In Trümmern. Der Geist urbaner Musikkultur

Gibt es heute noch spezifische »urbane« Musikkulturen? Hat das etwas mit Österreich zu tun?

Rantasa Peter


 

Detroit-Techno, Chicago-House, Seattle-Sound und Grunge, New-York-Noise, Phillysound, New-Orleans-Jazz: Die Verbindung von Städten und Musikstilen ist in der Geschichte der Unterhaltungsindustrie ein gängiges Instrument zur Herstellung von Aufmerksamkeit.
Aber nicht nur dort, auch in der Musikkunst ist die Verbindung topographischer Zuschreibungen mit bestimmten musikalischen Gestaltungsformen als »Token of Meaning« in der Theorie gängig: Darmstädter Ferienkurse, Zweite Wiener Schule, Wiener Klassik – eine Erwähnung genügt und wir wissen ungefähr, von welcher Ästhetik und welchen AkteurInnen die Rede ist – konkrete Personen, Werke, Ereignisse und die sich darum rankenden Legenden sind »typisiert« und für den Diskurs flott gemacht.
Die Fragen, denen wir hier im Kontext einer Phantomjagd im Zusammenhang mit urbaner Musikkultur nachzugehen haben, sind nun: Entspringen diese bekannten Bilder eher historischen Fakten oder artifiziellen Narrativen? Gibt es heute noch spezifische »urbane« Musikkulturen? Hat das etwas mit Österreich zu tun? Und wo sind in Österreich kulturpolitische Aktivitäten, Aufgaben und Handlungsrahmen sowohl für die AkteurInnen der Musikszenen als auch für die Kulturverwaltung zu verorten, wenn Musikkulturen blühen sollen? Zunächst die Bausteine für die Beantwortung dieser Fragen:
 

Abschied vom Urbanen
 

Es gab einmal eine Zeit, da stand das Urbane im Gegensatz zum Rustikalen, und dieser Gegensatz produzierte auch eine Dichotomie von Konnotationen: Der Vorstellung einer »verfeinerten« Kultur und Geschmacksintelligenz in der Großstadt stand einer zwar authentischen aber letztlich doch derbgroben Ungebildetheit auf dem Land gegenüber – hier würde also komponierte Kunstmusik und gebildete virtuose Interpretation hervorgebracht, dort überlieferte Volksmusik mit »Autodidakten« und Familienüberlieferung. Klar ist, wo die Eliten zu Hause sind (und auch, wohin sie sommerfrischeln gehen...). Lärm, Geschwindigkeit, Gedränge als ästhetische Einflüsse des Urbanen in der Musik runden dieses Bild ab. Für ein Verständnis, was »urbane Musikkultur« heute sein kann, reicht das natürlich längst nicht mehr, auch wenn in der kulturpolitischen Auseinandersetzung immer wieder darauf zurückgegriffen wird.

Nun steht die »Stadt« längst auf neue Art und Weise mit dem »Land« in Konkurrenz, genauso wie mit allen anderen Städten. Kulturtourismus als wichtige Einnahmequelle für Städte, die als Wirtschaftsstandorte auf anderen Gebieten ansonsten wenig Bedeutung finden. Kultur als Ingrediens im »Marketing-Mix« der Standortbewerbung, als Indikator für Lebensqualität (um internationale Unternehmen oder Reisegäste anzuziehen etc.) und auch Kultur als »Identitätsstifterin«, vor allem für überregional unbekannte Regionen und »Second Cities«. Für jene, die nicht so klar profiliert sind, braucht es etwas Markantes, um sich auf die Landkarten der Zielgruppen zu setzen – darum geht es ja dann auch bei dem Branding-Programm europäischer Kulturhauptstädte.

Und mit dem zunehmenden Verlust der dem »Land« zugeschriebenen Qualitäten muss auch dort Kunst und Unterhaltung (Kultur) ähnliche Funktionen übernehmen – eine mittlerweile unzählbare Anzahl von Festivals und Förderprogrammen beweist dies eindrucksvoll, jede Menge Musik mittendrin. In den Städten wiederum zerfällt der urbane Raum in Quartiere, der kulturelle Raum hingegen fragmentiert in koexistierende Nischen, die einander kaum mehr berühren. Keine kritische Masse mehr da.


Die Bedeutung einer »Hauptstadt«
 

Während diese Nivellierungstendenzen die kulturelle Bedeutung des Urbanen schlechthin, die Übergänge von der Stadt in die Vorstädte in die zersiedelten »Speckgürtel« und Umland verflachen – der »rurale Sprawl« und seine Kulturpolitik ist überall –, gewinnt eine andere Dimension der Städte in der »Ökonomie der Aufmerksamkeit« an Bedeutung: Die der »global cities«, Metropolen und Hauptstädte als Netzwerkknoten, als Standorte der Medien, der Multiplikatorinnen und Meinungsmacher. Während die Formulierung und Produktion kreativer Sprachen immer mehr in die thematisch gegliederten Nachbarschaften der »global villages« des Internet ausgelagert werden kann, bleibt eine Schärfung der individuellen KünstlerInnenaussagen und auch ihre Verstärkung zu weithin hörbaren oder deutlich vernehmbaren Stilen eine Domäne der echten Hauptstadt. Ob eine Hauptstadt eine solche ist, entscheidet sich also danach, ob sie einen Rahmen schafft, der die künstlerische Kraft der Kreativen verdichtet und über diesen Rahmen hinaus zum funkeln bringt.
 

Wien als Hauptstadt der Musik – um 1900
 

Es scheint sich für viele Beteiligte in Wien von selbst zu verstehen, dass hier die Musikhauptstadt, ja die Weltmusikhauptstadt sei. Die Kulturverwaltung ist dieser Ansicht wahrscheinlich schon alleine in Anbetracht der investierten Mittel in die Erhaltung des kaiserlichen und bürgerlichen (Musik)Erbes aus dem 19. Jahrhundert. Auf der anderen Seite laufen fordernde AkteurInnen der Musikszenen in ihren Appellen, dass eben dieser Ruf gefährdet sei, wenn nicht dies oder jenes geschähe, demselben Phantom nach.
Ist dieses Selbstverständnis berechtigt? Wien als Kulturstadt verdankt seine im Vergleich zur EinwohnerInnenzahl überbordende kulturelle Infrastruktur seiner Rolle als repräsentative Hauptstadt des Habsburgerreiches, seine großen Musikkulturbauten dem 19. und frühen 20. Jahrhundert (Theater an der Wien 1801, Staatsoper 1869, Musikverein 1870, Volksoper 1892, Konzerthaus 1913). Wahr ist, dass beispielsweise die Neubesetzung der Position des Direktors der Wiener Staatsoper auch für die Weltpresse à la New York Times ein Thema und von Bedeutung ist, viele internationale StudentInnen an die Wiener Musikuniversität strömen und der »goldene Saal« des Musikvereins oder die Wiener Philharmoniker Weltgeltung haben.
Martina Nußbaumer hat in ihrer 2007 erschienenen Studie »Musikstadt Wien« zur Konstruktion des Images der Musikstadt Wien gezeigt, dass dieses Bild in Fremd- und Selbstverständnis das Ergebnis einer gezielten Identitätspolitik Wiens zwischen 1860 und dem ersten Weltkrieg gewesen ist – umgesetzt über Repräsentationsbauten, Inszenierungen, Komponistendenkmäler, Straßenbenennungen, Jubiläen und Feste, Ausstellungen und begleitende Publizistik, wurde Wien als Hauptstadt eines multiethnischen Reiches verankert, in den »deutschen« Kulturraum orientiert und in der Metropolenkonkurrenz mit Berlin als traditionsreiche Musik- und Theaterstadt positioniert. Eine Figur, die nicht aufgehört hat zu wirken.
 

Aktualisierung: Urbane Musikkultur
 

Die eingangs willkürlich aufgezählten Beispiele amerikanischer Musikstile haben etwas gemeinsam: Im Gegensatz zu dem historischen Wiener Beispiel einer Top-Down-Bewegung von Politik und elitären bürgerlichen Schichten sind die genannten Musiken eingebettet in emanzipatorische Bestrebungen gesellschaftlicher Minderheiten, politisierte Diskurse der Musikszenen, oder werden von erfolgreichen Einzelpersonen mit Geschick auf den Musikmarkt getragen. Sie alle entspringen einer erst später wirtschaftlich im großen Stil verwerteten und damit auch über ihren unmittelbaren Kontext hinaus zur Geltung gebrachten Bottom-Up-Bewegung in ihrem jeweiligen Umfeld: New-Orleans-Jazz aus dem Zusammentreffen von durch ein Gesetz plötzlich zu Bürgern zweiter Klasse degradierter Kreolen mit afro-amerikanischen MusikerInnen in der Tradition des Blues; Phillysound aus den Klanginnovationen einer Gruppe von ProduzentInnen rund um das Label Philadelphia International Records; New-York-Noise mit seinen später großen Bands wie Sonic Youth, verstärkt durch den Impuls des Noise-Festivals in New York 1981; »Grunge« aus den als Seattle-Sound vermarkteten Produktionen von Jack Endino auf dem Label Sub Pop mit seinen Vorläufern auf den Labels SST oder Homestead Recordings; Chicago-House aus dem Stil des DJs Frankie Knuckles im Chicagoer Club Warehouse; Detroit-Techno aus der Verbindung schwarzen Funks mit deutschen Elektronik-Einflüssen und Synthesizern durch Juan Atkins, Derrick May oder Kevin Saunderson. Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen – interessant auch, dass der heute als »Urban Music« vermarktete und aus »Block-Parties« von ZuwanderInnen hervorgegangene HipHop nicht so deutlich mit seiner Heimatstadt New York bzw. dem Bezirk Bronx in Verbindung gebracht wird wie andere Stile.
 

Zwischen Subversion und Mainstream
 

Viele der oben erwähnten popkulturellen Geschichten waren und sind neben der Erfolgsgeschichte einzelner, meist unabhängiger Plattenfirmen auch mit Identitätspolitiken der von den jeweiligen Stilen angesprochenen Szenen und gesellschaftlichen Gruppen verbunden und bezogen daraus ihre Energie. Es besteht eine verbindende Achse von Aufbegehren, Wunschartikulation und kreativem Ausdruck:

»Come all you guerilla musicians: Native Warriors and Tricksters; Kreoles and Majority-World revolutionaries; womynist sisterhoods and riot girrrlz; chaos magicians and spiritual monkeywrenchers; punks, hiphoppers and ravers; surrealists, noisicians and plunderphiles; socialists, anarchists, utopians and all the vibrant and complex radical hybrids therein. We are gathered here together in all our marvellous diversity, and... Music is our bomb!« heißt es noch im Klappentext des 1995 erschienen Bandes Sounding Off! Music as Subversion/ Resistance/Revolution (New York 1995)«, alle diese und noch viel mehr Geschichten einbeziehend.

Wie wichtig jedenfalls ein funktionierender »Underground« auch für die Hervorbringung von Mainstream-Erfolgen ist, zeigt sich an einer der wenigen »Erfolgsgeschichten« Österreichs im Pop: Johannes Hölzl alias »Falco« und die Band Drahdiwaberl, aus der er hervorging, wären ohne solche mikropolitischen Energien gar nicht denkbar.
Die Verbindung des Wunsches einer Aktualisierung gesellschaftlicher Paradigmen als Innovationsmotor mit einem Netzwerk von einigen starken kreativen Persönlichkeiten, entsprechendem Zugang zu Medien sowie marktfähigen Plattenfirmen bewirkte in all diesen Beispielen, dass in Städten ausreichender Größe – also mit ausreichend Publikum – die Wahrnehmung spezifischer Musikkulturen Bottom-Up entstanden ist und als »urbane Musikkulturen« diesen Städten dann auch zugeschrieben wurde.
Ob in Österreich in diesem Sinne eine einzige Stadt den Ansprüchen an die Artikulation einer »urbanen Musikkultur« genügen kann, muss sich erst zeigen. Im Folgenden jenes Beispiel, in dem sich eine solche beinahe manifestiert hätte.
 

»Wiener Elektronik«: Die gläserne Decke
 

Wien hatte Anfang bzw. Mitte der neunziger Jahre ebenfalls beinahe alle Ingredienzien für eine solche Entwicklung beisammen: Durch die Ostöffnung war die Stadt aus ihrem Schattendasein am Rande des eisernen Vorhangs erwacht und großstädtischer geworden – inklusive Clubs und Partys. Der Paradigmenwechsel in den Produktionsweisen der Musik konnte von kreativen MusikerInnen aufgenommen und weitergetrieben werden, in Abwesenheit relevanter Labels wurden neue KünstlerInnenlabels gegründet, manche auch international platziert. Mit den Festivals phonoTAKTIK und Hyperstrings wurde sehr früh für internationale Wahrnehmung und Vernetzung der Künstlerinnen gesorgt und über den Umweg internationaler Medien auch die heimische Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt.

Anders als in den angeführten Beispielen Nordamerikas konnte sich aber nie so etwas wie die Marke eines »Wiener Sounds« etablieren: Zu divers waren die musikalischen Stile, zu unterschiedlich der Zugang der AkteurInnen. Während die einen – mit Downbeat und Loungemusik – via ausländischer Plattenfirmen bzw. Vertriebe auch kommerziell internationale Erfolge feierten und teilweise auch ganz offensiv mit der Marke »Wien« operierten (z.B. Labels wie »Vienna Scientists« oder Veröffentlichungen wie The Eclectic Sound of Vienna) waren die künstlerisch anspruchsvolleren MusikerInnen der »Electronica« in ihrer Grenzüberschreitung zwischen Techno, Pop, experimenteller Musik, Kunst und Clubkontexten peinlichst darum bemüht, auf keinen Fall in eine Schublade mit der Aufschrift »Wien« gesteckt zu werden. Dementsprechend war auch die publizistische Wahrnehmung des eher am Paradigma der Rockmusik orientierten Musikjournalismus eher die der zweifelnden Frage, ob es nun in Wien etwas gibt, über das zu schreiben wäre, oder ob wir uns das bloß einbilden.
Zusätzlich hat ein viel zu kleiner Heimmarkt sowie die fehlende Potenz der neuen Kleinlabels und Vertriebe, internationale Märkte nachhaltig mit Produkten und Bandpräsenz/Touren zu erschließen und zu bespielen, schon nach einigen wenigen Jahren der Blüte zur Stagnation geführt. Die wichtigen Vertriebe MDOS/MEGO Records und später auch Soul Seduction mussten Konkurs anmelden, internationale Vertriebsdeals mit Majors wurden nicht fortgesetzt (Klein Records), die meisten anderen Künstlerlabels schrumpften in Personalkapazität und Umsatz oder verschwanden gänzlich. KünstlerInnenkarrieren, die auf heimische Labels setzten konnten nicht entsprechend ihrer künstlerischen Möglichkeiten weiterentwickelt werden, und gut beraten war, wer rasch bei internationalen Labels unterkam.

Das Festival phonoTAKTIK konnte mangels verlässlicher und ausreichender Unterstützung ebenfalls nicht ausgebaut und weiterentwickelt werden und fand unregelmäßig nur drei Mal (1995, 1999, 2001) unter schwierigsten Bedingungen statt. Trotz mehrfacher Manifestationen der Szene mit demonstrationsartigem Charakter in nahezu überhaupt nicht unterstützten »Picknick«-Veranstaltungen (1997 – »Picknick mit Hermann«, 2005 »Picknick am Wegesrand«), offizieller Berücksichtigung der Szene im Wiener Mozartjahr 2006 (Modernist Mozart) und der daraus folgenden Initiative einer Szenevernetzung konnte bis heute keine Plattform für eine Sichtbarmachung des kreativen Potentials der Stadt in einem international wettbewerbsfähigen Rahmen etabliert werden – ein Vergleich mit der Entwicklung des zeitgleich mit phonoTAKTIK etablierten spanischen Festival »Sonar« würde zeigen, was die Stadt hier versäumt hat.
 

Fazit: Eine Musikhauptstadtkulturpolitik ist nötig
 

Für eine historisch länger haltbare Verbindung von Wien und dieser Musikrichtung im Sinne einer tragfähigen internationalen Marke »Wiener Elektronik« hat die Kraft des beschriebenen Phänomens nicht gereicht, zur Schaffung eines Selbstverständnisses und eines auch von Außen wahrnehmbaren (Phantom)Images in den Nischen der Jugendkultur schon.
Während Kunstmusik heute eher zur Gänze auf das von der Kulturpolitik bereitgestellte System von Ausbildungen, Aufführungsstätten, Festivals, Diskursen und Medien angewiesen ist als auf ein großstädtisches Umfeld (darum die wichtigen Festivals in Donaueschingen, Witten, Huddersfield, etc), sind die nichtakademischen Musikformen vor allem von der Möglichkeit eines Umschlages, einer Begegnung mit der Öffentlichkeit und im Weiteren auch von wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten abhängig. Sie brauchen die Stadt als Umschlagplatz und es ist also komplizierter, dieses Feld zu bestellen. Will man es dennoch tun, setzt das wohl so etwas wie einen Willen zu Gestaltung voraus.

Während Städte wie Graz, Linz, St. Pölten, ja zuletzt mit der Schaffung einer neuen Biennale sogar Salzburg, so etwas wie einen Willen zur Entwicklung ihres kulturellen Profils zeigen, manche sogar Bemühungen unternehmen wie eben die Teilnahme an so artifiziellen Programmen wie dem der europäischen Kulturhauptstädte, scheint das Paradigma der Wiener Kulturpolitik eher eines der Verwaltung als der Gestaltung zu sein. Das gilt für die Stadtregierung und für die lokalen Szenen gleichermaßen. (Für die vor allem an Rock und Punk orientierte Wiener Musikszene gab es mit Arena, WUK und Gasser- und Ägidigasse (aus deren Umfeld sich später das Flex entwickelte) sogar einmal besetzte Häuser, die als Projektionsflächen politischer Utopien, Wunschorte, Veranstaltungsstätten und Kristallisationspunkte politischer Auseinandersetzungen gleichermaßen fungierten – bevor diese der (Selbst)Verwaltung zugeführt, bürokratisiert und damit dem weiteren politischen Diskurs der Szenen entzogen wurden.)

Aus dem Verwaltungsparadigma der Politik ergibt sich eine Priorität für die Pflege des ererbten Bildes der »Musikhauptstadt« aus den über ein Jahrhundert zurückliegenden bewussten Identitätspolitiken sowohl des aufstrebenden Bürgertums als auch des regierenden Kaiserhauses – mitsamt deren Trägern in Form von Orchestern, Konzert- und Opernhäusern, etc. und das funktioniert auch – Wien wird selbst in den entferntesten der globalen Tourismusmärkten mit Kultur und da voran mit Musik identifiziert: Das gilt in China genauso gut wie in Australien oder Nordamerika.
Aus diesem Verwaltungsparadigma folgt auch die oft kritisierte Priorität für »Klientelpolitik« oder – vornehmer ausgedrückt – für »Interessenausgleich«. Dabei trifft die Politik aber nicht auf die eigentlich Kreativen, sondern im wesentlichen auf die »BesitzstandwahrerInnen«, TrittbrettfahrerInnen und AbschöpferInnen der tatsächlichen kreativen Potentiale und wird also nie das Interesse der tatsächlichen VorreiterInnen berücksichtigen können (um die es ihr ja auch dem Vernehmen nach trotzdem auch geht), solange sich diese nicht außerhalb das Ausdrucks ihrer Kreativität selbst zusätzlich auf einer für die Verwaltung verständlichen politischen Metaebene artikulieren – woran hier natürlich noch nie jemand Interesse hatte, wie auch die Politik selten überhaupt über die Codes verfügen würde, um diese Kreativität selbst wahrnehmen oder ihren Ausdruck verstehen zu können. Anekdoten dazu ließen sich von allen Beteiligten wohl endlos erzählen.

Auch die Idee einer »kulturellen Versorgung« kann diesem Verwaltungsideal zugeschrieben werden: Verwaltet werden tradierte »Bedürfnisse« bzw. »bewährte« Angebote zu deren Befriedigung. Innovative Projekte können sich so im politischen Wettbewerb mit den immer vorhandenen Vorschlägen zum weiteren Ausbau des längst Etablierten auch regelmäßig nicht durchsetzen. Das Ergebnis sind für den Standort überdimensionierte und ergo nicht ausreichend nachgefragte traditionelle Themen wie »Musical« (zwei Häuser plus Gastspiele an anderen Orten), die Förderung des – anders als das Porgy und Bess – mittlerweile auch gescheiterten Mainstream-Jazzclubs Birdland oder das ebenfalls nur in geringem Ausmaß bespielte dritte Opernhaus »Theater an der Wien«.
Nimmt man ein Verwaltungsparadigma in der Kulturpolitik an, wird auch verständlich, warum die wesentlichen Forderungen nach einer Aktualisierung des alten Musikstadt-Images vor allem aus anderen Verwaltungsstellen kommen: Aus der Stadtentwicklung (die tatsächlich »Gestaltung« zu verwalten hat – siehe Kompetenzfeldanalyse zum STEP 1999 (Stadtentwicklungsplan), Projekte wie die Entwicklung der Gürtelzone, etc.), aus dem Tourismus (siehe z.B. Tourismuskonzept Wien 2010 vom Oktober 2003), aus der Förderung der Kreativwirtschaft.

Was wäre also nun kulturpolitisch auf kommunaler Ebene zu tun, um eine Stadt zu so etwas wie einem »urbanen« Umschlagplatz von Musikkultur werden zu lassen?
Erstens (kostet nichts): Ein Gestaltungswille wäre zu artikulieren – seitens der Verwaltung vielleicht in Form eines »Kulturentwicklungsplanes«, und in den Prozess einer solchen Formulierung wären die aktiven kreativen Szenen unmittelbar einzubinden. Seitens der Szenen wiederum wäre die politische Artikulation von Visionen jenseits eines bloßen Verteilungskampfes oder von Klientelinteressen gefragt.
Zweitens (kostet nichts): Die »Schnittstellenproblematik« der verschiedenen Zuständigkeiten (Kulturstätten – Ressort Jugend und Familie, Förderung Künstlerinnen Ressort Kultur, Förderung Kreativwirtschaft, Tourismus Ressort Finanzen, usw. usf.) sollte nicht dazu führen, dass sich Kreative aufreiben müssen, sondern muss auf der Ebene der Verwaltung geklärt werden. Drittens (kostet nicht mehr als bisher): Die Rahmenbedingungen für die Entstehung kreativer Milieus (Plattengeschäfte, Veranstalter, Medien, etc.) können verbessert werden (Die Themen reichen von Auflagen für die Veranstaltungsgenehmigungen über Vergnügungssteuer bis hin zur Situation von Plakatankündigungen,...).
Viertens (kostet nicht mehr als bisher): Standortnachteile wie mangelhaftes Medienumfeld, schwach ausgeprägte Musikwirtschaft wären durch angemessene Programme im Strukturwandel zu einer digitalen und konzertorientierten Musikökonomie (Ausbildungen, Inkubatoren, Infrastrukturen) auszugleichen.
Wer heute eine Hauptstadt und ein Umfeld für »urbane Musikkultur« sein will, wird sich wohl anstrengen müssen.

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