Stell dir vor, Wien wäre anders. Beschmierungen und Stadtbetrachtung

"In einem Detail unterscheidet sich Wien..von allen Konkurrenzmetropolen. Der kleine Unterschied prangt tausendfach an Wiener Fassaden und macht Wien zur Welthauptstadt. Des Hauswandrassismus."

Wailand Markus


 

Wien ist nicht anders. Nicht anders als andere »Kulturstädte«: Es verfügt als Vorzeigedestination aus dem Kulturreisen-Katalog über die global genormte Anzahl an Hochkulturstätten, hält sich eine Off-Szene, veranstaltet Festivals und vermittelt die Konservierung von historischer Bausubstanz, regressiven gesellschaftlichen Verhältnissen und verklärter Kaffeehauslethargie als »Lebenskultur«. Wie die anderen Kulturstädte auch, versucht Wien qua Kultur authentisch anders zu sein, um den anderen möglichst gleich zu werden.

In einem Detail unterscheidet sich Wien jedoch von allen Konkurrenzmetropolen. Der kleine Unterschied prangt tausendfach an Wiener Fassaden und macht Wien zur Welthauptstadt. Des Hauswandrassismus.
Stell dir vor, in deiner Heimatstadt steht viele tausende Male »Neger raus«, »Fuck Niggers«, »Töte Neger« etc. auf Häuser geschmiert, und niemand löscht es weg: Willkommen in Wien. Während die Schneeräumung hier per Gesetz minutiös geregelt ist, und auch die Frage der Hundekotbeseitigung unter größter öffentlicher Anteilnahme erörtert wird, fühlt sich für die »N**** raus«-Parolen niemand zuständig. Anzeigen kann man sie nur wegen Sachbeschädigung, nicht wegen Verhetzung. Den Behörden fehlen angeblich die Ressourcen, um ernsthaft nach TäterInnen zu fahnden, und der Stadt Wien mangelt es angeblich an Geld, um die Parolen zu entfernen.

Dabei geht es um zweierlei. Um die Beschmierungen, und um deren Beispielhaftigkeit für den Umgang mit politischen Konflikten. Weil es nämlich keinen gibt. Keine Praxis der Konfrontation, der politischen Auseinandersetzung. Um diese zu vermeiden, wird gerne vom politischen aufs soziale Feld ausgewichen, hier ist jede Beschäftigung individuell, anekdotenhaft und jedenfalls nicht grundsätzlich. Im Folgenden einige Momentaufnahmen, um die politische Dimension des apolitischen Umgangs mit Rassismus verdeutlichen.
Stell dir vor: eine Polizeistation. Im Minutentakt kommen PolizistInnen um die Ecke, auf den paar Metern vom Funkwagen zum Eingang der Wachstube. Sie gehen diese Schritte seit Jahren, wie im Schlaf, tour retour. Dass sich an dieser Ecke etwas verändert hätte, ist ihnen nicht aufgefallen. Schließlich haben sie, wie die Mehrheit der Wienerinnen und Wiener, den Anblick einer »N**** raus«-Beschmierung an einer Hauswand bereits in das gängige Repertoire alltäglicher visueller Eindrücke aufgenommen, die vom Gehirn in der Wahrnehmungsarbeit als redundant ausgeschieden werden. »N**** raus«-Beschmierungen sind so unsichtbar wie Schilder mit Straßennamen oder Autonummern, Hakenkreuze wie Zigarettenautomaten oder Mülleimer. Vielleicht könnte mal jemand diese Art des Verdrängungs-Wahrnehmens unter dem Stichwort »Wien-Blick« für Wikipedia zusammenfassen.

»Schon wieder?«, sagt der Beamte, als jemand die Beschmierung als Verhetzung anzeigen möchte, »hat schon wieder wer was hingeschmiert?«. Beim Lokalaugenschein vor der Türe erkennt der Beamte die Beschmierung wieder. Ist eh die alte. Glasklar wie unsichtbar. Warum sie noch da wäre, könne er nicht sagen, sie hätten das eh schon weitergegeben. Weiter wohin bleibt unklar, entfernt wurde die Beschmierung jedenfalls nicht. Dafür schaffte sie es auf YouTube, seit 13. April 2007 führt sie sich dort allen vor Augen, die nach den Begriffen »Rassistische Beschmierung« suchen. Wien muss man gar nicht extra angeben, versteht sich – so scheint’s – von selbst.

Drei Wochen später kommt der Journalist und Chefredakteur von Afrikanet.info, Simon Inou, mit einem Filmteam für Dreharbeiten zum Thema rassistischer Beschmierungen zum Deutschmeisterplatz in Wien. Sie filmen die Beschmierung (strahlt in alter Frische), machen Fotos, und dann betritt Inou die Polizeistation, um ebenfalls eine Anzeige wegen Verhetzung zu machen. »Wo steht da was? Das muss ganz neu sein, das höre ich zum ersten Mal«, so die Reaktion des Beamten. Auch er kommt mit vor die Türe. Er sehe das zum ersten Mal. Mehr als einen Monat schon? Unmöglich, niemals. Von einer Anzeige wisse er nichts, aber sie werden das jetzt erledigen. Ja, sofort. Auf »ihre« Weise. Lieber ohne Kamera. Es geschieht das Unerwartete: Zwei Beamte kommen mit Kübel, Schwamm und Putzmittel angerückt und waschen die »N*** raus«-Hetze von der Wand. Drei Minuten Arbeit nach wochenlanger Hetze im öffentlichen Raum. Eine Beschmierung unter tausenden anderen, die nicht zufällig auf einer Polizeistation zu lesen stehen. Zwei Beamte, die eine »private« Lösung liefern, weil es keine funktionierende öffentliche Praxis gibt.

Die Beschmierungen sind nur ein Ausgangspunkt für eine aufmerksame Stadtbetrachtung. Schnell wird klar, dass Wien gespickt ist mit Klischees zu schwarzen Menschen, die unhinterfragt weitergetragen werden. Und wieder geht es nicht nur um diese, sondern um die Bestandsaufnahme, dass es hierorts keine Praxis der Repräsentationskritik gibt. Welche Geschichten erzählen Bilder wie das Logo des Kolonialwaren-Handelshauses Julius Meinl (das Logo zeigt einen »Mohren« mit gesenktem Haupt). Welche Bedeutungen sind Redewendungen eingeschrieben wie »Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann?«, »schwarzes Schaf«, »schwarz fahren« oder »neger sein« (wienerisch für »kein Geld haben«)?

Wien wäre gern anders. Warum nicht? Stell dir vor, es ist Meinl, und keiner kauft ein. Auf der Speisekarte steht »Mohr im Hemd« und niemand bestellt. Ein Zeitungsartikel mit eindeutig rassistischen Argumenten setzt der Diskussion ums Bleiberecht die Krone auf und es hagelt LeserInnenbriefe, Abokündigungen und Inseratenstornos. Am Fußballplatz beleidigt ein Zuschauer einen Spieler aufgrund seiner afrikanischen Herkunft, und ein Chor von umstehenden ZuseherInnen komplimentiert den Sportsfreund lautstark von der Tribüne. Auf einer Hauswand steht »N**** raus« und in weniger als 24 Stunden ist die Beschmierung von BeamtInnen der nahe gelegenen Polizeistation als Delikt nach dem Verhetzungsparagraphen bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Als der Übermal-Trupp des städtischen Reinigungsdienstes anrückt, um die Hetzparole zu entfernen, bleiben die Farbroller trocken: diesmal waren die BürgerInnen schneller als ihre Stadtverwaltung. Ein feines Stück Science Fiction: politisch progressive Kollektivkräfte rocken die Welthauptstadt des Hauswandrassismus.

Traum – und Wirklichkeit? Ein »M*** im Hemd« ist schnell bestellt. Wo ist denn das Problem? Eine Traditionsmehlspeise, ein Stück »Kultur« in Form eines Kuchens, in Dampf gebacken, mit brauner Schokoladeglasur übergossen und mit einem Sahnehäubchen dekoriert. Und mit einem Namen versehen, der den »Mohr« zu einem dekorativen, pittoresken Objekt degradiert. Schwarze Menschen fühlen sich diskriminiert, wenn ihre Geschichte als Opfer von Kolonialismus und Sklaverei auch noch im Mehlspeisenformat aufbereitet wird. Die österreich-übliche Reaktion: Geh, bitte. So ist das doch nicht gemeint. Tradition ist das, nicht Rassismus. Geschichte! Gehört zur Kultur der Stadt! Nicht immer gleich die Keule schwingen. Außerdem ist es doch fast ein Lob: Schwarze Menschen in weißen Hemden, die sind einfach zum Anbeißen! Und wie sollte man es sonst nennen, Schokokuchen mit Schlag?

»Mein Julius hat keine Lust mehr auf ein dienstbotenartig gesenktes Haupt«, beginnt der Text zur Erklärung der Kritik am Logo des Handelshauses Julius Meinl, vulgo »Meinl-Mohr«. Auch hier geht es um eine stereotype Darstellung eines schwarzen Menschen in einer klassischen Rolle: der »Mohr« als Aushängeschild der Kolonialwarenhandlung, die sich über Jahrzehnte ihrer KundInnenunterwürfigkeit rühmte: »Womit kann ich dienen?« Natürlich mit exotischen Waren aus fernen Ländern, und der gebotenen Unterwürfigkeit. Gegen dieses Konnotations-Konglomerat wendet sich die Initiative »Mein Julius«, und ist zugleich ein Gegenbild: Eine schwarze Faust tritt an die Stelle des Meinl-M*****, der sich aus seinem Markenzeichendasein in die Selbstbestimmung entlässt. Als die österreichische Tageszeitung »Der Standard« in einer Notiz über die Initiative »Mein Julius« berichtete, explodierte unter den Online-LeserInnen eine Diskussion um die Widersinnigkeit der Kritik am Meinl-Logo, wo die gesamte Bandbreite an beschwichtigenden, verharmlosenden und schlicht zynisch-rassistischen Kommentaren aufgefahren wurde. Auch hier immer wieder der Hinweis auf »Geschichte«, »Tradition« und »Kultur« – Tenor: Wir lassen uns unseren M***** nicht schlechtreden. Die aktive Gestaltung gegenwärtiger, gesellschaftlicher Verhältnisse interessierte nur die wenigsten Poster. Dabei wäre gerade das Meinl-Logo ein so geeignetes Objekt für einen symbolträchtigen Schritt heraus aus den Schatten der Vergangenheit. Wer gegen rassistische Hetze auf Hausmauern wettert, kann mit der Kritik vor einem Logo, dessen rassistische Implikationen seit Jahrzehnten diskutiert werden, nicht haltmachen. Wahrscheinlich wird der Meinl-Konzern »sein« Logo nicht so schnell aufgeben. Der Verehrung und Verklärung des Meinl-M***** als nostalgischem Kultobjekt entgegenzutreten, ist aber eine individuelle Entscheidung; der mögliche Effekt ein Indikator für das Selbstverständnis von Kulturstadt-BewohnerInnen.

»Wer die Judenverfolgung 1938 verurteilt, muss heute gegen die Hetze gegen schwarze Menschen in Wien auftreten«, so argumentieren die beiden jüdischen KünstlerInnen Eva Grudin und Yossi Gutmann im Rahmen ihres Projekts »CounterAct«. Bemerkenswert ist, dass sie diese Forderung aus einer bewusst jüdischen Perspektive erheben, und damit auch zeigen, dass es in dieser Frage nicht um die Partikularinteressen einer spezifischen Gruppe geht, sondern um das Prinzip politischer Solidarität aus einer universellen Betrachtungsweise. Kein Mensch, der Wert auf eine demokratische, aktive, politische Kultur legt, kann sich in Fragen von Rassismus, Sexismus und anderen Spielarten der Diskriminierung aus der Verantwortung nehmen. Stell dir vor, Wien wäre voller tatsächlich geführter politischer Diskussionen, in der Straßenbahn wie auf den Zeitungstitelseiten. Dann wäre Wien wirklich anders: eine Kulturstätte unter Kulturstädten.

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