturinitiativen kulturpolitische Nischen gefunden und genutzt, wurden Budgets auch in diesem Bereich stetig erhöht (wenn auch die Erhöhungen stets hinter dem Bedarf zurückblieben und im Vergleich zu den Gesamtkulturausgaben marginal waren). Und nun sah es zumindest für kurze Zeit so aus, als ob einige der spannendsten Initiativen für Kunst, Kultur, Medien und Theorie an einem zentralen Ort Wiens einen Platz gefunden hätten und ihnen damit von der Kulturpolitik eine gewisse Bedeutung zuerkannt würde.
Dazu kam es nicht. Diejenigen, die es der MQ-Betriebsgesellschaft ermöglichten, stolz zu behaupten, dass das MuseumsQuartier bereits zu Bauzeiten ein kulturell hochaktiver Ort ist, mussten (mit Ausnahme des Architekturzentrums) den Platz zu dem Zeitpunkt räumen, zu dem er eigentlich erst wirklich entstanden war. Das passte in die Geschichte des MQ und der österreichischen Kulturpolitik im Allgemeinen. Zugleich aber war es Zeichen der neuen kulturpolitischen Zeit, die mit der blau-schwarzen Regierung ihren Anfang nahm (und durch die rot-schwarze Regierung bisher eher fortgeführt als beendet wurde). Die kulturpolitischen Zielsetzungen der beiden Regierungsparteien waren durchaus unterschiedlich – ging es der ÖVP in erster Linie um die neoliberale Umgestaltung der Kulturpolitik, so hatte sich die FPÖ bereits seit Anfang der 1990er einem offensiven Kulturkampf verschrieben – legendär das Wahlplakat aus 1994: "Lieben Sie Jelinek, Peymann, Bernhard oder Kunst und Kultur?" Diese beiden unterschiedlichen Positionen konnten sich in Hinblick auf das MQ harmonisch ergänzen: Blockbusterausstellungen und Creative Industries entsprechen sowohl dem neoliberalen Paradigma der Verkaufbarkeit als auch dem rechtskonservativen traditionellen Kulturbegriff. Kritische Kulturinitiativen sind für keine dieser Positionen von Interesse – schon gar nicht, wenn sie ihre Kritik über den Kulturbereich hinaus als allgemein politische verstehen. Durch das Engagement von public netbase und depot in der Widerstandsbewegung gegen Schwarz-blau verbreiterte sich der Kulturkampf zum allgemein politischen Kampf, der mit ungleichen Mitteln geführt und von der Regierung mithilfe finanzieller und politischer Repressionen beendet wurde. Wobei der erzwungene Auszug aus dem MuseumsQuartier nur den ersten Schritt darstellte, ihm folgten kontinuierliche Subventionskürzungen, die zum Ende der netbase und zur zunehmenden Marginalisierung des depot führten.
Gäbe es das MuseumsQuartier nicht, es müsste erfunden werden, denn an kaum einem anderen Projekt lässt sich das Versagen österreichischer Kulturpolitik über Jahrzehnte so plakativ darstellen. Scheinbar wurde diese Kontinuität sogar den MQ-Marketingleuten deutlich, als sie im Frühjahr 2007 den 1970er-Slogan "Kultur für alle" für eine Werbekampagne ausgruben. Tatsächlich lässt sich das MQ als das verunglückte Ergebnis der großen sozialdemokratischen Ideale der 1970er interpretieren – Kunst und Kultur in leicht verdaulichen Häppchen, die tatsächlich allen jederzeit zumutbar sind. Mehrheitsfähige und wahlkampftaugliche Kulturpolitik.
Kulturpolitik ist stets und notwendigerweise Demokratiepolitik (dazu ausführlicher Mokre 2007). Und so zeigt sich auch das Demokratieverständnis österreichischer Regierungen verschiedener Couleurs am MQ: Demokratie als Schielen nach Mehrheiten und Orientierung an den künstlerischen und kulturellen Aktivitäten, die am wenigsten Widerstand in der Bevölkerung erwarten lassen. Das lässt sich aus einem vereinfachten Verständnis des Zusammenhangs zwischen Kulturpolitik und Demokratie heraus argumentieren: Bekanntlich werden Kultursubventionen für Kunst und Kultur von allen SteuerzahlerInnen finanziert, kommen von diesen aber nur der Minderheit direkt zugute, die tatsächlich aktives Interesse an Kunst und Kultur beweisen. Allerdings zeigen kulturökonomische Studien, dass auch Nicht-BesucherInnen mehrheitlich positiv gegenüber Kultursubventionen eingestellt sind – im Interesse des Images der Kulturnation Österreich, wegen der Belebung des Tourismus oder weil sie sich selbst oder ihren Nachkommen die Möglichkeit offen halten möchten, doch einmal die eine oder andere kulturelle Einrichtung zu besuchen. Natürlich gilt diese befürwortende Einstellung im allgemeinen nur in Hinblick auf Institutionen, die den Nicht-BesucherInnen (möglichst positiv) bekannt sind. Orientiert sich also Kulturförderung an den Interessen der SteuerzahlerInnen, die mehrheitlich keine KulturkonsumentInnen sind, so orientiert sie sich zugleich am künstlerischen und kulturellen Mainstream.
Spätestens seit Foucault (vgl. etwa Bröckling et. al.2000) wissen wir allerdings, dass Interessen und Bedürfnisse nicht individuelle Eigenschaften sind, die sich im Rahmen der Demokratie zu Mehrheiten aggregieren, sondern dass politische Systeme (und insbesondere Demokratien) Mentalitäten schaffen und entwickeln, die sich mit dem je hegemonialen Verständnis von Politik und Gesellschaft vereinbaren lassen. Soll Demokratie als normativer Horizont also irgendeine Bedeutung haben, so kann es nur darum gehen, Alternativen zu hegemonialen Ideen und Machtverteilungen zu entwickeln, aufgrund derer echte politische Entscheidungen zwischen verschiedenen Konzepten möglich werden. Kulturpolitik als Demokratiepolitik in diesem Sinne hätte also Räume für Kritik zu schaffen, statt Initiativen mit dem Hinweis darauf abzudrehen, dass sie "die Hand beißen, die sie füttert."2 Wie sonst soll deutlich werden, wie diese Hand das Futter verteilt und welche anderen Möglichkeiten des Umgangs mit Händen und Futter es gäbe?
Es ist wenig erstaunlich, dass ein solches Demokratieverständnis bei einer Regierung nicht zu finden war, die schon mit dem Prinzip der freien Meinungsäußerung erhebliche Probleme hatte (siehe etwa das Verfahren gegen den Politikwissenschaftler Anton Pelinka, der den damaligen FPÖ- Chef Jörg Haider wegen Verharmlosung des Nationalsozialismus angegriffen hatte). Und es bleibt abzuwarten, ob eine sozialdemokratische Partei in der Regierung zu einer Trendwende in der österreichischen Kultur- und daher auch Demokratiepolitik führt. Bisher spricht dafür wenig.