Von "Wende" zu "Sandkiste". Trotzdem eine Glosse zur kakanischen Wissenschaftspolitik
Was ist nun mit Österreich-Kultur nach dem Frühjahr 2000? Als erstmals in die Regierung eines zu den westlichen Industriegesellschaften gezählten Staats Rechtsextremisten oder vielmehr, wie man EU-abgesegnet sagen darf, Freunde von Rechtsextremismus in die Regierung aufgenommen wurden. Denn man lasse sich nicht verwirren, Spanien und Portugal, in denen auch während der Demokratisierungsprozesse Francisten und Salazaristen sich in höchsten Staatspositionen behauptet haben, haben im politischen Sinn nicht zu den westlichen Industriegesellschaften gehört, trotz deutschem, aber nicht bloß deutschem Reiseeifer zu den Küstenghettos. Und Italien folgte erst, beschwingt durch Österreich, mit der Aufnahme von Rechtsextremismus-Nähe in die Regierung.
Doch in beiden Fällen hat so etwas wie eine Gesamtkontrolle durch die EU, so gerecht wie ungerecht ausgeübt, funktioniert. Und das Rundum-Herum-Geklage darüber, warum Sanktionen gegen Österreich und gegen Italien dann fast keine, ist ein ganz überflüssiges Geraunze gewesen und bleibt es. Bei Italien setzt man immer viel Improvisation voraus, die, so fürchtete man, Österreich abgeht. Es war ja auch so dann schließlich, daß Schüssel entgegen seinen Behauptungen und denen seiner Partei, einzig mittels der Sanktionen seinen Rechtsextremismusfreund Haider hat überspielen und schließlich hinausspielen können, vorher tanzte er nach dessen Pfeife und musste für Alles im Bärental nachfragen.
So scheint jetzt in reiner Formalität 2000 vorläufig überwunden. In nichtformalistischer Sicht sind freilich Brüche geblieben. Diese darf man nicht mehr falsch verstehen, sie haben ihren Charakter verändert. Was jetzt anders verläuft gegenüber Prä-2000, das ist nun international, mindestens europäisch einfunktioniert, altdeutsch würde man sagen, eingebettet.
Politisch etwa bietet nun allen Freunden einer Überwindung des gewaltenteiligen Rechtsstaats der ausgerufene Krieg gegen den Terrorismus international Motivparadiese ohne Berufung auf die totalitären Altvorderen, denen man sich aus heute wieder beschworener Pietät verpflichtet fühle. Auch angeblich noch links taucht ja der komische Wert Pietät auf, wenn es um Fragen der Erinnerungs-Kultur geht, bei Rudolf Burger etwa, um Vergessen für Vergangenheitsschuld zu fordern, weil man mit der Erinnerungskultur nur Geschäfte betreibe, und das sei gegen die Pietät. Vergessen scheint dann in der Tat die pietätischste Lösung. Das hat Logik der Oberfläche. Erinnern dann nur eine Angelegenheit von Historiker-Elite, die es nicht weitersagen darf; denn das wäre ja schon Geschäftemacherei.
Doch wie alt-blass nimmt sich heute das Modell Jörg Haider mit seinem Vater-Kult und seinem Ruf nach 3. Republik aus gegenüber dem Modell Schäuble, vorher Schily und nun auch in Österreich Platter. Man glaubt ja kaum mehr, wenn man den Kärntner Landesfürsten so reden hört und ihn hinterhältige Schildchen montieren sieht in Kärntens Touristiklandschaft, dass dieser Mensch in seiner Jugend wie ein anderer vor ihm aus Österreich politisch nach Deutschland strebte und in der Freundschaft mit dem FDP’ler Graf Lambsdorf nicht ganz ohne Aussichten war, dem abzuhelfen, dass sogar Österreich, nicht nur Kärnten a little bit too small for him war.
Allerdings haben sich noch einmal die deutschen Freidemokraten einer rechtsradikalen Last erwehrt, wie anno dazumal mit Scheel-Genscher versus Mende, und blieben im internationalen Sinn liberal entgegen österreichischen und lange zuvor auch deutschen Verfälschungen der Freiheitlichkeit vom Individualen zu "Freiheit für das deutsche Volk", nämlich in Europa und in Übersee herumzuwüsten, wie Kaiser oder Führer es befahl. Zum Glück sieht solches jetzt immerhin alles wie Schrott aus, dank Europa-Entwicklungen einer gewissen Kontrolle gegenseitig. Es wurde ja auch der Rechtsstaatsbrecher Berlusconi zu keinem Mussolini. Doch, wie angedeutet, kommen jetzt die Gefahren für den gewaltenteiligen Rechtsstaat aus ganz anderen Richtungen, auf internationaler Ebene dazu, nicht mehr nationalistisch. Aber das soll hier nicht mein eigentliches Thema sein, freilich bildet es dennoch den Hintergrund, daher mussten ein paar Anzeigen davon gemacht werden.
Mir geht es jetzt auch nicht einmal um das Kulturelle im Politischen gemäß der Frage, wie es sich verändert hat seit 2000, sondern um mein eigenes Arbeitsgelände und entsprechend um die Wissenschaftspolitik in ihrer Veränderung. Und da gilt ebenfalls für Österreich heute 2007 das zuvor Herausgekehrte, nämlich die internationale, mindestens europäische Einfunktioniertheit der österreichischen Veränderungen oder Veränderungstendenzen, selbst dort, wo Österreich erneut Vorprescher war, in den Gebühren für das Studieren. Man suchte das ja gerade zu rechtfertigen durch internationale Verweise, und sei es um der Lüge willen, etwa Frankreich erhebe auch Gebühren fürs Studieren. Es handelt sich in Frankreich nur um Beiträge fürs Soziale von Mensaessen bis Krankenversicherung, die können allerdings, in Paris etwa, ziemlich hoch sein.
Wenigstens Gebühren fürs Studieren macht Deutschland Österreich erst derzeit nach, was freilich bestätigt, das ist keine nur österreichische Angelegenheit. In Österreich hat man es bloß anstandslos geschluckt, während in Deutschland heftige Proteste liefen. Selbst manche Bundesländer haben dort noch nicht mitgemacht, weil sogar auf Regierungsebene Zweifel bestehen.
Auf andere feine österreichische Unterschiede stößt man mit den Fragen nach dem Bologna-Prozess, dem anderen großen Feld der Veränderung von Wissenschaftsbetrieb unter politischem Druck. Österreich zeigt hier ein Charakteristikum seiner Politik, nämlich politisch offen zu sagen, was die Praxis ist oder was als Praxis gewollt wird. Während, weil solche Offenheit so ungeheuerlich klingt, in anderen Politiken anderer Länder das in der Tat Betriebene oder Gewollte rhetorisch ummäntelt wird, so dass die politischen Reden wie das Gegenteil des real Gemachten oder in Mache Befindlichen klingen, alte ideologische Technik. Man ruft nach Verbesserung der Forschung und der Lehre, während man die Forschung beschränkt und damit die Lehre verschlechtert. Insofern kann man oft von österreichischen Politikern lernen, weil sie solche rhetorische Vorsichtsmaßnahme für überflüssig halten und man dadurch weiß, wer Gast, wer Kellner.
Ich hörte den Vortrag des derzeitigen österreichischen Wissenschaftsministers Hahn zur Eröffnung eines Kongresses über die Umwandlungen der Arbeit, veranstaltet von der Waldviertler Akademie 2007. Da sagte er, dass es im Namen des Bologna-Prozesses dringend an der Zeit wäre, bei und mit aller Hochachtung demgegenüber das Humboldtsche Universitätsmodell auch in seinem Kern einer Einheit von Forschung und Lehre zu demontieren. In Zukunft gelte es, Massenuniversitäten des reinen Lernens, also Paukens zu realisieren, die die von der Wirtschaft nachgefragten Akademikermengen zu produzieren hätten mit Bachelorabschluß als Hauptproduktionsziel der Universitäten. Die weniger für hochanspruchsvolle Forschung Qualifizierten würden sich im Nebenbei von selbst heraussondern lassen, um eine kleine Elite für wenige fortgeschrittene Studiengänge nach dem Bachelor in Forschungsarbeit hinein zu erhalten, Forschung sei schließlich für Nebenprodukt der Universitäten zu erachten.
Ich dachte, ich höre nicht richtig. Weil ich als Vizepräsident meiner Hochschule oft an Kongressen zur internationalen Universitäts- und Hochschulreform teilnehme, erinnere ich mich, von so manchem amerikanischen Vortragenden gesagt bekommen zu haben – denn es waren stets Amerikaner dabei, weil alle Universitätsreformer sich ständig auf amerikanische Modelle berufen, so klingt ja auch die Bachelor-Master-PHDStruktur – also, meine ich, gesagt bekommen zu haben von den amerikanischen Kollegen, sie würden in Amerika so nachhaltig wie möglich für die Universitäten um der Optimierung der Forschung willen zum Humboldtschen Modell zurückstreben. Und Groß-Britannien diskutiert die Abschaffung der Bachelor- Master-Struktur, weil sie der Forschungsarbeit im Weg stünde. Das ist das Eine, das Andere gegen Hahn aber ist, die Wirtschaft ruft nicht nach mehr irgendwie certifizierten Akademikern, sondern nach Forschungskompetenzen. In Deutschland folgt die Rhetorik der Debatte um Universitätsreform unter den Perspektiven Bologna dem Druck beider genannten Vorgänge. Die Reformer reden dort von der Forschung als Hauptaufgabe der Universitäten und deren Optimierung. Doch mit Einführen der Bachelor-Master- Struktur und der Glanzidee der Exzellenz-Universitäten und Exzellenz-Institute stellt sich bei ihnen klar, dass sie dasselbe wollen wie Hahn, viele Universitäten als Paukschulen und ein paar Forschungsuniversitäten. Sie kleiden das nur in eine Rhetorik, die das verkehrt. Sodass es so scheint, als ginge es um die Forschung als Sinn der Universitäten und Hochschulen. Nun ja, Hahn forderte den Waldviertler Kongress auf, viele Beiträge zu bringen zur Demontage der Humboldt-Universität. Das hätte ein deutscher Wissenschaftsminister nie so gesagt, gerade dann nicht, wenn er es praktisch will.
Was werden aber praktisch der Deutsche bei anderer Rhetorik und der Österreicher bei Übereinstimmen von Praxis und Rhetorik in ihrer Zerstörung des Humboldtschen Modells erreichen? Ich höre schon die Klagen über dieses 2. Abitur oder die 2. Matura namens Bachelor. Ich sagte schon, dass wegen der bloß 6 Semester dieser Titel anglophon ohnehin nicht anerkannt wird, wo dort der Bachelor 8 Semester verlangt. Und in der Wirtschaft will man Forschungskompetenz, keinen akademischen Titel. Also die Klagen, dass diese Studenten der 2. Hochschulreife wieder nicht für Forschung vorbereitet seien, höre ich schon aus der Zukunft herantönen, herandröhnen. Schließlich sind sie ja ausgebildet von forschungsabgekoppelten Lehrern. Und wie wollen diese Abgekoppelten Forschungskompetenz beurteilen können? Alles wiederholt sich wie zwischen Mittelschule und Universität. Dabei geht die beste Lebenszeit zu Forschungsaufbruch (nachgewiesen) in Paukanstalten verloren. Soll man nun eine 3. verschulte Paukanstalt anfügen, ein drittes Abitur? Mit durchorganisiertem Doktorandenstudium realisiert man das gerade und erreicht, dass erst mit 32 oder 35 Jahren wirklich Forschungsarbeit beginnt. Unter dem Anschein der Studienzeitverkürzung wird verlängert. So wie im entwickelten Fußball alle wichtigen Entscheidungen nur in Verlängerungen getroffen werden.
Aber wenn man Hahns Wissenschaftspolitik als Ausfluss der Schüsselschen "Wende" auffasst, wozu es viele Belege gibt, so stößt man, wie bei dem Meisten in Österreich, auf den Umstand, dass die tonangebenden Politiker und Politikbeamten im Prä- 2000 das von der "Wende" Bescherte längst nachhaltig angedacht und angetrieben hatten. Ich erinnere mich eines Programms von Sigurd Höllinger, höchstem Beamten des Wissenschaftsministeriums im Prä-2000, nach welchem Programm das Lehrdeputat der Universitätsprofessoren sehr angehoben und dem der Mittelschullehrer angenähert werden sollte. Er hatte das schon soweit veröffentlicht, dass Proteste der Universitätslehrer losgingen, wo denn da die Erfüllung ihres Forschungsauftrags bliebe. Höllinger erwiderte dem, dass die Universitätslehrer mit der Promotionsarbeit und der Habilitationsarbeit schließlich genug geforscht hätten. Dieses Argument gebrauchte er, obwohl der österreichischen Promotionsordnung zu entnehmen ist, dass die Promotion keine volle Forschungsarbeit verlangt, sondern nur eine, die die Befähigung zum Forschen belegt. In Österreich hat sich trotz Wendeerregung 2000 bei näherem Nachblick gewöhnlich nichts geändert außer in den Accessoires von Club 45 und Edenbar zu Schmetterlingsschleife und ihrer Ablegung, dann hinein in die Sandkiste.