Der erste große Hype ist vorbei. Die Cultural und Creative Industries (CCI) sind entdeckt, und die erste große Aufregung unter RegionalpolitikerInnen legt sich allmählich. Und Wien liegt hier wie immer in der lauwarmen Mitte und genießt die »Wonnen der Gewöhnlichkeit«. Zwar sind erkleckliche Summen in den Bereich geflossen, doch die Förderinstrumente sind schwerfällig und unter Vernachlässigung der Spezifika der CCI konzipiert, so dass sie sich strukturell kaum niederschlagen. Insgesamt fokussieren die meisten Programme auf den Konsum von Kulturgütern im weiteren Sinne und folgen dabei dem Ansatz von Richard Florida, der aus empirischen Momentaufnahmen aus den USA vor dem Platzen der New Economy Bubble den fragwürdigen Schluss zieht, dass eine gut ausgebaute Kulturkonsuminfrastruktur eine neue Mittelschicht anzieht, der dann wiederum InvestorInnen folgen. Dieser Ansatz hat vielerlei Schwächen, wie bereits vielfach nachgewiesen wurde (u.a. Nathan 2005; Rushton 2007), war aber nichtsdestotrotz äußerst erfolgreich und wurde von LokalpolitikerInnen umgesetzt – Wien ist hier nur ein Beispiel unter vielen. Das Ergebnis ist eine Unzahl an verwechselbaren kulturellen Quartieren in den Städten der westlichen Hemisphäre, die alle einer ähnlichen Ästhetik folgen und zum Konsum vergleichbarer Produkte – von kulinarisch aufbereiteten Wanderausstellungen bis hin zu Konsumgütern – auffordern. Florida setzt kurzerhand Kultur mit Lifestyle gleich und ebnet damit den Weg für einen Neuaufguss der alt bekannten Kunstförderpolitik: Mit erheblichem Einsatz öffentlicher Gelder wer den Lifestyle-Quartiere geschaffen, die dann wiederum von einer zahlungskräftigen Mittelschicht genutzt werden. Analog zu den Opernhäusern und Museen gibt es auch hier wieder eine Umverteilung nach oben, diesmal allerdings nicht auf das meritorische Argument gestützt, dass Kunst per se gut ist, sondern auf das ökonomische Argument, dass damit InvestorInnen angezogen werden. Abgesehen davon, dass diese einfache Rechnung nicht aufgeht, wird dabei stets der Umstand übersehen, dass die Potenziale der CCI weniger in den ohnehin kaum nachweisbaren Florida-Effekten liegen, sondern in einer Neuanordnung von Produktion und Konsum in spezifischen sozialen und lokalen Kontexten (Pratt 2008a, Pratt 2008).
Paradoxerweise ist inmitten der ganzen Aktivitäten seitens der Politik noch immer nicht geklärt, was denn eigentlich unter den CCI zu verstehen ist. Sie können auf zwei Arten definiert werden: Vertikal entlang der Produktschöpfungskette und horizontal entlang der verschiedenen Sektoren, wobei letztere Definition nationalen und regionalen Interessenlagen einen großen Spielraum einräumt und durch nationale Besonderheiten1 verhindert, dass vergleichbare empirische Daten erhoben werden können. Genau dieser Punkt macht auch die (politische) Attraktivität des Sektors aus: Er ist nach wie vor derart unscharf, dass er nach Bedarf gefüllt werden kann.2 Diese spezifische Unschärfe ergibt sich auch aus der Wahl inadäquater Methoden: Traditionelle industrieökonomische Ansätze werden auf einen Bereich übertragen, dem die wesentlichen Strukturmerkmale eben dieser klassischen Industrien fehlen. Potts et al. bringen dieses Dilemma auf den Punkt: »What exists are agents, prices, commodities, firms, transactions, markets, organizations, technologies and institutions. These are what are economically real at the level of an individual agent’s transformations or transactions. An industry is a derived concept, and creative industries doubly so« (Potts et al. 2008: 168). Und so sind die bislang verwendeten Definitionen zumeist eher Ausflüsse politischer Zielsetzungen denn Ergebnisse wissenschaftlicher Erhebungen, auch wenn sie scheinbar erst nach der ökonomischen Analyse ins Spiel kommen. In den zahlreichen beauftragten Forschungsarbeiten wurden die Definitionen bereits vorgegeben und die Problematik damit zementiert. Bedauerlicherweise wurde durch die allzu eng gesetzten Vorgaben der Fokus der wissenschaftlichen Arbeiten eingeengt und damit auch die Kernfrage nach den genauen Hervorbringungsmechanismen innovativer Leistungen in den CCI nie gestellt, was auch die Inadäquatheit der Förderinstrumente erklärt: Wenn kein Wissen über die Funktionsmechanismen eines Sektors vorhanden (bzw. gewünscht) ist, so wird es auch nicht möglich sein, Entwicklungsmaßnahmen zu setzen.
Dabei sind die komplexen vielschichtigen Beziehungen, in denen Produktion und Konsum von Kulturgütern und deren lokale Verankerung zueinander stehen, weitaus interessanter und langfristig nachhaltiger3 als sektorale Definitionsansätze und die Hervorbringung von Kreativvierteln mit bunter Ware und Caffè latte. Die CCI stellen ein Feld dar, dessen industrielle Organisationsform trotz aller Lückenhaftigkeit im Detail und der erwähnten Inkonsistenzen bekannt ist: Wenige, meist global agierende Großkonzerne, stehen einer nicht allzu großen Anzahl von Mittelunternehmen und einer Masse an EinPersonen-Unternehmen gegenüber, deren Produktionsmittel fast ausschließlich aus individuellem Wissen und Fertigkeiten bestehen. Im Unterschied zu anderen Industriesektoren sind räumliche Faktoren zentral für Produktion und Konsum (Lloyd 2002) – beides spielt sich vorwiegend in spezifischen lokalen Kontexten ab, bei aller Entgrenzung4 von wissensbasierter Arbeit durch Kommunikationstechnologien. Pratt drückt dies folgendermaßen aus: »The cultural industries [...] have a distinctive spatial distribution: they tend to cluster in parts of cities, and, their distribution is dominated by a small number of cities in the world« (Pratt 2007: 3).
Der intensive Austausch von Produzierenden und Konsumierenden vor Ort spielt eine zentrale Rolle im Entwicklungsprozess von Kulturgütern, also in der Innovation. Die CCI stellen nicht nur in Bezug auf (prekäre) Arbeitsformen eine Vorreiterrolle dar, auch wissensbasierte Innovations- und Produktionsentwicklungsprozesse können hier wie in einem Labor beobachtet werden. Dies ist umso relevanter, als dass bei den Produkten und Dienstleistungen der CCI nicht nur ökonomische Parameter den Preis bestimmen, sondern auch Qualitätskriterien, die sich wiederum in spezifischen Netzwerken konstituieren. Die kollektiven Momente künstlerischer bzw. wissenschaftlicher Produktion in vergleichsweise »weichen« Netzwerken greifen nun auf andere Bereiche über. Des Weiteren bewirken die prekären Arbeitsverhältnisse der sich von Projekt zu Projekt hangelnden EinzelunternehmerInnen einen engen Austausch und eine Verdichtung der Netzwerke, in denen wiederum die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen. So weit, dass Pratt (2007) sogar von einem Ausufern von Unternehmen in solche informelle Cluster spricht, vor allem wenn es um das Wissen geht, das nach Ende eines Projekts wieder in den großen Pool an ArbeitskraftunternehmerInnen (Voß/Pongratz 1998) zurückgeschleust wird. Allerdings wäre es naiv, von einer harmonischen, konkurrenzfreien Welt glücklicher Kreativer zu fantasieren: Zwar ist durch diese spezifische Clusterarbeit eine kooperative Tendenz angelegt, in der Realität wirkt sich dies aber nicht innovationsfördernd aus – im Gegenteil: Aufgrund der hohen Prekarität gewinnen informelle Netzwerke an Bedeutung, jene »weak ties« (Granovetter 1973), die wiederum jene bevorzugen, die über bessere Netzwerke verfügen – traditionellerweise männliche Angehörige der Mehrheitsgesellschaft (Gill 2007). Pratt fasst zusammen: »Work tends to go to those that are already working (based upon reputation). Career breaks, or simply not socialising, can be damaging – or fatal – to career. Moreover, the rich social embeddedness lends to traditional patterns of discrimination on lines of age, class, gender, and race« (Pratt 2007: 16). Indem von politischer Seite diese fundamentalen Funktionsweisen von Innovationsprozessen in den CCI nicht erkannt werden, wird das Feld sich selbst überlassen und das innovative Potenzial vergeben.
Ein wesentliches Merkmal, das wiederum an die bisherigen, bereits erwähnten, außerordentlich unbefriedigenden Definitionsversuche bzw. Auflistungen anschließt, ist das komplexe soziale Gefüge – hier könnte wieder einmal das viel strapazierte Bild vom Netz verwendet werden –, in dem sich die Entscheidungen für Produktion und Konsum herausbilden. Sowohl Produktion als auch Konsum finden in mehr oder weniger losen Netzwerken statt, die einen starken Lokalbezug aufweisen. In dem hybriden Feld zwischen Kunst, kulturellen Konsumgütern und -dienstleistungen, Medien und technischer Innovationen bilden sich laufend neue Qualitäts- und Konsummaßstäbe heraus, analog zum Kunstfeld (Becker 1982). Im Unterschied zum Kunstbereich allerdings gibt es nur wenige große Institutionen, das Feld ist kleinteiliger und informeller strukturiert – was nicht zuletzt auch auf die relative Neuheit des Phänomens insgesamt zurückzuführen ist. Beim Konsum von völlig Neuem können KonsumentInnen nicht ein vorgefertigtes Set an Präferenzen und Informationsquellen aufweisen, sondern bilden sich in permanenter Interaktion mit anderen Mitgliedern eines Netzwerkes ihre Meinung und treffen daraus folgend ihre Entscheidung.
Ein weiteres Problem stellt die kontextfreie Übertragung von Konzepten dar: Aufgrund der zentralen Relevanz der lokalen Komponente, in der sich CCI Cluster bilden (sollen), wird es auch nachvollziehbar, warum es nicht funktioniert, ohne Rücksicht auf Szenen und historisch gewachsene Rahmenbedingungen konsumorientierte »Kulturviertel« aus dem Boden zu stampfen, wo eine hübsch anzusehende Gastronomie den Mangel an Produktion überdecken soll. Zudem kennzeichnet diese Gentrifizierungsunterfangen auch eine rigide Administration, die jede Art von »freier« Initiative sogleich im Keim erstickt: Es entstehen keimfreie Bobo-Freizeitparks. Kultur wird hier zum Mittel urbaner Regeneration instrumentalisiert, ohne dass dabei den tiefer liegenden Querverbindungen zwischen Produktion und Konsum, zwischen Kunst, Kultur und Unterhaltung, zwischen öffentlich und privat, zwischen formell und informell Aufmerksamkeit geschenkt wird (Pratt 2007).
In einem ökonomischen Kontext bedeutet dies, dass die gängigen Markt- und Entscheidungsmechanismen in den CCI völlig andere sind als anfänglich angenommen, da bei der ökonomischen Betrachtung – ähnlich wie bei den Förderinstrumenten – alt bekannte Schemata auf vollkommen neue Phänomene übertragen wurden (Potts et al. 2008: 169). Die Vielschichtigkeit und das eigentliche Potenzial der CCI besteht darin, dass in ihnen an der Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Bereichen neue Technologien und Märkte geschaffen werden, in denen Produktion und Konsum über soziale Netzwerke bestimmt werden (Potts 2008 et al.: 173). Und genau diese spezifische Verwobenheit muss seitens der Wissenschaft näher betrachtet werden, Eigentums- und Produktionsbedingungen dieser entgrenzten Produktionsprozesse müssen analysiert werden, um entsprechende Förderinstrumente zu entwickeln, die auf eine nachhaltige Stärkung der AkteurInnen, also der MikrounternehmerInnen abzielen. Dass die Entwicklung derartiger Maßnahmen äußerst komplex ist, liegt auf der Hand, da eine Vielzahl von Feldern berührt wird: vom Arbeits-, Aufenthalts- und Steuerrecht zum Urheberrecht, von Aus- und Weiterbildung zu Fragen der (lokalen) Infrastruktur und Interessenvertretung bis hin zu Kredit- und Haftungsmodellen. Werden diese Verflechtungen weiterhin außer Acht gelassen, wird das Potenzial des »Kreativstandortes« Wien noch weiter vergeben, denn Kreative sind mobil und suchen ein Umfeld, in dem sie sich entwickeln können. In Wien werden dann bestenfalls noch die Ausbildungen absolviert.
Forschung und Politik haben die CCI vor mehr als zehn Jahren entdeckt – nun gilt es neue Erkenntnisse zuzulassen und die eigentlichen Potenziale des Sektors in den Vordergrund zu rücken – neue Imagefolder gibt’s ja ohnehin schon.