Über Sauerstoff und antirassistischen Widerstand
Um nicht den Eindruck zu erwecken, antirassistischer Widerstand in Österreich habe erst mit gettoattack begonnen, sei darauf hingewiesen, dass vor allem migrantische Communities seit Beginn der Arbeitsmigration massiven Widerstand gegen restriktive Gesetzgebung und daraus folgende Diskriminierung und Schlechterstellung geleistet haben. (vgl. Bratić 2000 u. 2002, Gürses / Kogoij /Mattl 2004) Die von mir ausgeführten Überlegungen bauen auf der Zusammenarbeit mit zahlreichen AkteurInnen auf, deren theoretisches und aktivistisches Wissen in meine Arbeit einfließt (siehe auch das Webverzeichnis im Anhang, das zur weiteren Lektüre und Recherche anregen und verschiedene Positionierungen sichtbar machen soll).*
Unter Rassismen verstehe – ich einer Definition des Austrian Network Against Racism (ANAR) folgend – "historisch gewachsene systematische Asymmetrien zwischen explizit rassistisch definierten Gruppen und den über die 'Anderen' implizit definierten hegemonialen Gruppen in einer Gesellschaft. Rassismen beeinflussen alle Lebensbereiche der bessergestellten und der diskriminierten Gruppen. Sie werden in allen Bereichen zu etwas 'ganz Normalem'." (Bratić 2002:120) Rassismen verbinden und überschneiden sich mit anderen Ausschließungs- und Unterdrückungsmechanismen wie Hetero-Sexismus, Diskriminierung aufgrund von Religion, Klasse, Alter oder Behinderung und formen so die gesellschaftliche Realität. Angebliche Unterschiede dienen der hegemonialen Gruppe folglich als Erklärung dafür, dass "die Anderen" von Zugängen zu Politik, Arbeitsmarkt, Gesundheitswesen, etc. ausgeschlossen werden. Dabei ist zu beachten, dass sich Ausgrenzung und Diskriminierung innerhalb rassistisch definierter Gruppen unterschiedlich auf die Geschlechter auswirken. Rassismen werden heute nicht mehr ausschließlich durch biologistische Kriterien gerechtfertigt, sondern vielmehr in Erklärungen der Kultur der "Anderen" verortet. Die "Besprochenen", also die Objekte der rassistische Konstruktion, sind dabei austauschbar. Das Feindbild sind dann einmal alle MuslimInnen – erinnern wir uns an die Wiener Gemeinderatswahl 2005 –, dann wiederum Schwarze Menschen und OsteuropäerInnen, wie zuletzt die Kampagne des BZÖ (Bündnis Zukunft Österreich) für die Grazer Gemeinderatswahl "Wir säubern Österreich" [sic!] im Jänner 2008 zeigte.
"'Wurden sie schon einmal mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert, wenn ja wie reagieren sie darauf?' Diese Frage wird mir als Schwarzer Frau von weißen ÖsterreicherInnen oft gestellt; sie erstaunt mich trotzdem immer wieder, denn sie ist für mich gleichbedeutend mit der Frage: Wurden sie schon mit Sauerstoff konfrontiert, und wenn ja wie reagieren sie darauf?" (Johnston-Arthur/Görg 2000:25)
Wie kleine Kinder, die – ihre Hände vorm Gesicht – glauben, dass sie plötzlich verschwunden seien, reagiert die Mehrheitsgesellschaft auf das Wort Rassismus. So soll es mich im nachhinein nicht wundern, dass die Ex-Justizministerin Karin Gastinger mich bei der Frauenmesse 2006 fragte, ob es tatsächlich Rassismus in Österreich gäbe. Eigentlich hätte ich mit den Worten Araba-Evelyn Johnston-Arthurs, einer Schwarzen Sozialwissenschaftlerin und Aktivistin, die Sauerstofffrage stellen sollen. So konnte ich kaum etwas entgegnen, weil ich einfach fassungslos über die an den Tag gelegte Ignoranz war, umso mehr, als ich an die systematische Kriminalisierung Schwarzer Menschen während der Operation Spring und ihre bis in die Gegenwart reichenden Konsequenzen dachte. Diese von den Medien und der österreichischen Politik als größte Polizeiaktion der Zweiten Republik gefeierten, staatlich gelenkten Übergriffe hatten einmal mehr gezeigt, wie systemimmanent rassistische Strukturen in Österreich sind, und wie die medial konstruierte Verbindung aus Drogenmafia und AfrikanerInnen die Verhaftung von mehr als 100 Personen, unter ihnen führende AktivistInnen der Schwarzen Community, zu rechtfertigen suchte.
Speziell im postnazistischen Österreich stößt der Begriff Rassismus auf Abwehr, da er mit dem Extremismus der Ewiggestrigen oder mit sozial problematischen Jugendlichen assoziiert wird. "Stets gilt Rassismus als eine Ausnahme im gesellschaftlichen Funktionieren, als Bruch der ansonsten friedlichen "Normalität". (Terkessidis 2004:8) Und eben diese "friedliche Normalität" erschüttern MigrantInnen und Schwarze Menschen, wenn sie Strukturen der Mehrheitsgesellschaft als rassistisch bezeichnen, denn zur Erhaltung dieser "Normalität" und der damit verbundenen Prozesse und Verhältnisse gehört "wesentlich die Entthematisierung der Mechanismen ihrer Produktion und Reproduktion, mit allen verbundenen Macht-, Unterwerfungs-, Klassifizierungs-, Gewalt- und Ausgrenzungsverhältnissen." (Pühretmayer 2000: 85)
Und wenn das Bestehen von Rassismen – in der Mehrheitsgesellschaft wird immer die Rede von Rassismus sein – dann doch mal anerkannt wird, werden diese auf der persönlichen Ebene verortet. Diese traditionsreiche Strategie, oft einhergehend mit dem Suchen von Schuld bei den Diskriminierten à la "Wären nicht (so viele) Andere, hätten wir keine Probleme", findet meist Anwendung, um sich nicht mit dem eigenen Handeln, auf persönlicher oder politischer Ebene, auseinander setzen zu müssen. So ist es kaum verwunderlich, dass in manchen Köpfen die Meinung vorherrscht, Rassismen seien erst dann in Österreich aufgetaucht sind, als es zum Kontakt zwischen der österreichischen Mehrheitsgesellschaft (imaginiert als weiß, heterosexuell, am liebsten blond, blauäugig und römisch-katholisch) und den wie auch immer "Anderen" gekommen ist. Und eigentlich spricht man/frau in Österreich auch lieber von "Ausländer-" oder "Fremdenfeindlichkeit", die den weniger gebildeten und ökonomisch schlechter Gestellten, nicht aber den "guten" BürgerInnen zugeordnet wird.
"Wer ist denn nun fremd?", werden manche fragen. In Österreich sind alle fremd, die nicht dem Mainstream-Bild des "Österreichers" oder der "Österreicherin" entsprechen. Schwarz und Österreicherin? "Das hab ich ja noch nie gehört." Breitestes Wienerisch kombiniert mit Kopftuch und dunklem Haar? "Kann nicht sein, die kommen sicher aus dem Ausland."
Und dann heißt das Ganze schnell mal "Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit", denn es ist anscheinend einfacher damit umzugehen, als mit dem Wort Rassismus. Interessanter wären da doch ganz andere Fragen, nämlich wer, wodurch und wie fremd macht. Dass diese Fragen nicht gestellt werden, liegt wohl auch an der mangelhaften sowie unfreiwilligen Aufarbeitung von Kolonialismus (hier kommt meist ein: "Nein, sowas haben wir in Österreich nicht.".) und NS-Vergangenheit (betretenes Schweigen oder: "Müssen wir denn immer die alten Geschichten aufwärmen?). Fehlendes Interesse an der Aufarbeitung rassistischer Strukturen, gepaart mit einer wenig couragierten Zivilgesellschaft, führt uns direkt zu Endlosschleifen aus "Reguliert die MigrantInnen" und "Mir san mir", unterbrochen vom ständigen Anrufen der durch die MigrantInnen angeblich gefährdeten Sicherheit. Das Ganze als täglicher Cocktail in den Medien, nicht nur in Österreichs beliebtester Zeitung, der "Krone", in der Politik und auf der Straße. Willkommen in der österreichischen Realität.
Realität ist aber auch Widerstand gegen herrschende Verhältnisse. Es gab und gibt organisierte antirassistische Kämpfe, die sich nicht nur im Widerstand erschöpf(t)en, sondern denen es um Aufbau und Etablierung anderer Strukturen ging und geht. Diese können und werden durch Reflexion und (Selbst-)Kritik vorangetrieben.
Die Plattform gettoattack, als Reaktion auf die Nationalratswahlen vom 3. Oktober 1999 gegründet, bot sich als Label an, um die Stimmen all jener zu bündeln, die ihren Protest gegen die Wahlergebnisse kundtun wollten. Zuvor konnte die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreich) nach einem rassistischen und diskriminierenden Wahlkampf rund 27% der Stimmen einfahren und somit auf eine Regierungsbeteiligung hoffen. Diese wurde ihr schließlich durch den damaligen Vorsitzenden der ÖVP (Österreichische Volkspartei), Vizekanzler Wolfgang Schüssel, ermöglicht. Noch vor der Wahl hatte er zwar immer wieder die Möglichkeit einer Koalition mit der FPÖ negiert, nach Vortäuschung ernst gemeinter Sondierungsgesprächen war er allerdings schnurstracks auf eben diese Koalition zugesteuert, womit er sich anschließend im Amt eines dauergrinsenden Bundeskanzlers wieder fand.
Die Forcierung diskriminierender Gesetzgebung durch die SPÖ unter den Innenministern Löschnak und Schlögl, die kontinuierliche Ausweitung und Institutionalisierung der entsprechenden Praktiken sowie die mangelnde Abgrenzung und Verurteilung rechtspopulistischer Politik ebneten Grund und Boden für die Erstarkung der FPÖ. Somit stellt deren Regierungsbeteiligung nicht wie vielfach kommentiert eine Wende in der österreichischen Politik dar, sondern war lediglich logische Konsequenz.
"Die nach den Wahlen gegründete antagonistische Plattform gettoattack ist so etwas wie ein Label, unter dem alle Personen und Initiativen, die sich durch die Forderungen und Positionierungen von gettoattack angesprochen fühlen, Aktionen durchführen mögen. gettoattack wendet sich gegen die Institutionalisierung von Rassismus, Sexismus und Nationalismus und propagiert die aktive Vernetzung von Einzelpersonen, Gruppen und Institutionen mit dem Ziel einer offensiven Politik." (TATblatt 1999)
Diese "offensive Politik" beinhaltete Podiumsdiskussionen, Verteilen antirassistischer Materialien, das Veranstalten von Aktionstagen und Demonstrationen sowie gemeinsames Demo-Schilder bauen. Die Aktionen, die vornehmlich als (Re-)Aktionen gegen Schwarz-blau konzipiert waren, was wiederum mangelnden Aufbau von Strukturen und Feindbildfixierungen zur Folge hatte, versuchten auf unterschiedlichste Weise Publikum zu erreichen. Hier eine Prise Kommunikationsguerilla, da ein wenig Spaß- und Verkleidungstaktik. (vgl. Marchart / Sternfeld 2003). Die Aufsehen erregendste Aktion gettoattacks wäre wohl die leider zu früh enttarnte Hubschrauberaktion am Kärntner Ulrichsberg geworden, geplant als Protest gegen die alljährlich stattfindenden Feiern zur Erinnerung an die "für ein vereintes deutsches Europa" [sic!] gefallenen Soldaten (vgl. AK gegen Kärtner Konsens 2000). Dass diese alljährlich mit Wissen und unter Beteiligung österreichischer PolitikerInnen stattfinden, sei hier ebenfalls erwähnt.
gettoattack wurde als Aktionsgruppe aus dem Kunstbereich initiiert, und es konnte kaum die Rede davon sein, dass migrantische AktivistInnen oder Selbstorganisationen eingebunden waren, geschweige denn als SprecherInnen und AkteurInnen auftraten. Mehrheitsösterreichische KünstlerInnen, die zu Widerstand im Namen der MigrantInnen aufriefen, standen aber klar im Widerspruch zur eigenen Programmatik, wie die Beteiligten bald, auch durch Kritik von außen, erkennen mussten. "Eine antirassistische Initiative, die ausschließlich aus der Perspektive von MehrheitsösterreicherInnen spricht und auftritt, trägt unweigerlich paternalistische Strukturen weiter. Gemessen am eigenen Forderungskatalog, befand sich gta also mitten in den Problemen der Stellvertreterpolitik." (Marchart / Sternfeld 2003) Die Falle des Paternalismus, des Sprechens für und über die "Anderen" ist eine Falle, in die schon einige andere zuvor getappt waren. MigrantInnen und Schwarze Menschen werden als hilfsbedürftige Objekte imaginiert, die der Hilfe liberaler Menschen oder Organisationen bedürfen, um zu ihren Rechten zu kommen. Mehrheitsösterreichische AktivistInnen können so in einem System bleiben, das MigrantInnen keine Stimme zugesteht, sie stumm macht. Nebenbei behalten sie so auch ihre Ressourcen, Arbeitsplätze und Zugänge. Demgegenüber behauptet sich migrantische Selbstorganisation, denn "aus ihrer Erfahrung wissen die aus der Migration hervorgegangenen AktivistInnen, dass sie nicht primär auf die Integration in die bestehenden politischen Institutionen setzen dürfen [...] Sie müssen sich selbst organisieren, um die aus ihrer spezifischen Situation erwachsenden kulturellen, sozialen und politischen Ansprüche vorzutragen, und gleichzeitig Bündnisse mit anderen sozialen Bewegungen eingehen, um neue Formen zu finden, Politik zu machen." (Abdallah 2002: 89)
Ein Beispiel, das belegt, dass solche Bündnisse nicht in Friede-Freude-Eierkuchen Stimmung, sondern durchaus mit Streit und Diskussion einher gehen, ist die mittlerweile von den meisten politischen, antirassistischen AktivistInnen geforderte Einhaltung von Equality Targets. Diese wurden im Rahmen von ANAR (Austrian Network Against Racism) vor allem aufgrund der Forderung migrantischer AktivistInnen verschiedener Organisationen (z.B. Pamoja, Die Bunten) im Jahr 2000 erkämpft und erarbeitet. Der Gründung ANARs war ein massiver Konflikt vorausgegangen, dass beim ersten Gründungsversuch 1999 keine migrantischen AkteurInnen eingebunden waren (vgl. Thallmayer 2002).
Die Erarbeitung von Eqality Targets, eine klare Absage an moralischen Antirassismus und die Aufforderung, eigene Strukturen auf Diskriminierung zu untersuchen, wurden von einigen etablierten Organisationen nicht mitgetragen und zogen deren Austritt aus dem Netzwerk nach sich. Dies sagt wiederum viel über das Selbstverständnis dieser – meist staatlichen – Organisationen aus.
Basis für Antirassismusarbeit ist hingegen die Bewusstwerdung über die Verstrickung jedes/jeder Einzelnen in rassistische Strukturen. Und eben diese Strukturen müssen offen gelegt, alternativ gedacht und verändert werden. Die Erkenntnis, dass Gründe für Rassismus weder bei den "Anderen" liegen noch am Individuum festgemacht werden können, trennt moralischen Antirassismus von politischem Antirassismus (vgl. u.a. Johnston-Arthur/Görg 2000, Ongan 2001). Viele glauben, unterstützt durch die offizielle politische Linie "Feindbilder sind immer die MigrantInnen", dass durch gegenseitiges Kennenlernen, meist zelebriert in Koch- und Tanzveranstaltungen, Rassismen – hier dann gerne "Fremdenfeindlichkeit" genannt –, verschwinden würden. Wie wir wissen, ist das nicht der Fall. Multikulti ist tot und war auch immer nur für die sich schon seit Ewigkeiten bereichernde Mehrheitsgesellschaft ein Hit.
Die letzten Jahre haben eine Reihe von Initiativen, migrantischen Selbstorganisationen und Bündnissen gebracht. "Arbeiten gegen Rassismen", die Wahlpartie und weitere Kooporationen migrantischer und mehrheitsösterreichischer AkteurInnen unterstreichen Potential und Möglichkeit des politischen Antirassismus, der sich in neuen Konzepten und Praxen an die österreichische Öffentlichkeit wendet. Die (österreichische) Realität erlaubt keine Atempause. Verschärfungen der Fremdenrechtsgesetze, andauernde Kriminalisierung und tätliche Übergriffe der Exekutive auf MigrantInnen, Schwarze Menschen und MuslimInnen, von österreichischen Gesetzgebung ungeahndete Diskriminierungen und Beschimpfungen im öffentlichen Raum, fordern unseren Einsatz und zeigen die Dringlichkeit der weiteren Etablierung antirassistischer Strukturen. Eben auch in Bereichen, die davon noch nichts hören wollen. Ich möchte mit den Worten von Ljubomir Bratić enden, die mich bei der Erarbeitung dieses Textes begleitet haben: "Der Antirassismus ist möglich", schreibt der Philosoph, Autor und antirassistische Aktivist, "und er ist nicht die praktizierende Schattenseite der Rassismustheorie. Es handelt sich dabei um die Entwicklung eines Denkens, das es uns ermöglicht, den Boden zu bereiten, dass die Gewächse der Gleichheit und Freiheit Aller wachsen können. Statt eines Nachwissens brauchen wir ein Vorwissen, statt vorauseilendem Gehorsam die vorantreibende Aktion." (Bratić 2002:9) Dieses Denken voranzutreiben und im Aktionismus zu erproben, ist antirassistische Aufgabe und Ziel.