Möbelrücken auf der grünen Wiese. Eine Betrachtung zu Chancen und Versäumnissen von Kunst im öffentlichen Raum in Wien

Man kann sich...des Eindrucks nicht erwehren, dass die besonders stark kommunizierten Projekte jene sind, die noch einem veralteten, statischen oder wenig dynamischen Begriff von Kunst im öffentlichen Raum entsprechen. Mutig wäre jedoch eine umgedrehte Bewertung öffentlicher Kunstprojekte...

Feßler Anne Katrin


 

»Ein wunderbar ironisches Statement zur Endlichkeit des Seins«, beschrieb Gerald Matt, Direktor der Kunsthalle Wien, den »Wellness Skull« des niederländischen Künstlers Joep van Lieshout. Ende November 2008 stellte man den monumentalen Totenkopf auf der grünen Wiese am Karlsplatz auf. An einem von Wiens frequentiertesten Verkehrsknoten passieren täglich etwa 50 bis 60.000 Autofahrer und ebenso jede Menge Radfahrer wie Fußgänger die inhaltlich vielschichtige Skulptur.
– Antworten auf den Horror der eigenen Sterblichkeit gibt heute nicht mehr die Religion. Statt Spiritualität boomt die Wellness-Industrie und daher versteckt sich im Schädel, dem ewigen Vanitas-Symbol, ein kleines vollfunktionsfähiges Wellness-Center mit Sauna, Whirlpool und Dusche. »Eine ungewöhnliche Möglichkeit, sich zu entspannen«, schwärmte die Austria Presseagentur, »weißer Dampf strömt aus den Augen des Totenkopfes, wenn die Sauna aktiv ist.« Tatsächlich: Ein wunderbar ironisches Statement.

Für Ironie sorgen hierbei allerdings banalere Tatsachen. Banalitäten, die sich an das kleine Wörtchen »vollfunktionsfähig« knüpfen. Denn funktionieren würde das knöcherne Wellness-Center – soviel ist bei van Lieshout, der quasi als Kommentar auf den Kunstmarkt dem Publikum der Art Basel eine Arschbar (»BarRectum«, 2005) vor die Nase setzte, sicher. Allein der Wellness-Knochen ist nicht in Betrieb – und auch nicht an Wasser oder Kanal angeschlossen: Aus Sicherheitsgründen – drohendem Vandalismus und Hygienerisiken – ist Baden, Duschen und Saunieren nicht gestattet. »Gewiss, die Nutzbarkeit ist wichtig für das Atelier van Lieshout (AVL). (...) Funktionalität gehört zum Konzept dazu, aber es ist nicht der Ausgangspunkt. (...) Zunächst handelt es sich um Kunstwerke und als solche funktionieren sie auch«, bringt man bei AVL in Rotterdam für die Endlichkeit der Kunst im öffentlichen Raum Verständnis auf.

Obwohl so eine soziale Plastik, eine Art Tröpferlbad für badewillige Stadtbewohner, ein mutigeres Zeichen gewesen wäre, ist das alles kein Beinbruch. (Die Gruppe assocreation errichtete 2006 etwa in einer Bauschuttmulde den Prototypen für einen Pool vor der Haustür.) Ist es ein Wagnis zu behaupten, dass mit dem entsprechenden Willen und Mitteln, die Hygiene- und Sicherheitsauflagen der Stadt für dieses temporäre Projekt zu erfüllen gewesen wären? Gut, ein weiterer Schönheitsfehler im Feld der Kunst im öffentlichen Raum, über den man getrost die Achseln zucken kann. Kann man?

Denn der Wellness Skull ist in seiner kastrierten Installierung ein Symptom dafür, wie in Wien Entscheidungsträger der Stadt Kunst im öffentlichen Raum begegnen und wie sie diese definieren. Warum? Vollfunktionsfähig, aber nicht vollfunktionstüchtig – damit bleibt das Fallbeispiel, der Wellness Skull, auf seine plastischen Qualitäten, auf seine Oberfläche reduziert. Sein trockenes Innenleben, öffnet sich nur auf Anfrage und an jedem ersten Samstag im Monat. Nur dann dürfen unter Aufsicht Sauna, Dusche und Wanne inspiziert werden. Überspitzt ausgedrückt also mehr ein geschlossenes, also nichtöffentliches Kunstwerk, oder sogar mehr ein Ausstellungsraum mit spärlichen Öffnungszeiten als ein Kunstwerk im öffentlichen Raum.
Ein Kunstwerk im öffentlichen Raum – in größtmöglicher Kürze sei nun umrissen, was das überhaupt ist: Kunst im öffentlich Raum ist heute ein Sammelbegriff für Kunstwerke oder künstlerische Praxen, die sich im kommunalen öffentlichen Raum präsentieren, sei es als spontane Geste, temporäres oder dauerhaftes visuelles Statement oder prozessualer Eingriff. Kunst im öffentlichen Raum ist auch der Oberbegriff für Street Art und Graffiti; Kunst am Bau wird in der heutigen Auffassung aber mehr und mehr von der Kunst im öffentlichen Raum ausgeschlossen, da sie zwar in den öffentlichen Raum wirkt, sich im Regelfall aber auf Privatgelände befindet. Von den Anfängen, wo man unter Kunst im öffentlichen Raum vorrangig historische Repräsentations- und Erinnerungsmonumente in Form von Standfiguren, Büsten und Fassadengestaltungen verstanden hat, ist man heute weit entfernt. »Die ausschließlich architektonisch konfigurierte ›leere‹ Piazza, auf der ein öffentliches Bildwerk als staatstragendes Argument angesiedelt war, der Platz auf dem eine neue bürgerliche Öffentlichkeit sich bildhaft in Szene setzte, markieren fernere historische Positionen« (Werner Fenz). Von der Kunst als dekorative urbane Möblierung hat man sich allerdings noch weniger etabliert, als man landläufig glaubt.

Denn noch immer ist jene recht alte Auffassung von Kunst im öffentlichen Raum am gängigsten, die diese als im Außenraum aufgestellte Kunstwerke, als Stadtmobiliar renommierter und vor allem internationaler Künstler versteht, deren einziges Konfliktpotential die Frage der Gefälligkeit ist. Positive Nebenwirkung dieser Kunst im öffentlichen Raum ist ihr Nutzen als Fotomotiv für Touristen und als Prestige- und Imageträger. Am reinsten läßt sich dieses Phänomen in Salzburg ausmachen.
Im Mozartstädtchen will die private Salzburg Foundation 2012, also nach zehn Jahren, in denen sie jährlich zur Festspielzeit eine Skulptur für den öffentlichen Raum (von Anselm Kiefer über Mario Merz bis zuletzt Tony Cragg) inklusive zunehmend lauer werdender Geschmacksdebatte gestiftet hat, gerne als letzte Aktion einen kleinen Kubus im öffentlichen Raum aufstellen: Eine Herberge für weitere Kunst. Originell, nicht? Obwohl man in Salzburg – zumindest in der Theorie – Reaktionen der Künstler auf den kulturgeschichtlich durchwirkten Stadtraum wünscht, füllen dann doch immer wieder »drop sculptures« die Piazzas der Mozartstadt. Arbeiten also, die sonst in Ateliers und Kunsträumen zuhause sind, finden sich ohne ihr schützendes Gehäuse im Außenraum wieder, setzen sich Witterung und gefühlsmäßigen Wetterlagen der Stadt aus. Craggs angestrebte Interaktion mit dem zugeparkten Makartplatz war dann eine geringfügige Adaption eines Entwurfs, der sich in seinem Atelier fand.

Ist Wien da wirklich anders? Zum Teil schon: Hier dürfen nicht nur international anerkannte Künstler, sondern Akteure der Wiener Szene Projekte verwirklichen. Auch auf den Schwund des öffentlichen Raums, etwa wegen seiner zunehmenden Privatisierung und Besetzung mit Nutzungsidentitäten, reagiert man im Vergleich dynamischer. Verstärkt werden temporäre Projekte, die nur einige Wochen oder Monate dauern, umgesetzt. In der Regel verschlingen diese wenig finanzielle Mittel und haben häufig positive Nebeneffekte, setzen etwa neue Impulse in toten Grätzln. Positiv erwähnt sei hier etwas das gemeinsam mit der Technischen Universität und der Akademie der bildenden Künste durchgeführte Projekt »Meidlinger Markt er:lebt«: Man hoffte, dem Markt wieder etwas Leben einzuhauchen. Eine Wiederbelebungsmaßnahme, die selbstverständlich auch wirtschaftliche Erwägungen beinhaltete, vergleichbar etwa mit jenen des von der Wirtschaftskammer unterstützten Stadtteilprojekts »Making it« in Margareten. Impulse aus Kunst- und Kreativszene werden immer mehr von Wirtschaft und Stadtplanung zur Gentrifizierung ganzer Viertel eingesetzt. Im Idealfall profitieren beide Seiten davon in gleichem Ausmaß.
Insbesondere bei den temporären Projekten sollte man im Einzelfall kritisch innehalten: Ist das temporäre Projekt wirklich die ideale Lösung? Oder mangelt es vielmehr an politischem Willen und/oder Ressourcen wie Platz und Geld? Drop Scultures sind aber auch in Wien keine Ausnahme: Auch das gewählte Fallbeispiel, der Wellness Skull van Lieshouts ist – obwohl das Thema am Konfliktherd Karlsplatz gut andockt – eine solche. Denn die Fiberglas-Arbeit wurde für einen anderen Bedeutungszusammenhang, eine Ausstellung zum Thema Spiritualität 2007 in Paderborn, konzipiert. Ursprünglich hätte Joep van Lieshout in Wien schon ortsspezifisch arbeiten wollen. Im Wiener Kabelwerk sollte eine permanente Installation realisiert werden, die auf die industrielle Vergangenheit des ehemaligen Kabelwerks Bezug nimmt. Eine veränderte bauliche Situation soll zum Scheitern des Projekts geführt haben.

Zurück aber zur Annahme, in Wien laute die Devise: kontrollierbare Einheiten, statt potentielle Störfaktoren mit Sicherheitsrisiko. Die trockene Nasszelle am Karlsplatz ist nicht das einzige Anzeichen dafür. Man erinnere sich an ein wesentlich absurderes Beispiel: Auch das Aufmalen von maßstabgsgetreuen Hubschrauber-Schatten an 23 öffentlichen Plätzen, darunter Praterstern, Schwedenplatz und Schottentor, mit wasserlöslicher Farbe, gelang in Wien nicht. Diese künstlerische Intervention der Global Security Alliance (GSA) sollte 2008 während der in Wien stattfindenden World Security Days stattfinden. Ein Eingriff, der Sicherheitspolitik – das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung vor dem Hintergrund der Satellitenüberwachung – zu hinterfragen gedachte. Trotz positivem Förderansuchen und langer Vorbereitung wurde das Projekt jedoch ausgerechnet aus »Erwägungen zur öffentlichen Sicherheit« gestoppt. Laut Konrad Becker, Mitglied der GSA, wurden vom Magistrat plötzlich sogar pädagogische Gutachten verlangt, um bei Kindern bleibende Schäden durch die Schattenbilder ausschließen zu können. Das Bedrohungsszenario aus Wasserfarbe war den Wienern also nicht zumutbar; in München hatte die Schattenmalerei 2006 keinerlei Genehmigungsprobleme verursacht. Auch der Kooperationspartnerin KöR, die offizielle Institution für »Kunst im öffentlichen Raum Wien«, die bei der Abwicklung der genehmigten Projekte hilft und sich insbesondere bei behördlichen Auflagen als unterstützender Partner der Kulturschaffenden sieht, gelang es nicht, in diesem Fall zu vermitteln. Ein schattiges Plätzchen im Innenhof der Akademie der bildenden Künste am Schillerplatz – also wiederum einem weitgehend abgeschlossenen, von außen uneinsichtigen Raum der Kunst – gewährte schließlich deren Rektor Stephan Schmidt-Wulffen. Der nächste Regenguss wusch ohnehin alles fort.

Letztendlich zeigen aber beide Beispiele, was passiert, wenn Projekte durch übertriebene behördliche Auflagen in ihrer Wirkkraft beschnitten oder in ihre »angestammten Areale« zurückgedrängt werden: Sie steuern sachte in Richtung Bedeutungslosigkeit. Mehr als schade ist es auch um Hans Kupelwiesers Entwurf für ein Mahnmal für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus, das bereits für 2006 geplant war, aber auch 2008, im Gedenkjahr zu 70 Jahren »Anschluss«, nicht realisiert werden konnte. Die rosa Färbung des Wassers für das 20 x 20 Meter große Becken erwies sich nicht als alltagstauglich. Im Frühjahr 2008 wurde das Projekt gekippt. An den Künstler ging ein Folgeauftrag für ein Werk ohne Wasser. Im Sommer kündigte das Büro des Kulturstadtrats eine Neupräsentation für Herbst an. Jetzt ist es still geworden um das Mahnmal. Ohne Wasser kam am Mexiko-Platz Marko Lulics Mahnmal für den Mythos Österreichs als erstes Opfer der NS-Aggression aus. Eine unkomplizierte Installation, die an seinem Aufstellungsort nun lediglich um die Aufmerksamkeit der Passanten kämpft.

KöR-Geschäftsführerin Bettina Leidl hat den Eindruck, dass die Stadt Wien gegenüber Projekten im öffentlichen Raum mehr Offenheit zeigt, den bürokratischen Prozess vereinfacht hat und »prinzipiell Projekte im öffentliche Raum als Möglichkeit begrüßt, auch die nicht kunstaffine Bevölkerung ästhetisch zu ›infizieren‹«. – Infekt also erwünscht: Bei KöR scheint man Hoffnung für infizierende Duschen, rosa Gewässer und mit Terrorängsten verseuchte Schattenbilder zu hegen. Was ist KöR aber nun genau? Ein kurzer Exkurs zu dieser maßgeblichen Wiener Struktur: Damit Kunst im öffentlichen Raum in der Hauptstadt nicht zum Dekor verkommt, richtete man in Wien 2004 einen Fonds für Kunst im öffentlichen Raum ein, der »Kontext- und Ortsbezogenheit von Projekten als ein wesentliches Charakteristikum« definierte. Eine Struktur, die Aufträge vergeben, Wettbewerbe ausloben, Fördergelder vergeben und bei der Projektabwicklung auch als Partner der Einreicher auftreten möchte. Das war ein wichtiger und positiver Schritt für Wien, das – oft von der Opposition bemängelt – allerdings nach wie vor keine gesetzliche Regelung für Kunst im öffentlichen Raum hat. Der mit 800.000 Euro aus den Budgets der Stadträte für Kultur/Wissenschaft, Stadtentwicklung und Wohnbau dotierte Fonds war organisatorisch zunächst an das – inzwischen aufgelöste – Wissenschaftszentrum Wien angeschlossen. Die Finanzen wurden von der Kulturabteilung der Stadt Wien, Referat für Bildende Kunst, abgewickelt, und als Lobbyist der Kunst war ein künstlerischer Beirat installiert. Der Fonds erwies sich als wenig praktikable Struktur und wurde daher 2007 in eine Gmbh umgewandelt. Eine Umstrukturierung, die der damalige Leiter des Fonds, Roland Schöny, im Auftrag des Kulturstadtrats Andreas Mailath-Pokorny, noch vorbereitet hatte. Entsprechend vor den Kopf gestoßen war Schöny, dass man auf ihn in Hinkunft verzichten wollte. Die Projektkoordination übernahm Ricky Renier, die den Auftritt Österreichs bei der Arco in Madrid organisiert hatte. Inhaltlich wird sie wiederum von einem Beirat unterstützt. Statt KöR aber – wie die neu geschaffene Struktur für Kunst im öffentlichen Raum fortan heißen sollte – als autonome GmbH weiterzuführen, wurde sie zu einer Tochtergesellschaft unter dem Dach der Kunsthalle Wien.
Eigentümvertreter sind Direktor Gerald Matt und Geschäftsführerin Bettina Leidl. Begründet wurde die Eingliederung mit den Erfahrungen der Kunsthalle in der Abwicklung von Projekten im öffentlichen Raum, also mit einer gewünschten Professionalisierung.

Mit »überraschend« und »unschön« können die Reaktionen der Szene auf jene ruckartigen personellen wie organisatorischen Entwicklungen im Jahr 2007 zusammengefasst werden. Gegenseitige Schuldzuweisungen – insbesondere in Fragen der Fortführung bereits begonnener Projekte – dominierte zunächst das öffentliche KöR-Gespräch. Das Waschen schmutziger Wäsche schien in dieser Zeit regelrecht die einzige Kunst im öffentlichen Raum zu sein: Es sollte nach der Gründung der GmbH am 1. Juli über ein halbes Jahr dauern, bis sich auf der Website die für Einreichwillige wichtigen Ausschreibungsunterlagen, Selbstbild und Informationen über die Struktur von KöR wiederfanden. Nach langer Anlaufzeit läuft der Betrieb nun, der quantitative Output ist groß, die Kritik an der KöR-Eingliederung in die Kunsthalle reißt jedoch nicht ab. Insbesondere die Abgrenzung zur Dachmarke Kunsthalle bereitet Probleme und lässt sich auch an der medialen Berichterstattung ablesen, die statt der KöR eben die Kunsthalle als Initiatoren der Projekte nennt. Im Fokus des öffentlichen Interesses steht weniger der fünfköpfige künstlerische Beirat oder Projektkoordinatorin Ricky Renier, sondern KöR-Geschäftsführer Gerald Matt, der dadurch auch inhaltlich stark mit den ausgewählten Arbeiten verknüpft wird. Es gibt in der Szene Zweifel, dass auch Einreichungen eine Chance haben, die nicht zur Linie der Kunsthalle passen.

Bettina Leidl sieht wichtige Aufgaben von KöR in der Thematisierung historisch relevanter Orte, dem Aufwerfen von Debatten und dem Stimulieren öffentlicher Nachdenkprozesse. Sie sollen »die Stadt als historisch gewachsenes Ensemble begreifen, dessen einzelne Entwicklungsstufen immer wieder neu zu reflektieren sind.« Die in der KöR-Selbsteinschätzung hohe Affinität zu gesellschaftskritischen Aufgaben ist einigen erfahrenen Vertretern von Kunst im öffentlichen Raum nicht weitreichend genug.

Für Ula Schneider, die seit 1999 das Stadtteilimpuls-Projekt »Soho in Ottakring« organisiert, ist gesellschaftsbezogene Kunst ein wichtiger Teil der Transformationsprozesse in einer Stadt. »Kunst kann integrative und kommunikative Prozesse unterstützen und herbeiführen, Allianzen eingehen, Konfliktlinien aufzeigen und ungewöhnliche Strategien entwickeln. Kunst wird als Gegengewicht, als Freiraum und als Reflexion über gesellschaftliche Fragen gebraucht. Mithilfe von gestalterischen Mitteln aller Art kann Kunst durch ihre spezifische Herangehensweise (ganz anders als etwa in der Wissenschaft) einen Perspektivwechsel bewirken und Kräfte mobilisieren.« In Wien ortet Schneider allerdings zu wenig Raum für einen erweiterten Kunstbegriff, »der das Wort ›Qualität‹ anders definiert, wo nicht ein ästhetisch qualitatives Produkt im Mittelpunkt steht, sondern künstlerische Handlungsfelder das Wesentliche eines Projekts sind.« Es sei sehr schwierig, eine Finanzierung für prozessuale Projekte im urbanen Raum zu erhalten, denn deren Ergebnisse sind offen, wenn etwa Anwohner einbezogen werden. »Soho in Ottakring« werde oft als Beispiel zitiert, wie ein Kunstprojekt einen Stadtteil mobilisieren und verändern kann: »Immerhin sind dabei 10 Jahre vergangen – es passiert nicht plötzlich.« Obwohl die Stadt Soho als Aushängeschild verwende, habe sich ihre Subvention nicht verändert und stehe in keinem guten Verhältnis zu dem, was das Projekt leiste.
Auch Pamela Bartar und Niki Michael C. Knopp, die von 2005 bis 2007 das Projekt Public Wien Space betrieben, sehen spannendere Projekte dort, wo Anrainer und Besucher einzubinden sind, wo Konfliktpotential herrscht. Solche Brennpunkte für Kunst im öffentlichen Raum sind neben offsichtlichen, prominenten Plätzen wie Unterführungen und U-Bahnstationen für Bartar und Knopp auch die unscheinbaren Orte: »Versteckte Gässchen, Viertel, die nicht ›hip‹ sind.« Beide mahnen aber, dass interaktive Kunstprojekte in diesen Gebieten nicht als Sozialprojekte missbraucht werden dürfen.

Die angesprochene Revitalisierung von Grätzeln, entweder durch temporäre künstlerische Eingriffe oder durch temporäre Nutzung leer stehender Flächen durch Kreative und Kulturschaffende, ist aber zwiespältig und daher mit Vorsicht zu bewerten. Häufig überwiegt ökonomisches Kalkül (Stichwort gesteuerte Gentrifizierung) den Charakter experimenteller Reflexionen (von Künstlern, Architekten, Stadtplanern) über den urbanen Raum. Wen wundert es da noch, dass sich neben kulturellen Fördertöpfen zunehmend jene der Wissenschaft, Forschung und jene der Wirtschaft öffnen. Auch die Förderzusagen im Architektur-Call von departure 2008, der Wiener Kreativförderagentur, spiegeln das verstärkte Interesse am öffentlichen Raum wider: »Öffentlicher Raum wird sich parasitär im urbanen Gewebe einnisten« (Architekt Michael Wallraff). Die Architektur setzt also dort an, wo auch Bettina Leidl neben historisch relevanten Orten die zukünftige Brennpunkte für KöR sieht: In den neuen Stadtentwicklungsgebieten wie etwa dem Flugfeld Aspern. Also in Stadtarealen, die ohnehin großes Interesse der Wirtschaftstreibenden genießen.
Ula Schneider fiel beim Durchsehen der Projekte, die KöR bisher gefördert hat, auf, dass diese prozessuale Art von Projekten »offenbar nicht von Interesse« ist. Schneider formuliert ihre Hoffnung für die Kunst im öffentlichen Raum folgendermaßen: »Wenn KöR nicht so stark in den Griffen der Kunsthalle stünde, die Jury anders besetzt wäre, und es mehr Raum für einen Diskurs gäbe, dann könnten vielleicht andere Konzepte entwickelt werden – Kunst strategisch eingesetzt zur Mobilisierung von Öffentlichkeiten und für die Suche nach Zukunftsperspektiven.« International gäbe es da viele spannende Beispiele und auch alternative Finanzierungsmodelle, wie etwa in Holland. »Im internationalen Vergleich könnte Wien noch einiges lernen und sich mehr öffnen – aber das scheint momentan vorwiegend ein strukturelles Problem zu sein«, schließt Schneider ihre Kritik ab.

Die Kritik an der Jury ist altbekannt. Bereits 2005 hatten Beatrix Zobl und Wolfgang Schneider, erfahrene Künstler im öffentlichen Raum, die Besetzung mit den üblichen Verdächtigen, den Institutionalisierten und Etablierten kritisiert.
»Mit einer Ausnahme fehlen in dieser Jury aber ausgerechnet diejenigen, die im Bereich ›Kunst im öffentlichen Raum‹ als AktivistInnen oder TheoretikerInnen präsent sind und etwas dazu zu sagen haben«, formulierten sie in einem ›Kommentar der anderen‹ im Standard.
Auch ein weiterer Kritikpunkt ist nicht neu: »KöR ist sicher gut für die Abwicklung großer Projekte, Ausschreibungen etc. Aber – abgesehen von der fehlenden Transparenz – ist es nicht flexibel genug, um kurzfristige, kleine, genreübergreifende und transdisziplinäre Projekte – Stichwort Kunst als öffentlicher Raum – zu begleiten oder auch nur kleine Fördersummen ohne großen bürokratischen Aufwand zu vergeben«, analysieren Pamela Bartar und Niki Knopp.
Was wird also passieren? Werden prozessuale und interaktive Projekte an weniger attraktiven Orten der Stadt zukünftig im Sozialbereich angesiedelt sein? Oder werden sie zukünftig Teil ökonomisch kalkulierter Gentrifizierungs-Prozesse von Architektur und Stadtplanung? Besteht Hoffnung auf eine parallele Förderstruktur zu KöR, die sich um die kleinsten, aber nicht minder effektiven Projekte kümmert?
Kunst im öffentlichen Raum muss sich neben den Fragen nach Strukturen in Zukunft aber vor allem dem Aspekt der Veränderung öffentlicher Räume stellen. Öffentliche Räume werden nicht nur schrumpfen oder zunehmend privatisiert werden, sondern sich auch ins Virtuelle verlagern. Die Möglichkeiten der Überwachung werden gänzlich neue Charakteristika öffentlicher Räume entwerfen, ja neue Verhaltensweisen im öffentlichen Raum produzieren. Inwiefern spiegeln sich diese Grundbedingungen auch in den Formen öffentlich geförderter öffentlicher Kunstwerke: »Wir müssen die öffentliche Sphäre als fragmentiert denken, als etwas, das aus einer Vielzahl von Räumen und/oder Formationen besteht, die sich bald miteinander verbinden, bald voneinander abschotten, und die in konflikthaften und widersprüchlichen Beziehungen zueinander stehen« (Simon Sheik).

Denn andere Definitionen von Öffentlichkeit erfordern auch andere Formen von Kunst im öffentlichen Raum. In Wien findet eine Vielzahl von Projekten statt, die in diese Richtung weisen, einige sind sogar durch KöR gefördert. Man kann sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass die besonders stark kommunizierten Projekte jene sind, die noch einem veralteten, statischen oder wenig dynamischen Begriff von Kunst im öffentlichen Raum entsprechen. Mutig wäre jedoch eine umgedrehte Bewertung öffentlicher Kunstprojekte, die die prozesshaften, dynamischen Projekte in den Vordergrund stellt. Das wäre zukunftsweisend. Das stünde der Kulturstadt Wien gut zu Gesicht.

« Inhalt