Das Damoklesschwert des Künstlersozialversicherungsfonds
Franz Morak bewies immer wieder einen besonderen Sinn für Realität. Wann immer er Bedarf sah, sein Wirken als Kunststaatssekretär als Erfolgsgeschichte zu präsentieren, nannte er die soziale Absicherung von KünstlerInnen. Die Einrichtung des Künstlersozialversicherungsfonds ging tatsächlich auf seine Kappe. Dass aber bei diesem Zuschussmodell letztlich kaum eine Forderung der KünstlerInnen verwirklicht war, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Und dass kaum einE KünstlerIn die Zufriedenheit des Staatssekretärs teilen konnte, war für diesen freilich auch nicht von Belang. Alles reine Ansichtssache – aber eine, die bald nach dem Ende von Schwarz-blau auch auf die SPÖ übergreifen sollte. Während sich die SozialdemokratInnen in zahnlosem Oppositionsgehabe gerne der Position der KünstlerInnen anschlossen und Forderungen der Interessenvertretungen auch zu ihren machten, waren mit dem Wechsel auf die Regierungsbank jahrelang gehegte kulturpolitische Anliegen plötzlich wie ausgewechselt. Knackpunkt in der Debatte rund um den Künstlersozialversicherungsfonds war seit jeher ein besonderes Detail: das vorgeschriebene Mindesteinkommen aus selbstständiger künstlerischer Tätigkeit als Zuschussvoraussetzung. (Ergo: Wer zu wenig verdient, erhält auch keinen Zuschuss.) Während Morak diese Zugangsbeschränkung ideologisch zu verteidigen versuchte, schob Neo-Kunstministerin Claudia Schmied kurzer Hand juristische Bedenken gegen eine Abschaffung dieser Hürde vor. Im großkoalitionären Kuschelkurs stand schließlich "Weiterentwicklung" statt "Reparatur" auf dem Plan (so die Sprachregelung, um Morak bei Laune zu halten). Die Grundpfeiler aus Morakzeiten waren damit jedenfalls nachhaltig in Gesetz gemeißelt und zugleich zementiert.
Als Morak ab dem Februar 2000 für Kunstkanzler Wolfgang Schüssel den Sekretär mimen durfte, stolperte er in einen bereits mehrjährigen Arbeitsprozess zur Entwicklung einer sozialen Absicherung, die den zeitgenössischen Arbeitsbedingungen von KünstlerInnen gerecht werden sollte. Eine Diskussion, die so alt ist wie die österreichischen Sozialversicherungsgesetze selbst. Doch aufgrund bevorstehender größerer sozialrechtlicher Veränderungen ab Mitte der 1990er Jahre war der Handlungsbedarf einmal mehr akut geworden. Am 1.1.1998 trat das umfassende Arbeits- und Sozialrechtsänderungsgesetz 1997 in Kraft. Jedes Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze unterlag nun einer Pflichtversicherung, und die so genannte "neue Selbstständigkeit" war erfunden. Auch selbstständig erwerbstätige KünstlerInnen (zuvor vielfach nur auf freiwilliger Basis versichert) galten per Gesetz nun als "neue Selbstständige" und waren somit von der Pflichtversicherung bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft erfasst – ein finanzielles Damoklesschwert für eine tendenziell ökonomisch schwache Berufsgruppe.
In dieser Phase der finanziellen Bedrohung kam eine Organisierung von KünstlerInnen in Bewegung. Kunstschaffende und ihre Interessenvertretungen mobilisierten zu einer großen KünstlerInnendemo, dem "Umzug der Maroden" (1998). In der Folge entstand eine kontinuierliche Zusammenarbeit von Interessenvertretungen aus dem Kunst- und Kulturbereich, um gemeinsam für eine adäquate soziale Absicherung zu kämpfen – nicht nur für KünstlerInnen, sondern für Kunst- und Kulturschaffende ganz generell. Diese Zusammenarbeit besteht bis heute – zunächst als informeller Zusammenschluss (Kulturpolitische Kommission), seit 2003 als Kulturrat Österreich. Arbeitsschwerpunkt blieb der Kampf um soziale Rechte.
Zunächst gelang es diesem Bündnis, das Inkrafttreten dieser sozialrechtlichen Änderungen für KünstlerInnen um letztlich drei Jahre hinauszuschieben, um Zeit für eine Lösungsfindung zu gewinnen. Eine interministerielle Arbeitsgruppe ging ans Werk, die Interessenvertretungen waren als ExpertInnen mit dabei.
Doch dann kam alles anders. Im Februar 2000 trat Franz Morak auf den Plan und machte kurzen Prozess. Eine Schmalspurvariante zur Förderung der sozialen Absicherung von KünstlerInnen trat bereits am 1.1.2001 in Kraft: das Künstlersozialversicherungsfondsgesetz. Ein simples Zuschussmodell, das Zuschüsse zum Pensionsversicherungsbeitrag von selbstständig erwerbstätigen KünstlerInnen leisten sollte. Jedoch mit rigorosen Ausschlussmechanismen, die die ZuschussbezieherInnen mitunter auch noch Jahre später bitter büßen sollten. Denn selbst wer einen Zuschuss erhalten hatte, war nicht davor gefeit, diesen mitunter später wieder zurückzahlen zu müssen. All die vorangegangenen Gespräche und Entwürfe der Interessenvertretungen blieben letztlich ignoriert. Aber Morak war stolz auf die Geschwindigkeit. Sein Resümee, gut ein Jahr später: Es sei innerhalb weniger Monate gelungen, dass erstmals die soziale Absicherung der Kunstschaffenden möglich wurde. Aus der Sicht des Staatssekretariats bestätige sich der Eindruck, dass der eingeschlagene Weg zielführend sei.1 Jubelrufe von KünstlerInnen blieben jedoch aus. Die Interessenvertretungen der Filmschaffenden und der literarischen ÜbersetzerInnen lehnten das vorgelegte Gesetz von Beginn an als grundsätzlich unzureichend ab, die anderen Interessengemeinschaften akzeptierten es als einen Anfang. Auch Morak selbst sprach dazumal von einem ersten Schritt. Doch statt einem zweiten folgte nicht mehr als die Verzerrung zur Erfolgsgeschichte. Daran hinderte freilich auch nicht das miserable Ergebnis einer zum Jahresbeginn 2002 von den Interessenvertretungen durchgeführten Basisbefragung zur Zufriedenheit mit der sozialen Absicherung.2 Aber was war nun Moraks Leistung, die er immer wieder stolz vor sich her posaunte? Zum einen gilt seit 2001 die gewerbliche Pflichtversicherung auch für KünstlerInnen (als unausweichliche Folge des Sozialrechtsänderungsgesetzes 1997), zum anderen verteilt der Künstlersozialversicherungsfonds seither Brosamen an ausgewählte KünstlerInnen, um deren Beitragslast an die Versicherungsanstalt zu erleichtern – vorausgesetzt, alle Zuschussvoraussetzungen sind erfüllt. Genau hier liegen die großen Hürden. Aber immerhin: Während zuvor für viele KünstlerInnen gar keine Förderung der sozialen Absicherung bestand, gibt es mit diesem Fonds nun gleiche Zugangsmöglichkeiten- und -unmöglichkeiten für alle.
Wer einen Zuschuss möchte, muss erst einmal beweisen, KünstlerIn zu sein. Zugelassen sind ausschließlich selbstständig erwerbstätige KünstlerInnen (durchaus aus den verschiedenen Sparten). Freie Kultur- und Medienschaffende sind in diesem System nicht vorgesehen. Aber wer ist KünstlerIn? AntragstellerInnen müssen ihre künstlerische Arbeit präsentieren. Eine KünstlerInnen-Kommission entscheidet, ob die so genannte "Künstlereigenschaft" besteht. Konsequent erscheint dieses Prozedere angesichts des zu Grunde liegenden Gesetzes, das bei der Definition von KünstlerInnen nicht an der Berufsausübung ansetzt, sondern einem Kunstförderungsgedanken frönt und Zuschusszahlungen an das "angeborene Talent" bindet: "Die sachliche Rechtfertigung für die Förderung der Beiträge in die gesetzliche Pensionsversicherung liegt im besonderen Verlauf einer Karriere eines selbstständigen Künstlers begründet, die mit anderen selbstständigen Berufsgruppen nicht vergleichbar ist. Während das Wesen der künstlerischen Tätigkeit in der künstlerischen Befähigung und Begabung zu eigenschöpferischen Leistungen liegt, stehen bei den anderen selbstständigen Berufsgruppen die erlernten und durch Erfahrung gewonnenen Fertigkeiten zur Berufsausübung im Vordergrund. (…) Die Einkünfte und damit die Existenzsicherung der anderen selbstständigen Erwerbstätigen sind vom Bedarf des Marktes abhängig, an den aber die angebotenen Leistungen jeweils angepasst werden können."4 Gerade eine solche Argumentation müsste zweifellos auch freie Kultur- und Medienschaffende berücksichtigen, verhöhnt aber letztlich alle Nicht-KünstlerInnen in ähnlich prekären Beschäftigungsverhältnissen. Kann die Kulturarbeiterin in der freien Szene oder soll eine freie Journalistin ihre Arbeit etwa nach dem Bedarf des Marktes richten? Außerdem sind viele KünstlerInnen längst nicht ausschließlich künstlerisch tätig. Gleichzeitig bestehen in Hinblick auf ökonomische Unsicherheit und mangelhafte soziale Absicherung vergleichbare Arbeitsverhältnisse auch abseits kreativer Tätigkeit. Von Bedachtnahme auf zeitgenössische Arbeitsverhältnisse und Erwerbsbiografien von KünstlerInnen keine Spur in diesem Fonds-Gesetz.
Ein besonders originelles Argument bot Morak zur Rechtfertigung für den Ausschluss von KleinverdienerInnen. Denn nur wer ein vorgegebenes Mindesteinkommen aus selbstständiger künstlerischer Tätigkeit erreicht, darf einen Zuschuss beziehen und diesen auch behalten. Der Betrag ist variabel, von Jahr zu Jahr etwas höher und entspricht der zwölffachen monatlichen ASVG-Geringfügigkeitsgrenze.5 Wer den vorgegebenen Betrag nicht erreicht, wird zur Kasse gebeten und muss sämtliche Sozialversicherungsbeiträge selbst begleichen, ein Zuschuss ist nicht möglich. Wer vorab glaubt, ausreichend zu verdienen, es aber wider Erwarten doch nicht schafft, soll bereits erhaltene Zuschüsse wieder zurückbezahlen. Ein wirtschaftlich schlechtes Jahr wird kurzer Hand durch den Entzug der Mittel aus dem Künstlersozialversicherungsfonds bestraft. Denn – so Morak – wer so wenig verdient, arbeite ohnehin nicht professionell. Dabei ist gleichgültig, warum aus welchem Grund jemand die Mindesteinkommensgrenze nicht erreicht hat (Krankheit, Betreuungspflichten, Arbeitsverbot in Mutterschutzzeiten, Auslandsaufenthalte, geldintensive Investitionen in die künstlerische Tätigkeit, etc.). Sogar Stipendien und Preise können KünstlerInnen zum Verhängnis werden. Angesichts des propagierten Leistungs- und Elitedenken von Schwarz-blau sollte es wohl keine Zweifel geben, dass Stipendien und Preise durchaus branchenübliche Einkommensbestandteile von KünstlerInnen sind. Doch weit gefehlt. Ein Stipendium ist für den Künstlersozialversicherungsfonds kein Einkommen – jedenfalls dann nicht, wenn es von der Einkommensteuer befreit ist. Und das ist bei quasi allen Stipendien und Preisen der öffentlichen Hand der Fall. Hat der Kunstkanzler oder sein Sekretär also einen Preis an eine Künstlerin verliehen, und will diese eine Zeit lang davon leben, wird sie im Gegenzug den Zuschuss aus dem Künstlersozialversicherungsfonds verlieren, wenn sie zusätzlich nicht ausreichend Gewinn aus ihrer künstlerischen Tätigkeit erwirtschaftet.
Dass mögliche Rückzahlungen keine Worthülsen sind, hat der Künstlersozialversicherungsfonds vier Jahre nach seiner Gründung bewiesen. 2005 fiel der Startschuss für eine umfassende Kontrollaktion. Der Fonds begann, die Einkommen aller ZuschussbezieherInnen in allen Bezugsjahren zu überprüfen. (Bei 4.000 bis 6.000 ZuschussbezieherInnen pro Jahr und einer Überprüfung aller zurückliegenden Jahre lässt sich daraus leicht eine Gesamtzahl von etwa 20.000 zu prüfenden Einkommensteuerbescheiden ausrechnen.) Das Ergebnis war fatal. Der Geschäftsführer musste die Zahl der Rückzahlungsforderungen im Zuge der über zwei Jahre andauernden Überprüfungsverfahren laufend nach oben revidieren. Letztlich war jede vierte ZuschussbezieherIn betroffen. Bis zu 1.500 KünstlerInnen pro Kalenderjahr sollten bereits erhaltenen Zuschüsse wieder zurück bezahlen. Etwa ein Drittel der Betroffenen hatte zu viel, zwei Drittel jedoch zu wenig verdient. Ergo: Zuschussvoraussetzung nicht erfüllt!
Spätestens seit dem Sommer 2005, als erste Rückzahlungsforderungen in den Briefkästen der KünstlerInnen landeten, platzte einigen KünstlerInnen endgültig der Kragen. Dort eine Fotografin, die in einem Jahr aufgrund eines Auslandsstipendiums nicht den geforderten Gewinn erbrachte und im nächsten Jahr aufgrund der Geburt ihres Kindes einen größeren Erwerbsausfall hatte. Hier ein Autor, der von einem einkommensteuerbefreiten Stipendium lebte und in der Folge den Zuschuss verlor. Da eine bildende Künstlerin, die aufgrund ihres Pensionsantritts in der Jahresmitte das erforderliche künstlerische Mindesteinkommen nicht erreichte. Pech gehabt. Familienplanung und Pensionsantritt sind ein individuelles soziales und wirtschaftliches Risiko. Karriere offenbar ebenso. Das Künstlersozialversicherungsfondsgesetz als Armutsfalle für diejenigen, deren künstlerische Biografien nicht den wirtschaftlichen Vorgaben entsprechen.
Sofortmaßnahmen waren längst überfällig. Die im Kulturrat Österreich zusammengeschlossenen Interessenvertretungen von Kunst-, Kultur und Medienschaffenden präsentierten zum wiederholten Male ein längst ausgearbeitetes Sofortmaßnahmenpaket zur Reform des Künstlersozialversicherungsgesetztes und forderten aus aktuellem Anlass vor allem: "Schluss mit Rückzahlungsforderungen! Weg mit der Mindesteinkommensgrenze als Zuschussvoraussetzung!"6. Ein entsprechender Aufruf auf der Website des Kulturrat Österreich wurde im März 2006 innerhalb weniger Tage tausendfach unterzeichnet. Individuelle Statements von Kunst- und
Kulturschaffenden unterstrichen zusätzlich den vorherrschenden Unmut über den Kunstkanzler und seinen Sekretär. Von "einer sozialen Frechheit" (Carola Dertnig, bildende Künstlerin) war hier ebenso die Rede wie von "kunstfeindlichen, zynischen Menschen, die sich für freischaffende KünstlerInnen ein derartiges Versicherungskonzept einfallen ließen" (Linde Prelog, Schauspielerin). 7 Die Autorin Marlene Streeruwitz sprach bei dem darauf folgenden Pressegespräch des Kulturrat Österreich gar von einem "Kunstvernichtungsgesetz ", das die freie und kritische Kunstausübung zu behindern beabsichtige. Im Anschluss an dieses Pressegespräch marschierten KünstlerInnen und InteressenvertreterInnen, begleitet von einem ORF-Kamerateam, zum Amtssitz des Kunststaatssekretärs, um Forderungen und die Liste der UnterzeichnerInnen zu übergeben. Der Staatssekretär war nicht zusprechen. Mit einem öffentlichen Statement gab Parteikollegin Andrea Wolfmayr noch am selben Tag Rückendeckung und verkündete einmal mehr die Mär vom "Erfolgskonzept", indem sie – fernab der aktuellen Debatte – auf die erfolgreiche Speisung des Fonds aus Kabel- und Sat-Abgaben verwies.8 Einen Protestbrief der IG Bildende Kunst anlässlich der Flut an Rückzahlungsforderungen ließ der Kunstkanzler indes so beantworten, als wäre der Künstlersozialversicherungsfonds jedenfalls eine Verbesserung zur Situation vor 2001: "Bedenkt man, dass der Vorgängerfonds für bildende Künstler (…) schwer verschuldet war, wodurch die Beitragszahlungen an die betroffenen Künstler kontinuierlich gesunken sind, kann man beim heutigen Künstlersozialversicherungsfonds zweifelsohne von einem Erfolgsmodell sprechen."9 Keineswegs vom Erfolg überzeugt, brachte SP-Kultursprecherin Christine Muttonen im Parlament einen Entschließungsantrag ein, mit dem die Bundesregierung ersucht werden sollte, "das Künstlersozialversicherungsfondsgesetz dahingehend zu reformieren, dass das Vorliegen eines Mindesteinkommens (…) keine Anspruchsvoraussetzung mehr für die Gewährung eines Zuschusses (…) darstellt."10 Realpolitische Folgen oder Wirkung hat ein solcher Antrag freilich nicht. In der vier Monate später stattfindenden Sitzung des Kulturausschusses wurde der Antrag schlicht vertagt, um eine inhaltliche Diskussion gar nicht erst zu eröffnen. (Ein einziger flüchtiger Erfolg innerhalb der eigenen Partei, ein Jahr später: Kunstministerin Schmied sprach sich kurz nach ihrem Amtsantritt ebenfalls für eine Abschaffung der künstlerischen Mindesteinkommensgrenze als Zuschussvoraussetzung aus. Allerdings war diese Position ebenso schnell, wie sie entstanden war, auch schon wieder aufgegeben. Schließlich hatte Morak – nun VP-Kultursprecher – bei einer allfälligen Gesetzesnovelle ein Wörtchen mitzureden.)
In parlamentarischen Materialien tauchte das Rückzahlungsdebakel erst am letzten Tag der Regierungszeit von Schwarzblau wieder auf. Kunstkanzler Schüssel gab im Jänner 2007 im Zuge einer Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage Auskunft zum bisherigen Ausmaß der Rückforderungen: 4,5 Millionen Euro für die Jahre 2001 bis 2005. Eine halbe Million Euro hatten KünstlerInnen bereits zurückbezahlt, der Rest war offen, die Einkommensüberprüfungen jedoch noch längst nicht abgeschlossen. Auch, wenn der Gedanke nahe liegt, hinter dieser rigorosen Ausschlusspolitik und Zuschuss-Rückholaktion würden finanzielle Probleme des Künstlersozialversicherungsfonds stecken, so ist dies keineswegs der Fall. Von Beginn an hat der Fonds lediglich etwa die Hälfte seiner Einnahmen (Abgaben der Kabelbetreiber, Abgaben aus Satellitenanlagenverkauf und Vermietung; Beiträge des Bundes entsprechend der im Bundesfinanzgesetz vorgesehenen Mittel) für Zuschüsse ausgegeben. Ein gewisser Gestaltungsspielraum für Reformen wäre insofern auch in finanzieller Hinsicht stets vorhanden. Morak aber hatte längst andere Pläne und bereits 2003 still und leise die Beiträge des Bundes an den Künstlersozialversicherungsfonds zur Gänze eingestellt Die Streichung dieser Mittel wurde erst im Frühling 2004 nach Veröffentlichung des Geschäftsberichts 2003 des Künstlersozialversicherungsfonds bekannt. Doch Morak wusste auch diesen Schritt positiv zu bewerten und kommentierte stolz, dass das Geld nicht länger für die soziale Absicherung von KünstlerInnen verwendet werden müsse, sondern der Kunstförderung zur Verfügung stehe. Es sei gelungen, die Tätigkeiten des Fonds ausschließlich aus Abgaben aus der Privatwirtschaft zu finanzieren. Damit sei angesichts der bekanntermaßen schwierigen Budgetsituation in seinem Ressort auch größere Sicherheit für den Fonds gegeben…
Während einerseits die Mängel des Künstlersozialversicherungsfondsgesetzes zu wirtschaftlichen Bedrohungen für immer mehr KünstlerInnen werden, ist andererseits auch die Unzulänglichkeit eines solchen Zuschusssystems nur allzu offensichtlich. Hürden und Probleme der sozialen Absicherung von KünstlerInnen sind längst nicht auf den Künstlersozialversicherungsfonds beschränkt. Den veränderten Erwerbsarbeitsbiografien aufgrund der vorherrschenden Prekarisierungsprozesse werden auch die österreichischen Sozialversicherungssysteme nicht gerecht. Die Gleichzeitigkeit oder rasche Abfolge von unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen führen schnell zur Mehrfachversicherung. Bei verschiedenen Versicherungsanstalten, zu uneinheitlichen Konditionen, mit unterschiedlichem Versicherungsschutz. Aber dieses leidige Problem kenne Morak auch aus eigener Erfahrung, wie er einst beteuerte. Auch er müsse zweifach Pensionsversicherungsbeiträge bezahlen: Einmal als pragmatisierter Burgschauspieler, einmal als Staatssekretär ...12
Um Realitäten rund um zeitgenössische Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen und ihnen Existenz sichernd entgegenzuwirken, wird ein Künstlersozialversicherungsfonds selbstverständlich niemals in der Lage sein. Dafür ist ein Zuschuss-Instrumentarium schlicht unzulänglich. Wenn erst einmal das Einkommen ausbleibt, hilft ein Zuschuss zu Sozialversicherungsbeiträgen reichlich wenig. Ein Zuschuss, der obendrein an wirtschaftlichen Erfolg gebunden ist, führt die notwendige Förderung der sozialen Absicherung ad absurdum.
Nichtsdestotrotz war und ist der zeitintensive und aufwändige Kampf um eine Reform des Fonds unumgänglich. Ob Schmied oder Schmiedl, der Unwille gegenüber einer Arbeit an grundsätzlichen Strukturveränderungen ist derselbe, nur die Argumente wechseln. Die von der Kunstministerin vorgeschobene Behauptung, eine Abschaffung der Mindesteinkommensgrenze als Zuschussvoraussetzung sei aus juristischen Gründen nicht möglich, konnte der Kulturrat Österreich jedenfalls mit einem bei dem Verfassungsrechtsexperten Theo Öhlinger eingeholten Rechtsgutachten aushebeln. Öhlinger hält darin unmissverständlich fest, dass es dem Gesetzgeber aus verfassungsrechtlicher Sicht zweifellos gestattet wäre, das Erfordernis des Mindesteinkommens im Künstlersozialversicherungsfondsgesetz zu streichen.13
Sachargumente hin oder her: Aus der Morakschen Geiselhaft konnte sich die SP-Kulturpolitik in dieser Sache nicht befreien. Seine Erfolgsgeschichte muss weiterleben. Und um diese einmal mehr zum Besten geben zu können, durfte Morak sogar zur Präsentation des Ministerialentwurfs für die Gesetzesnovelle gleich mit aufs Podium: "Das bestehende Fondssystem hat einen neuen sozialpolitischen Standard für Künstlerinnen und Künstler gesetzt und sich insgesamt bewährt. Darauf aufbauend werden nun mit dieser Novelle im Sinne der Künstlerinnen und Künstler Adaptierungen, die sich aus der Praxis der letzten Jahre ergeben haben, vorgenommen. 14