so2 wurde ich einmal3 in tschechien anlässlich eines vortrages vorgestellt,4 den ich dort, polemisch angelegt, zum besten hätte geben sollen. daraus ist nichts geworden.
der erste satz meines vorgesehenen vortrages war: kultur ist zerstörung.5
ich sei nicht irgendein kulturologe, sondern ein bedeutender, österreichischer. in der doppelhervorhebung hatte das attribut österreichischer selbstredend einen viel stärkeren glanz. denn, wenn es auf der welt ein für die ganze welt mustergültiges kulturland gäbe, wenn irgendein land auf der welt mit der kultur bis zum rand voll gefüllt ist,6 dann ist es österreich.7
ö-s-t-e-r-r-e-ichischer: die hochachtung war aus der gehobenen aussprache jenes topographischen eigenschaftswortes, mit dem dort meine geographische herkunft als vortragender kulturologe taxiert wurde, deutlich herauszuhören. so einer. aber doch nur ein eingebürgerter.8
trotz ihrer traditionellen abneigung für alles österreichische: bei der österreichischen kultur machen sogar die tschechen eine ausnahme. dies nicht selbstlos. vor allem aus einem grund: sie schätzen sich als einen konstituierenden bestandteil der österreichischen kulturtradion ein. deshalb verehren sie nahezu abgöttisch den begriff mitteleuropa.9 niemand sonst verehrt und verwendet diesen mythischen topos derart gern und innbrünstig wie die tschechen.10 wien ist ja einst auch eine bedeutende tschechische stadt gewesen.11 aber nicht geblieben. wenn es eine phantomstadtkultur gibt, dann ist es wien als metropole. nie gewesen, fast geworden, aber das ist lange her und für lange vorbei.12
meine erste begegnung mit dem befremdlichen und doch gravitätischen tätigkeitswort kulturologe passierte während eines symposiums über mitteleuropäische architektur. da ich den moderator der tagung wohl zu verblüfft angeschaut hatte, fragte er mich, ob es nicht stimme. gewiss, antwortete ich, es stimme vollkommen, vor allem das mit den attributen österreichischer und bedeutender. nur wisse ich nicht, was ein kulturologe sei. auch habe ich nicht gewusst, dass auch ich so etwas sei. dass ich das wort jetzt zum ersten mal höre. woran werkt ein typischer kulturologe? fragte ich.
nachdem ich akzeptiert hatte, dass auch ich so einer sein könnte, diskutierten wir darüber, was ein durchschnittlicher kulturologe verkörpert.13 ob er jemand sei, der auch kultur macht, also ein kulturmacher ist wie dies zum beispiel theatermacher oder schuhmacher sind. oder ob er eher jemand ist, der, so wie ein gynäkologe lediglich hilft, kinder auf die welt zu bringen, ohne aber an deren zustandekommen in den meisten fällen beteiligt gewesen sein, der also kultur auf die welt zu kommen hilft, was man ja auch immer häufiger beobachten kann wie zum beispiel im fall der kuratoren, die immer mehr werden und immer bedeutender und in österreich auch immer österreichischer, so bedeutend, dass von ihnen zunehmend abhängt, ob und welche und auf welche art die kultur sichtbar gemacht wird14 oder eher einer ist, der wie ein seismologe, der die erdbeben lediglich beobachtet, registriert, definiert und kommentiert, der jedoch keineswegs imstande ist, sie auszulösen oder gar zu verhindern.
oder jemand, der, wie die theologen es tun, gott auf die welt bringt, beziehungsweise dafür sorgt, dass gott aus der welt nicht entschwindet, damit die menschen sich ordentlich benehmen und nicht wie die affen auf den bäumen klettern, wie der brave soldat schwejk zu argumentieren pflegte, wenn er seine these verteidigte, die höchste form der kultur sei die ordnung, die militärische ordnung natürlich, und die höchste form der militärischen ordnung sei der krieg.15
nachdem dr. friedrich nietzsche den tod gottes diagnostiziert hat, ist ein problem entstanden, das noch immer nicht ausreichend gelöst werden konnte. natur, die immer wieder gott auf der welt funktionell zu vertreten pflegt, erträgt keine leere, also hat sie daher an stelle gottes die kultur eingeschoben. kultur, das kann man schon so ausdrücken, ist ein anderes wort für form.16
nachdem dr. gottfried benn diagnostiziert hat, dass form gott ist, müssen wir annehmen, dass gott nicht tot ist, er hat sich, dem wunsch benns folgend, in form verwandelt und weilt weiterhin unter uns, ist weiterhin allgegenwärtig.
es gibt zahlreiche anzeichen, dass gott, zumindest partiell, durch kultur ersetzt wurde. kultur hat alle attribute gottes bekommen. sie ist aus dem definitorischen gegensatz zur natur entlassen, und die natur wurde allmählich in der kultur aufgelöst in einem ähnlichen prozess wie einst gott in der natur aufgelöst wurde im sinn des pantheismus oder seiner späteren form transzendentalismus. diese transformationsprozesse sind zahlreich, vielfältig und oft kaum sichtbar oder bemerkbar, dies alles besonders in jenen bereichen, die man als kultur im engeren (nicht aber ursprünglichen) sinn versteht, also musik, film, bildende kunst, tanz etc. also kunst, auch hochkultur genannt.
vergessen wir die kultur. wir wissen nicht, was sie bedeutet. das wort kultur ist am ende seiner bedeutungsgeschichte angelangt, da es zu einer krücke für alle möglichen dummheiten geworden ist. wozu dient ein ministerium irgeneiner abstrakten kultur, wenn wir eine bierkultur, eine esskultur, eine parlamentskultur, eine kultur des rechts, eine schimmel- und joghurtkultur haben? eine kultur ohne attribut ist betrug.17
kultur ist phantom, stadt ist real.18 kulturstadt ist horror.19