Warum es in der Kulturpolitik keine Urheberrechtsdiskussion gibt
Das Gedankenjahr 2005 als Übung kollektiver Identitätsbildung österreichischer Ausprägung ging gründlich daneben. Zu verkrampft locker versuchte die Regierung, sich selbst in eine vorteilhafte geschichtliche Perspektive zu setzen und mit dem wärmenden Mantel der idealisierten Gründer der Zweiten Republik die wachsende soziale Kälte zu überdecken. Nicht nur wurden die zentral geplanten Veranstaltungen von der Öffentlichkeit als leicht bis arg lächerlich empfunden, massenhaft ignoriert oder vereinzelt gar direkt kritisiert (Wassermair &Wegan 2006), sondern die Regierung verlor auch prompt beiden nachfolgenden Wahlen die Mehrheit.
Viel erfolgreicher verlief die Ideologiebildung im folgenden Jahr, das ganz unter dem Zeichen des 250. Geburtstags von W.A. Mozart stand. Hier nun konnten die ganzen operativen Klischees hiesiger (parteiübergreifender) Kulturpolitik aufpoliert werden. Der Kult des Genies, die GroßmachtstellungÖsterreichs, das freudige Miteinander von Hochkultur undKreativwirtschaft und Positionierung des Landes als Destination des globalen Kulturtourismus im oberen Preissegment. Hier griffen auch die diversen ideologischen Staatsapparate(Althusser 1977), die noch im Jahr zuvor einiges an Dissonanz erzeugt hatten, perfekt ineinander: die diversen politischen Parteien, Massenmedien, Kulturinstitutionen und Schulen waren auf einer Linie: Österreich, Land des Genies. Kaum irgendwo wurde das Scheitern Mozarts, sich als moderner, freier Künstler einer konservativen, höfischen Gesellschaft zu etablieren, erwähnt oder gar als konstitutives Element seines Schaffens berücksichtigt. Nein, Mozart wurde aufbereitet als zeitloses »Weltkulturerbe«, das frei und ungebunden von Erfolg zu Erfolg strebte, nichts anderem folgend als seiner inneren Eingebung.
Für die aktuelle Kulturpolitik war das Mozartjahr durchaus bezeichnend. Der Figur des Genies, auf die Mozart so erfolgreich reduziert wurde, liegt eine bestimmte Vorstellung von Kreativität zu Grunde, die wiederum dem Urheberrecht zu Grunde liegt. Dieses ist zwar heute, im Zeitalter der digitalen remixes, mash-ups und p2p file sharing, höchst problematisch geworden (Lessig 2004), in der hiesigen Kulturpolitik ist aber kaum was davon zu spüren. Aber der Reihe nach.
Mit der Figur des Genies versuchten Künstler der Romantik, sich aus den Fesseln der feudalen Ordnung zu befreien, welche die Künstler, etwa Mozart, nur als talentierte Angestellte, auf einer Stufe mit Köchen und Gärtnern, akzeptieren konnte. Das Genie hingegen sollte frei sein von den Zwängen der Gesellschaft und sich außerhalb der strengen Disziplin befinden, die nicht nur die feudale, sondern auch die aufkommende bürgerliche Gesellschaft kennzeichnete. Zur letzteren hatte das Genie ein ambivalentes Verhältnis, was besonders in Bezug auf dessen Arbeitsethos deutlich wird. Wie Eberhard Ortland (2003) feststellt: »Ein Genie ist jemand, der nicht nötig hat zu arbeiten, der zur Arbeit gar nicht zu brauchen ist – und dennoch etwas hinkriegt, was ihm keiner nachmachen kann. ... Das Privileg der Befreiung vom Zwang zur Arbeit ist an die Bedingung der unvergleichlichen Leistung geknüpft. « Noch deutlicher wird die Nähe zum aufstrebenden Bürgertum im Eigentumsanspruch, der sich aus dieser Produktivität begründet. Die Werke sollen nun nicht mehr der Verherrlichung des weltlichen Auftraggebers oder der Lobpreisung Gottes dienen, sondern als immaterieller Besitz die ökonomische Basis des Urhebers bilden. Die darin enthaltene Idee einer kontextfreien, absoluten und individualistischen Kreativität bildete die Grundlage des sich gleichzeitig ausdifferenzierenden Urheberrechtsregimes, das in seinem wesentlichen Kern bis heute unverändert besteht.
Wie problematisch diese Vorstellung ist, lässt sich bereits an Mozart zeigen. In einem einzigen Werk, etwa der Zauberflöte, lassen sich dutzende mehr oder weniger direkte Übernahmen aus anderen Werken belegen (King 1950). Man muss davon ausgehen, dass diese dem zeitgenössischen Publikum wesentlich bewusster waren, als dem heutigen. Solche Übernahmen sind kein Zeichen fehlender Kreativität (die sich deshalb Werke anderer bedienen muss), sondern genau das Zeichen eines großen Talentes, das es versteht, die eigene Arbeit präzise in einem Kontext zu verorten und damit Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rezeption zu schaffen (Mozart, so argumentiert Elias (1993) war sich seiner prekären sozialen Situation sehr bewusst, versuchte deshalb stark auf die Hörgewohnheiten seines Publikums Rücksicht zu nehmen). Die Ideologie des Genies und die Praxis des Urheberrechts können dies aber nicht anerkennen. Nichts desto trotz erwies sich diese Figur als äußerst langlebig und prägte die analoge Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts. Der Autor vor dem leeren Blatt, der Maler vor der weißen Leinwand oder der Bildhauer vor dem rohen Stein waren die dominanten Klischees der Kunstproduktion. Daran hat auch die Avantgarde Kunst und Kunsttheorie des 20. Jahrhunderts, angefangen bei den Dadaisten, zu den Pop- Künstlern wie Warhol oder den Dekonstruktivisten à la Roland Barthes, der den Autor für Tod erklärte, wenig ändern können. Dies umso weniger, weil diese Klischees sich mit den Interessen der aufstrebenden Kulturindustrie deckten, die den absoluten Eigentumsanspruch des Künstlers propagierten, als Grundlage um sich dessen Eigentumsrechte selbst anzueignen. Wirklich in die Krise kam dieses Modell erst mit der Digitalisierung und den neuen Kommunikationsmöglichkeiten des Internet. Drei Dinge sind passiert. Erstens, mit der Digitalisierung wurde der Unterschied zwischen Input und Output künstlerischer Produktion stark aufgeweicht. Ob ein mp3 file in einen Player (output) oder in einen Editor (input) geladen wird, ist eine Entscheidung, die jeder einzelne selbst fällen kann. Damit ist es in ganz anderer Weise möglich, auf bestehendes Material zurückzugreifen und potentiell alles weiter zu bearbeiten. Musste Mozart noch zitieren, wird heute gesampelt. War das Collagieren in der analogen Kultur eine marginale Kulturtechnik ist copy & paste heute allgegenwärtig. Zweitens, der Kreis der Kulturproduzenten hat sich enorm erweitert. Nicht nur durch die Kulturalisierung der Ökonomie, sondern auch dadurch, dass die Produktionsmittel so billig geworden sind, dass sie breitesten Kreisen zugänglich sind. Zwischen »kreativem Imperativ« (von Osten 2002), der systemischen Anforderung an Individuen, expressiv und kreativ zu sein, und der Selbstermächtigung in nicht-kommerziellen Kulturszenen hat sich die Idee und Praxis des kreativen Schaffens so weit verbreitet, dass – bei aller Unklarheit, was der Begriff der Kreativität bedeutet – eines klar ist: mit Ausnahmefähigkeiten hat er nicht zu tun (Raunig & Wuggenig (2007). Drittens, durch den steten Ausbau des Internet stehen heute einzelne ähnlich effiziente Vertriebssysteme zur Verfügung wie den großen Industrien, die damit ihre zentrale Position zwischen Künstler und Publikum verlieren.
In dieser historischen Umbruchsituation stehen so ziemlich alle Aspekte der Kulturproduktion unter erhöhtem Stress. Das Urheberrecht, welches die Grundlage für das freie Künstlertum liefern sollte, wird zunehmend von der Verwertungsindustrie umdefiniert, zu Ungunsten der Nutzer (und damit auch der Künstler). Die Musikindustrie, die traditionell die Künstler sehr schlecht entlohnt, geht so weit, dass sie die sich selbst ermächtigenden Fans verklagt und mit allen Mitteln versucht, die Weiterbearbeitung der Werke zu verhindern. Weder Fans noch Musiker (falls sich diese Gruppen überhaupt unterscheiden lassen) dürfen ohne Einwilligung der Rechteinhaber die zentralen digitalen Kulturtechniken einsetzen. Passives Konsumieren ist erlaubt, aktives Editieren verboten. Während der Versuch, diese Rechte technologisch zu verankern (Digital Rights Management, DRM (Grassmuck 2006)) wohl als gescheitert betrachtet werden darf, wird das Urheberrecht – und die in ihm enthaltene, historisch überholte Vorstellung von Kreativität – weiter radikalisiert.
Und die Kulturpolitik? Sie fühlt sich hier entweder nicht zuständig (Urheberrecht ist Sache der Justiz), oder feiert, wie im Mozartjahr, fröhlich die alten Klischees ab, die durch die Art und Weise, wie sie die toten Künstler in den Himmel heben, die Lebenden am Boden halten. Dabei gäbe es ganz andere Geschichten zu erzählen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts etwa waren die katholischen Buchdrucker dafür bekannt, dass sie die bürgerliche Literatur des protestantischen Nordens nachdruckten. Nicht zuletzt deshalb, weil der Markt für ihre eigene Erbauungsliteratur sich in einer Krise befand, aus der er sich nie mehr erholen sollte. In logischer Konsequenz weigerte sich das Habsburger-Reich gegen Ende des Jahrhunderts den internationalen Urheberrechtsabkommen beizutreten. Als Kulturimporteur hatte es kein Interesse, ausländische Urheberrechte anzuerkennen und damit bezahlen zu müssen (Siegrist, 2006). Österreich war, um es modern zu formulieren, ein Kaiserreich der Piraterie.
Das Interessante am Mozartjahr war auch, dass sich über diese Schiene das überholte Kulturprogramm nahezu ohne Widerspruch durchsetzen ließ. Denn, wer ist schon gegen Mozart? Meines Wissens gab es nur eine einzige Initiative, die es verstand, diese geballte Ladung an Ideologie durch einen sehr cleveren, Aikido-artigen Ansatz in eine ganz andere Richtung zu lenken. Unter dem Hinweis auf Mozart als den ersten freischaffenden Musiker lancierte das mica (Music Information Center Austria) die Initiative »Fair Music«, die sich für »mehr Fairness und Gerechtigkeit in der Musikwirtschaft « (www.fairmusic.net) einsetzt, insbesondere dafür, dass Hörer freien Zugang zu Musik bekommen und Leistungen der Musiker anerkannt und entschädigt werden sollen. In beiden Bereichen wird die Musikindustrie als mangelhaft diagnostiziert (Kretschmer 2005) und mit der Fair-Music-Initative soll, ähnlich wie mit den seit langem bestehenden Fairtrade- Kampagnen, der Raum für Alternativen geöffnet werden, die vor den neuen Realitäten nicht die Augen verschließen, sondern diese anerkennen und weiter zu entwickeln suchen.
Dies – es muss leider festgestellt werden – ist eine der wenigen lokalen Initiativen, die versucht, die Anliegen der Künstler im Kontext globalisierter, digitalisierter Kulturproduktion und -rezeption offensiv neu zu formulieren. Ansonsten scheint die rückwärtsgewandte Kulturpolitik in diesem einen Punkt das konservative Selbstverständnis hiesiger Künstler, mit wenigen bekannten Ausnahmen, durchaus zu treffen.