Selbstbehauptung und Selbsterwichtigung. Zum Werdegang der Kunststadt Wien

»Das Kunst-Wunder von Wien«. So titelte die Zeitschrift art vor über 20 Jahren, um die damals weit gehend aus dem internationalen Blickfeld verschwundene Stadt zurück auf die Landkarte der Gegenwartskunst zu holen.

Höller Christian


It’s all da-da-da-down to goodnight Vienna

(John Lennon 1974)

»Das Kunst-Wunder von Wien«. So titelte die Zeitschrift art vor über 20 Jahren, um die damals weit gehend aus dem internationalen Blickfeld verschwundene Stadt zurück auf die Landkarte der Gegenwartskunst zu holen.1 Freilich war damit in erster Linie der Neue Malerei-Boom gemeint, der auch Österreich damals – in Form von Neo-Geo, informeller Abstraktion bzw. der so genannten Jungen Wilden – erfasst hatte. Andere Kunstsparten, von Medienkunst bis hin zu neueren konzeptuellen Ansätzen, die sich in dieser Phase verstärkt formierten und heute die damalige Malerei bei weitem in den Schatten stellen, blieben von der wundersamen Entdeckung ausgespart. Jedenfalls war Wien ab diesem Zeitpunkt gleichsam wieder international rehabilitiert und konnte als »Szenestadt« zu einem allmählichen Höhenflug ansetzen, der, was Lebendigkeit und Vielfalt, Institutionsgründungen und Marktaktivitäten betrifft, bis heute anzuhalten scheint. Dass der Flug nicht vorzeitig auf dem harten Boden des ab den 1980er Jahren entstehenden Globalkunstzusammenhangs endete, dafür sorgte unter anderem eine Medienwahrnehmung, die zwar nicht immer mit den lokalen Gegebenheiten übereinstimmte, die jedoch wichtige Impulse gab für einen seit damals schwelenden Prozess, den man auch als »Selbsterwichtigung« bezeichnen könnte.

»Insel Austria« hieß es kurz nach art auf dem Cover der Zeitschrift Kunstforum International2 – nicht nur, um damit auf eine grassierende Selbstgefälligkeit hinzuweisen, sondern auch auf eine (gewollte oder ungewollte) Abgeschottetheit, die ab diesem Zeitpunkt begann, immer durchlässiger zu werden. Zwar leisteten in dieser Phase alt eingesessene Institutionen wie die Secession oder das »20er Haus« teils Beachtliches, vor allem wenn man bedenkt, wie lange die Nachkriegsmoderne im offiziellen Österreich gleichsam nicht existierte. Doch sollte es einer Reihe von Institutionsneugründungen ab Mitte der 1980er Jahre vorbehalten sein, Kunst-Österreich aus seinem – sieht man von diversen Eklats rund um den Wiener Aktionismus ab – bis dahin eher beschaulichen Inseldasein zu befreien. Neue, zeitgeistmäßig »gebrandete« Ausstellungshäuser wie die Generali Foundation (ab 1988) oder die Kunsthalle Wien (ab 1992), aber auch über den nationalen Tellerrand schielende Galerien wie jene von Peter Pakesch oder die Galerie Metropol waren es, die das Kunst-Wien aus seiner Isolation holten, indem sie anderswo reüssierende Tendenzen der Gegenwartskunst aufgriffen und wichtige ProponentInnen erstmals vor Ort präsentierten. Inwiefern dies generell mehr einer konsumistischen Importhaltung entsprach und weniger dem tatsächlichen Austausch zwischen lokalen und internationalen Playern geschuldet war, sei dahingestellt. Wichtig war in dieser Phase – so naiv dies rückblickend klingen mag –, Fenster nach außen bereitgestellt zu bekommen, Schlaglichter auf ein Anderswo, das schon viel weiter entwickel zu sein schien, Aufhellungen inmitten der bis dahin regierenden Düsternis. Dass 20 Jahre später nahezu alle Kunstinstitutionen, egal worin ihre jeweilige Kernkompetenz auch liegen mag, in eine regelrechte Fetischisierung alles »Gegenwärtigen« und »Zeitgenössischen« einstimmen sollten, war damals nicht absehbar. Erst allmählich begann sich die der neoliberalen Deregulierung geschuldete und heute allgemein verbreitete Tendenz zu entwickeln, sich gegenseitig die noch hipperen KünstlerInnen, die noch zeitgeistigeren Themen, die noch großspurigeren Ausstellungsvorhaben vor der Nase wegzuschnappen. Als müsse die Selbstbehauptung zwangsläufig über einen irrational hochgeschraubten Konkurrenzkampf verlaufen.

Unbestritten ist, dass zur Öffnung und Internationalisierung das dazumal innovative Kunstfördermodell beitrug, das 1992 mit der Bestellung so genannter »Bundeskuratoren« eingerichtet wurde. Jeweils zwei Jahre lang sollten zwei vom Ministerium bestellte Kunstverantwortliche unbürokratische Direktunterstützung für Weg weisende Projekte und Initiativen leisten, die Förderung infrastruktureller Maßnahmen mit eingeschlossen. Gelder für Ausstellungsvorhaben, Vortragsreihen oder (Kleinst-) Institutionsgründungen wurden so leichter verfügbar, als das bis dahin der Fall gewesen war. Einrichtungen wie der Kunstraum Wien (1994–1996), die Public Netbase (1994–2006) oder das Depot (ab 1994), das in abgewandelter Form heute noch existiert, leisteten in dieser Phase – oftmals nachträgliche – Vermittlungsarbeit, die von den großen Institutionen des Staates und der Stadt bis dato verabsäumt worden war. Ja, der Anschluss an die Gegenwart ließ sich in Form von kleineren, parallel und beweglich operierenden Projekträumen besser bewerkstelligen – zumindest war dies die mit dem Modell einhergehende Hoffnung – als von den vergleichsweise inerten Großtankern, die lange Zeit in ihren ideellen Trockendocks festsaßen. Mit der Zeit aber diffundierten die einem kritischen Selbstverständnis verpflichteten kleineren Vermittlungsansätze wieder zurück in die größeren Institutionen, die sich so langsam eine Diskurshoheit zurückzuerobern vermeinten, die sie bis dahin nur bedingt besessen hatten. 1999 kam das Bundeskuratorenmodell nach insgesamt drei Perioden schließlich an sein Ende, und die landesweite Kunstförderung ging wieder in die unmittelbare Obhut des Kunststaatssekretariats, später dann des Unterrichts- und Kulturministeriums über.3 Geblieben ist die Einsicht, dass auch unabhängige, abseits der Großinstitutionen angesiedelte Initiativen möglich sind – etwas, das dem obrigkeitsstaatlichen Prinzip der offiziellen Kulturförderung bis in die 1990er Jahre so gar nicht entsprechen wollte. Noch bevor die Tendenz zur vermeintlich selig machenden privatwirtschaftlichen Orientierung um sich griff, bedeutete dies eine Art Befreiungsschlag bzw. die Etablierung eines anti-dirigistischen, sich aus eigener Kraft (bzw. aus vergleichsweise kleinen Budgetposten) speisenden Vielheits-Modells. Vielfalt, Heterogenität und Gleichzeitigkeit – von oft Ungleichzeitigem und Unzusammenhängendem – begannen sich ab diesem Zeitpunkt verstärkt in der lokalen Kunstszene abzuzeichnen. Was umgekehrt den Drang zu noch vehementerer Selbstbehauptung verstärkte.

Heute spricht kaum noch jemand vom »Kunst-Wunder Wien«. Dafür ist die Jahre über, gerade angesichts der wachsenden Bandbreite verschiedenster Subszenen und Sparten, ein kontinuierlicher Bedarf nach ordnenden Überblicken entstanden – nicht zuletzt im Hinblick darauf, Wien international als »Szenestadt« zu lancieren. Zwar schwimmen so gut wie alle Ausstellungshäuser, egal ob Tanker oder U-Boote, im diffusen Fahrwasser des »Kontemporären« und konzentrieren sich dabei auf einmal mehr, einmal weniger signifikante EinzelkünstlerInnen. Worin dagegen ein stetiger Mangel besteht, sind Zusammenfassungen, Querschnitte, thematische Schneisen bzw. das Herausarbeiten bezeichnender Trends – jene höhere Stufe kuratorischen Arbeitens, die nicht mit dem Entdecken oder Abfeiern gefragter Einzelfiguren abgedeckt ist. Tatsächlich gab es in den letzten Dekaden nicht wenige Versuche profilträchtiger »Szene-Mappings«, egal ob in den Medien Ausstellung, Katalog, Buch oder Zeitschrift.4 Frühe Beispiele wie die »Junge Szene«-Schauen der Secession (ab 1983), Ausstellungen wie »coming up – Junge Kunst in Österreich« (Museum moderner Kunst, 1996), die »emerging artists«-Reihe der Sammlung Essl (seit 2000) sowie bislang zwei Auflagen von »Lebt und arbeitet in Wien« (Kunsthalle Wien, 2000 und 2005) stellen allesamt Versuche dar, Überblicke über ein Terrain zu schaffen, das sich mit fortschreitender Diversifizierung immer weniger in eins fassen lässt. Gegenüber dem multiplen Treiben vor Ort, so etwas wie eine Überblicksposition einnehmen zu wollen, geht nicht nur mit dem Anspruch auf eine gewisse Diskursmacht einher – wer ist es, der oder die wen oder was als »the next big thing« anzukündigen versteht? Vielmehr ist der Bedarf nach repräsentativen, oder besser gesagt: demonstrativen Querschnitten enorm gestiegen, seitdem so genannte »Standortfragen« Einzug in das Reden über Kunst und Kultur gehalten haben.

Die von der Kunsthalle Wien initiierten, an internationale KuratorInnen »ausgelagerten« »Lebt und arbeitet in Wien«-Schauen sind in dieser Hinsicht symptomatisch. Die Szene soll als repräsentabel aufbereitet, ja der »Kunststandort Wien« eindrucksvoll unter Beweis gestellt werden. Dies bedeutet unter anderem, die Anschlussfähigkeit der lokalen Produktion, ja ihre Gleichwertigkeit mit den als hegemonial erachteten Zentren der Kunstwelt herauszustreichen. Inwiefern Städte wie Berlin, Paris, Amsterdam oder Barcelona diesbezüglich als (europäische) Standardgeberinnen fungieren oder überhaupt als Teil eines solchen Standortkalküls wahrnehmbar sind, ja von sich aus in einen solchen »Szenewettstreit« eintreten würden, sei dahingestellt. Die kuratorische Herausforderung besteht vielmehr darin, das lokal Vorhandene – konkret trifft die Kunsthalle eine Vorauswahl, die von den bestellten KuratorInnen anschließend auf 20 bis 25 Arbeiten eingeschränkt wird – als keineswegs minder gegenüber vermeintlich internationalen oder globalen Standards erscheinen zu lassen. Vielseitigste Praktiken werden so unter dem Signet »Made in Vienna« – eine Art Mehrwert schaffende Trademark, so die marketingträchtige Hoffnung – zusammengefasst. Das Markenzeichen soll umgekehrt eine möglichst breite Produktpalette mit einschließen, die in der Ausstellung so generös und vielfältig wie möglich aufgefächert wird. Letztlich sprengt aber genau diese erhoffte Variabilität den eng gesetzten Rahmen eines vermeintlich geschlossenen Produktions- und Lebenszusammenhanges, da die fortschreitende Diversifizierung – wie sollte es anders sein?
– tendenziell all das mit sich führt, was ebensogut an einem beliebigen anderen Ort der Welt vorzufinden ist. Am Ende triumphiert bei aller individuellen Standort- und Individualitätspropagierung just wieder eine gewisse Austauschbarkeit – etwas, das man in Zeiten der Globalisierung und des Globalismus am allerwenigsten brauchen kann.

Die Formel »Lebt und arbeitet in Wien« kann unter heutigen Bedingungen kaum mehr als ein leerer Platzhalter sein. Einzig wofür, ist die Frage – die Tatsache ausgenommen, dass man sich in seinem (zufälligen oder gewählten) Aufenthaltsort bestätigt fühlen möchte, indem man diesen in einem gleichsam autopoetischen Akt von sich aus bekräftigt und darauf hofft, dass andere, vor allem andere »Szenestädte« einem dabei beipflichten werden. Ansätze und Initiativen, dieses »selbstbehauptende« Standortmarketing weiter zu forcieren, sind indessen auf unterschiedlichsten Ebenen zu beobachten. Seit 2005 etwa macht sich die viennaartweek dafür stark, »Wien international nachdrücklich als vitalen und hochwertigen Kunststandort zu positionieren«, wie es im Mission Statement des Festivals heißt.5 Unter Beteiligung der namhaftesten lokalen Institutionen – kleinere Player sind in der Unternehmung eher wenig bis gar nicht vorgesehen – sollen Austausch und Begegnung hergestellt werden: zwischen dem, was vor Ort darauf wartet, entdeckt zu werden, und internationalen Gästen, die eingeladen sind, von diesen Entdeckungswürdigkeiten Notiz zu nehmen bzw. umgekehrt ihre weltgewandte Sicht vor Ort darzulegen. Viermal gaben sich KuratorInnen, KritikerInnen und sonstige InsiderInnen von MoMA über die Tate Modern bis hin zum Kulturdistrikt Abu Dhabi bislang die Klinke in die Hand, um den Positionierungs-Sitzungen beizuwohnen, die in der Tat einen schillernden Veranstaltungsreigen in einem hochkonzentrierten Zeit- und Themenrahmen bilden. Jahr für Jahr wächst bzw. konsolidiert sich das Festival, und es wäre verfehlt, den Erfolg des Ganzen an so etwas wie »arbeitsalltäglicher« Nachhaltigkeit messen zu wollen. Wichtig scheint der Impuls, der Wille, ja der Ankick zu etwas Größerem und Weitreichenderem, auch wenn die Artweek selbst mehr dem Prinzip der feuerwerksartigen Event-Zündung verpflichtet scheint, als sich mit der kleinteiligen Durchsetzung von etwas als wichtig oder zukunftsweisend Erkanntem abzumühen. Sollen andere die Brosamen der festlichen Szenebankette aufpicken, um den lokalen Hunger auf Kunst und Kultur weiter zu stillen.

Auf die Sicherung und den Ausbau des Kunststandortes Wien (wie es im gerne bemühten neuliberalen Wirtschaftsdeutsch heißt) zielen noch eine Reihe weiterer Initialzündungen, deren Schubkraft abzuwarten bleibt. So hat sich die zuvor auf Startup-Unternehmen im Creative Industries-Bereich zielende Förderabteilung der Stadt Wien namens departure im Jahr 2009 dem »focus Kunst« verschrieben.6 »Handlungsfelder und Verwertungsstrategien« sollen erschlossen werden, um längerfristig zu einer lokalen Marktbelebung im Kunstbereich beizutragen. Etwas, das in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie der abrupt schwindenden Sponsoringbudgets schlagartig an Brisanz gewinnt – zumindest stellt der Aspekt der (Wieder-) Belebung plötzlich eine ungleich größere Herausforderung dar, als man bislang auch nur annähernd geahnt hat. Wobei der fatale Schritt lange schon und vor allem irreversibel erfolgt ist, indem man Kunst (und hier ist vor allem ihre sperrigere, nicht mit Sonntagsmatineen verträgliche Spielart gemeint) zum überwiegenden Teil den Gesetzen des Marktes überantwortet hat. Befreiung aus der schützenden, ja letztlich entmündigenden Obhut des Staates (oder der Kommunalpolitik), so wurde dies einmal genannt. Überführung in eine neu errungene, stolz geschwellte Selbstverantwortlichkeit, werden die ApologetInnen des ideologischen Egotismus nicht müde, dem hinzuzufügen. Wobei sich bereits erste ernsthafte Rückschläge abzuzeichnen beginnen, wenn etwa Häuser, die bislang auf den anhaltenden Großmut und die Spendierfreudigkeit von Privaten vertrauten, ihre Budgets nicht mehr zusammenkriegen. Zu hoffen bleibt, dass der Absprung nicht unumkehrbar in Richtung reiner Privatwirtschaftlichkeit erfolgt ist – etwas, womit sich frei schaffende KünstlerInnen ja schon immer herumplagen mussten –, sondern dass ein Mindestfundament übrig bleibt, etwa was die Arbeitsbedingungen für auf Anhieb ungefällige Kunstansätze betrifft. Ein Standort, an dem ausschließlich das Gesetz des Stärkeren gilt, wird sich auf Dauer nicht sichern lassen. Flüchtigkeit und »Liquidität«, wie sie das moderne KünstlerInnenleben lange schon heimsuchen, auf infrastruktureller Ebene noch zu potenzieren, läuft letztlich darauf hinaus, alles Randständige und Subalterne auf systematische Weise im Keim zu ersticken.

Welcher längerfristigen Dynamik die Formierung von Subszenen und ihre Eingemeindung in größere institutionelle Verbände unterliegen, ist unschwer zu erkennen. Diesbezüglich scheint ein periodisch wiederkehrendes Regulativ am Werk zu sein, das den Gesetzen des Marktes ebenso trotzt wie vorschnellen ideologischen Zuschreibungen. Gerade in Zeiten prosperierender Märkte (oder Phasen der »Standortoptimierung«) sind größere Institutionen vielfach darum bemüht, kulturelle Nischen und Subszenen unter ihrem Deckmantel zu versammeln. Die erste Hälfte der 2000er Jahre war zweifellos eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs (auch wenn die Abgabenquote in Österreich in diesen Jahren so hoch wie nie zuvor war), was nicht zuletzt den in dieser Phase auf den Plan tretenden oder sich neu behauptenden Großinstitutionen zugute kam. Mitunter konnten diese, wie im Fall des 2001 eröffneten MuseumsQuartiers Wien, auch subkulturellen ProduzentInnen auf großzügige Weise ein Dach über dem Kopf anbieten – wenn auch nur vorübergehend oder bis der nächste Mietvertrag fällig war. So hat sich bekanntermaßen im Teilbereich des »quartier21« eine ganze Kette von Kleinstinitiativen und Mini-Institutionen einzurichten begonnen – Initiativen, die man bis dato mehr der gelebten Subkultur, quer über die ganze Stadt verteilt, zugerechnet hätte als dem Flaggschiff der Wiener Museumslandschaft. Vom Computerspielverein bis zur Animationsfilmecke, vom Modeladen bis zum Projektbüro, vom Pop-Archiv bis zur Musiktankstelle reicht das Sortiment, das sich kojenartig verschnitten im Außentrakt des Kunstareals ausbreitet. Zweifellos sorgen diese Mikro-Institutionen für ein vitales Erscheinungsbild des architektonisch träge und behäbig wirkenden Kunstareals. Auch bieten sie immer wieder abwechslungsreiche Tagesprogramme und lösen – nicht zuletzt aufgrund ihres häufigen Wechsels – überraschende Kleinstirritationen aus. Doch wird man auf Dauer den Eindruck nicht los, dass sie in Summe mehr der Imagepflege der eher statisch und monolithisch wirkenden Dachorganisation dienen, als dass sie den ursprünglichen Impetus ihrer jeweiligen Agenden und Kulturverständnisse weiter befördern würden. Der Außenhaut des Quartiers ein buntes, flirrendes Erscheinungsbild zu verleihen, ist ein Ding. Die Schlagkraft mikropolitischer Ansinnen inmitten dieser flirrenden Buntheit aufrechtzuerhalten, etwas anderes. Und so haben viele der temporär im MQW angesiedelten Kleinkulturanbieter das Areal mittlerweile auch schon wieder verlassen. Einige haben sich von der zeitweiligen Eingemeindung in den größeren Verbund gar nicht mehr erholt. Das Wechselspiel von Zentralisierung und sich davon absetzenden Fluchtbewegungen lässt sich noch auf einer weiteren Ebene beobachten. So hat die erste Hälfte der 2000er Jahre bekanntlich einen heftigen Konsolidierungsschub des Kunstmarktes erlebt – auf lokaler Ebene spürbar etwa in der Ausbildung der beiden Galerienviertel in der Eschenbachgasse und in der Schleifmühlgasse, aber auch der steigenden Präsenz einzelner Vorzeigegalerien auf internationalen Messen. Auch die Neugründung der Kunstmesse viennAfair trug zur erhofften – und in der Tat finanziell erfolgreichen – Aufwärts- bzw. Expansionsbewegung bei. Dass diese Expansion nur funktioniert, so lange von innen her beständig für Nachschub gesorgt ist, wird dabei oft übersehen. Zwar betreiben viele Galerien (wie auch Großinstitutionen) diese Nachwuchsarbeit mit viel Schläue und Elan, doch sollte nicht vergessen werden, dass ein Gutteil davon sich mit dem Arbeitsfeld von Alternativunternehmungen überschneidet, die, sozusagen »von unten« operierend, für eine beständige Dynamik innerhalb des Kunstbetriebs sorgen. So wird der klassische Off-Space-Bereich, in dem wichtige Nachwuchsarbeit ohne entsprechende budgetäre Ausstattung erfolgt, von häufig wechselnden, kurzzeitig auf- und wieder abglimmenden Orten bespielt: Räumen wie »auto«, »dreizehnzwei«, dem »Open Space«, »das weisse haus«, dem »Salon für Kunstbuch«, »Ve.Sch« oder »swingr«, die teils schon wieder nicht mehr existieren, in der kurzen Zeit ihrer Existenz aber reelle Angelpunkte ansonsten virtuell bleibender Subszenen darstellen.7 Auch wenn sich ihre Wirkung realiter in der Funktion als NachschublieferantInnen erschöpfen mag, sorgen diese Off-Räume dem Prinzip nach dafür, dass die Diversifikation des Kunstgeschehens auch abseits des Marktes (bzw. funktionierender Märkte, wie man in Zeiten des Krisengeheuls sagen muss) nicht vollends zum Stillstand kommt.

Indem immer wieder neue, temporär angelegte Projekträume aus dem Boden gestampft werden, wobei mittlerweile einem kritischen Internationalismus ebenso Rechnung getragen wird wie dem Bedarf nach außerinstitutionellen lokalen Experimentierfeldern, erfährt auch die Standortdebatte eine ungeahnte Bereicherung. Unkalkulierbar zwar, dafür aber (was paradox klingen mag) kontinuierlicher und kurzzeitig fester gebündelt als Initiativen »von oben« dies gewährleisten können. So liegt in der Veränderlichkeit von Subszenen und in den immer wieder erstarkenden Off-Aktivitäten ein wichtiger Garant dafür, dass die gerne beschworene Institutionsdynamik längerfristig mobil bleibt. Dass eine »Szene« aus sich heraus wachsen kann, ohne ihr Substrat darin zu wähnen, dass man auf andere, größere Szenestädte schielt. Selbstbehauptung, die nicht allein auf »Selbsterwichtigung« aus ist und nicht primär auf Konkurrenz beruht, macht einen wichtigen Teil dieser Mobilität aus. Gerade deshalb braucht niemand auf ein neues Kunst-Wunder zu hoffen.

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