Manchmal ist es nötig, in die Vergangenheit zu graben, um die Gegenwart zu beleuchten. In vorliegendem Fall wird der Vergleich des derzeitigen Hypes rund um Amsterdam als Creative City mit einem utopischen Vorläufer hoffentlich jene Widersprüche erhellen, die der Fusion von Kreativität und Industrie innewohnen. Um einen Hype auszulösen, hat die Creative City-Strategie erstaunliche Lebenskraft und auch Lebensdauer bewiesen. Sie schafft es – manchen bekannten Rockbands nicht unähnlich – selbst im hohen Alter, Anziehungskraft auf Groupies und Unterstützer in lokalen Stadtverwaltungen der westlichen Welt auszuüben.1 Ich versuche jedoch nicht aufzuzeigen, dass Richard Floridas »Creative Class Rock« in irgendeiner Hinsicht wahrhaftiger klang, als er noch frisch und jung war; nur, dass schon immer eine andere Melodie dazu gespielt wurde, als die Songtexte vermuten lassen. Mein Argument ist, dass Amsterdams Creative City-Strategie überhaupt nicht versucht, die gesamte Bevölkerung der Stadt kreativer zu machen, sondern vielmehr eine Übung in Markenbildung ist, als Ausdruck einer allgemeinen Verschiebung der städtischen Regierung hin zu unternehmerischen Verfahrensweisen; einer Verschiebung, die sich gegenwärtig in einer bemerkenswerten städtischen Sanierung von Amsterdam niederschlägt.
Der Vergleich zwischen dem Soziologen Richard Florida – Autor zweier Bücher über Aufstieg und Flucht der Kreativen Klasse – und einem Rockstar ist nicht ungewöhnlich. Wenn Sie die Suchbegriffe »Rockstar« und »Richard Florida« googeln, finden Sie dutzende Beschreibungen von Vorstellungen des »Rockstar- Akademikers«, der für die Einführung der Popsoziologie in die regionale Volkswirtschaft verantwortlich ist. Unter den Benimmregeln der städtischen Strategie, die er vorgibt, findet sich sogar der Eintrag »Mangel an Rockbands« unter den Gründen, warum eine Stadt im Rennen der ökonomischen Entwicklung verlieren könnte.2 Aber dieser Artikel handelt nicht von der interessanten Fusion von Popkultur und Sozialwissenschaft, sondern eher von den utopischen Ansprüchen, die für die Kreativwirtschaft geltend gemacht werden. Florida hat der Kreativität das Urteil ausgesprochen, ein »großer Gleichmacher« zu sein, und plädierte für einen »New Deal« der Kreativwirtschaft. In gleicher Weise hat Cohen, der Bürgermeister von Amsterdam, erklärt, Amsterdam sei eine Creative City, die »die Kreativität aller Einwohner fördern wolle«.
Retrospektiv können diese Ansprüche als etwas verzerrte Echos eines früheren utopischen Projekts gesehen werden, das auf den revolutionären Aufstieg der Kreativität anspielte. Machen wir einen kurzen Sprung zurück in die Geschichte, zurück in die Zukunft, so wie sie durch die holländische Avantgarde, insbesondere aber durch den holländischen Künstler Constant Nieuwenhuys imaginiert wurde. Constant war einer der Gründer der holländischen experimentellen Kunstgruppe Reflex, die später Teil der internationalen KOBRA-Strömung wurde. Unzufrieden mit den Beschränkungen der Kunstwelt und der »individualistischen Natur des Malens«, hörte er 1953 mit der Malerei auf, um sich auf den eher »kollektiven« Gebrauch von Metall und Architekturtechniken zu konzentrieren. 1957 wurde er ein Mitbegründer der Situationistischen Internationale (SI) und schrieb mit Guy Debord das jetzt überaus bekannte Traktat über den »Unitären Urbanismus«. Bis zu seinem Rückzug im Jahr 1961 spielte er eine wesentliche Rolle in der Formulierung einer situationistischen Perspektive auf die Stadt, basierend auf einer Kritik des vorhandenen modernistischen Urbanismus.
1956 gab Constant den Auftakt zu einem Vorhaben, das sich in den folgenden 20 Jahren zu einem visionären Architekturprojekt ausdehnen sollte. Eine utopische Stadt, unter dem Namen New Babylon; sie bestand aus einer fast endlosen Reihe aus Skalamodellen, Skizzen, Radierungen, Collagen, erweitert durch Manifeste, Vorträge, Aufsätze und Filme. Das Projekt war eine Provokation, eine ausdrückliche Metapher für die Creative City.
Die moderne Stadt ist tot; sie wurde dem Kult der Nützlichkeit geopfert. New Babylon ist das Projekt für eine Stadt, in der Leute wirklich leben können. Denn zu leben heißt, kreativ zu sein. New Babylon ist das Produkt der Kreativität der Massen, basierend auf der Aktivierung des enormen kreativen Potenzials, das im Augenblick schlafend und ungenützt in den Menschen schlummert. New Babylon geht davon aus, dass als Resultat der Automatisierung die nicht-kreative Arbeit verschwinden wird, währenddessen eine Metamorphose in Moral und Denken sowie eine neue Form der Gesellschaft hervortreten werden.3
Constant hatte die Vision einer Gesellschaft, in der durch die Automatisierung die Befreiung des Menschen von den Mühen der industriellen Arbeit verwirklicht worden war, und die Ersetzung durch ein nomadisches Leben des kreativen Spiels außerhalb der ökonomischen Domäne und in Missachtung aller Überlegungen bezüglich Funktionalität: »Im Gegensatz dazu, was die Funktionalisten denken, ist Kultur dort angesiedelt, wo die Nützlichkeit endet«,4 war eine der provozierenden Aussagen Constants. Homo Faber, der arbeitende Mensch der industriellen Gesellschaft, sollte von Homo Ludens, dem spielerischen Menschen, oder – wie Constant es formuliert – dem kreativen Menschen abgelöst werden. Dies war der Einwohner von New Babylon, der dank moderner Architekturtechniken in der Lage sein würde, jeden Aspekt der städtischen Umwelt spontan zu steuern und zu rekonfigurieren. Constant nahm den surrealistischen Slogan »Poesie sollte von allen gemacht werden« und übersetzte ihn in die städtische Umwelt: »Morgen wird das Leben in Gedichten liegen«5 Die Arbeit von Constant Nieuwenhuys kombinierte also einen Widerwillen gegenüber modernistischem Funktionalismus mit einer intensiven Anerkennung der befreierischen Potenziale der neuen Technologie.
Die Mechanisierung würde im Auftreten einer »Massenkultur der Kreativität« resultieren, die dazu bestimmt wäre, sich gegen den Überbau der bürgerlichen Gesellschaft aufzulehnen. Sie würde diese vollständig zerstören und die privilegierte Stellung des Künstlers mit sich nach unten ziehen. Eine Gesellschaft würde gebildet, wo – in Übereinstimmung mit Marx‘ Vision von Kunst in einer kommunistischen Gesellschaft – »es keine Maler gibt, sondern nur Menschen, die zwar malen, aber auch anderen Aktivitäten nachgehen«.6 Constants Arbeit hatte auch einen direkten Einfluss auf den Aufstieg der Jugendbewegung Provo. Die holländischen Yippies erwiesen sich als fast perfekte Inkarnation des Homo Ludens; durch unnachgiebige Provokation, Happenings und spielerische Aktionen zwang Provo das autoritäre Regierungssystem der holländischen 1950er Jahre in die Knie.
Die Entwicklungen nahmen jedoch eine unerwartete Wendung. Automation und als Folge Deindustrialisierung, das Outsourcing der Produktion in so genannte »Schwellenländer«, führten nicht zur Befreiung des Homo Ludens (oder vielleicht sollten wir dem Homo Ludens einen kurzen Teilsieg zusprechen – ein kurzes Intermezzo, das sich irgendwann in den Unruhen und in der Jugendkultur der 1960er befand –, bevor er zurück zur Arbeit geschickt wurde). Es ist nur bekannt, dass seit den Sechzigern die Gesamtzahl der Arbeitsstunden rapide angestiegen ist. Gemeinsam mit der Verfestigung von Konsum als Freizeitbeschäftigung hat das zu einem noch nie dagewesenen Anstieg menschlicher Aktivität geführt, die direkt und indirekt in die Sphäre ökonomischer Transaktionen eingebettet wurde. Eine Entwicklung, die Marx »reale Subsumption« genannt hätte, die Ausweitung des Kapitalismus in das Feld des Ontologischen.
Während Constant sich die Befreiung der kreativen von der ökonomischen Domäne vorstellte, werden wir momentan – zeitgleich mit dem Creative City-Diskurs – Zeugen der Ausweitung des Ökonomischen in die kreative Domäne. Beispiele dafür sind die Umwandlung des Künstlers in einen Kulturunternehmer, das Marketing (sub-)kultureller Ausdrücke, die Unterwerfung der Kultur unter Touristenströme und der Triumph des Funktionalismus über das Bildungsideal an der Universität. Eine interessante räumliche Abbildung ist, dass das, was davor eine Randzone der Ökonomie der Künste war, auch eine Randposition am Häusermarkt in Amsterdam innehatte, am besten bemerkbar in den besetzten Lagern der Hafenviertel. Zumal nunmehr die Kunstwirtschaft in eine anscheinend zentrale Position der städtischen Wirtschaft gehoben wurde, wurde sie mit Mechanismen wie dem »Broedplaatsenbeleid«7 oder mit zeitlich begrenzten Mietverträgen in die Stadt aufgenommen. Die Mehrheit nicht-funktionaler Räume in der Stadt, verfallene oder besetzte Gebiete, wurden mittlerweile saniert oder sind als Bauprojekte gerade am Laufen. Die Position des »Außen« gibt es nicht mehr.
Um die Ankunft der Creative City-Strategie richtig zu verstehen und auch, was sie von ihrem utopischen Vorläufer unterscheidet, müssen wir sie in einem größeren Kontext betrachten. Die kreative Stadt ist ein wesentlicher Bestandteil eines umfassenden Wandels der Stadt, innerhalb dessen das Keynsiansche Management früherer Zeiten durch einen unternehmerischen Ansatz ersetzt wird. Der Bedeutungsaufschwung international mobiler Produktivsektoren für das ökonomische Wohl der Städte hat zu verstärkter zwischenstädtischer Konkurrenz geführt. Amsterdam steht dabei mit urbanen Zentren wie Barcelona, London, Paris und Frankfurt in einem Wettstreit um wirtschaftlichen Erfolg durch Investitionen, talentierte Arbeitnehmer und Busladungen von städtebesuchenden Touristen. Die allgegenwärtige Drohung interurbaner Konkurrenz wird auch rhetorisch andauernd zum Thema gemacht und überspitzt dargestellt und ersetzt dadurch früher vorherrschende Auffassungen des Allgemeinwohls. Um meinen Standpunkt zu veranschaulichen: sogar die Diskussion, ob das Aufstellen von Gasheizkörpern auf den Terrassen der Cafés von Amsterdam weiterhin verboten sein solle, wurde unter diesem Aspekt geführt: »Es ist ein ernsthafter Nachteil im Vergleich mit Städten wie Berlin und Paris«, meinte ein hoher Funktionär der lokalen sozialdemokratischen Partei. Die Meinung der Stadtbevölkerung hingegen wurde in dem Zeitungsartikel nicht einmal erwähnt.8
Die Dominanz unternehmerischer Ansätze in der Stadtpolitik ist eine Eigenschaft des neuen urbanen Regimes, das von Fachleuten als »Entrepreneurial City«9 bezeichnet wird. Ursprünglich in der US-amerikanischen Realität des neoliberalen Rückzugs des Staates aus den urbanen Problemzonen entstanden, hat es eine Weile gebraucht, um in den von Unternehmen bestimmten Niederlanden anzukommen und hier durch die Köpfe der Entscheidungsträger gefiltert zu werden. In diesem neuen urbanen Regime zeigt der öffentliche Sektor ganz unabhängig von den Farben der Regierungspartei ein Verhalten, das früher als charakteristisch für den privaten Sektor galt: die Übernahme von Risiken, Innovation, Marketing und profitorientiertes Denken. Öffentliches Geld wird durch öffentlich-private Partnerschaften in privatwirtschaftliche Entwicklung investiert, um urbanen Wettbewerb zu umgehen. Daher stammt auch der Aufstieg urbaner Megabauvorhaben und Marketingprojekte wie der Docklands in London, dem Guggenheim in Bilbao oder der Zuidas in Amsterdam. Kritiker sind besorgt, dass die Kosten von der Allgemeinheit übernommen werden, aber die Profite der urbanen Elite zugutekommen sollen – unter der Annahme, dass sie auch zur restlichen Bevölkerung »durchsickern«.
Um den Tatsachen dieser neuen Marktrealität ins Auge zu blicken, in der Städte als Produkte und Stadträte als Unternehmenseinheiten gesehen werden, hat Amsterdam inc. zwei Projekte zur Markenbildung ins Leben gerufen: I Amsterdam und Amsterdam Creative City. Kaum war der neue progressive Stadtrat im Frühling 2006 eingesetzt, unternahm er mit dem »Top City Programme« einen seiner ersten Schritte, um die »schwächelnde« Position der Stadt unter den Top Ten der von Unternehmen bevorzugten Städte zu konsolidieren: Aus dem Blickwinkel eines Außenseiters betrachtet, ist Amsterdam klar bereit, sich neu zu positionieren. Deshalb haben wir das Amsterdam Top City Programm gestartet. Um der globalen Konkurrenz voraus zu sein, muss sich Amsterdam erneuern. In anderen Worten: Amsterdam braucht jetzt große Gedanken, um in eine große Zukunft zu steuern, die seiner großen Vergangenheit gerecht wird.10
Natürlich wird »Kreativität der Hauptschwerpunkt« dieses Programms sein, da »Kreativität der Motor ist, der der Stadt ihren Magnetismus und ihre Dynamik gibt.« Wenn man jedoch hinter die Rhetorik blickt, auf die praktischen Aspekte des Programms, ist es überraschend bescheiden: gesponserte Willkommenszentren für im Ausland lebende Niederländer auf dem Flughafen Schiphol, Beratung für kreative Unternehmer durch holländische Großbanken und MTV, »Gastfreundschafts-Training« für Caterer, »Amsterdam Top City« Publikationen auf KLM Flügen, und die jährliche Picnic Cross Media Woche, eine Konferenz, deren ehrgeiziges Ziel es ist, das holländische Davos der Kreativunternehmer zu sein. In einer der wahrscheinlich bisher besten Analysen der Creative City-Theorie fragte sich der Geograph Jamie Peck,11 warum gerade Floridas These über die kreativen Städte so einen beeindruckenden Einfluss auf Entscheidungsträger rund um die Welt hatte. Er kam zu dem nüchternen Schluss, dass der Grund nicht darin lag, weil Floridas These so bahnbrechend gewesen wäre – verschiedene Autoren hatten bereits zuvor über die Wissensökonomie publiziert –, sondern vor allem darin, weil es ein billiges, nicht kontroversielles und machbares Marketingskript enthielt, das gut zu den vorhandenen unternehmerischen Plänen für ökonomische Stadtentwicklung passte. Etwas, das sich die Stadtväter auch zusätzlich noch leisten konnten, ein billiges PR-Schema, das durch eine Umstrukturierung der vorhandenen Kulturbudgets ergänzt wurde. Paradoxerweise ist die Konsequenz der Umwandlung Amsterdams in eine Ökonomie des kulturellen Wissens, dass wir mit Kreativität immer rationeller umgehen. In der Kulturwelt sind Budgetkürzungen und Umorientierungen an der Tagesordnung. Mehrere Theater und Musikinstitute in Amsterdam sind vom Verschwinden bedroht. In Universitäten und polytechnischen Schulen wurden neue bürokratische Strukturen aufgesetzt, die Lehrende und Studierende dazu zwingen, sich Rationalisierungen, Quoten und Effizienzbelangen zu unterwerfen. (Holländische Studierende haben unbewusst schon verstanden, dass Studieren nichts anderes als unbezahlte Arbeit ist, weswegen sie so wenig wie möglich arbeiten.)
In Amsterdam mag die kreative Markenbildung in ihrem Budget bescheiden und in ihren Zielen irreführend sein, doch ist sie in ihren Effekten sicher beträchtlich – dies ist der immaterielle Zuckerguss auf dem Kuchen der beeindruckenden Neuentwicklung der Stadt. Denn Amsterdam strotzt vor Bauvorhaben und sieht sich gerade vor einem Projekt, das ich gerne »urbane Rundumerneuerung« nennen will. Die alten Häfen der Stadt werden zu luxuriösen Wohn- und Arbeitsvierteln umgestaltet; in seinem südlich gelegenen Bauch werden gerade die Zuidas realisiert, die neue Skyline des Geschäftsbezirks aus Hochhäusern, der als Portal zur globalen Wirtschaft fungieren soll. In den Volkswohnvierteln der Nachkriegszeit werden mehr Häuser niedergerissen als je zuvor in der Geschichte der Stadt, und ein beträchtlicher Anteil des sozialen Wohnungsbaus wird teureren Eigentumswohnungen Platz machen müssen. Die Bahn der neuen Metrolinie – eine gerade Linie aus Sand, Zement und kontinuierlicher Baustellen – durchschneidet die Stadt vom Norden in den Süden und verbindet daher die neue Stadt mit der alten. Hier ist nicht nur eine von Europas größten Stadterneuerungsarbeiten im Gange, die mit dem Abriss von Gebäuden ein historisches Hoch erreicht hat, sondern das Image der Stadt selbst wird umgebaut. Sowohl beim Imagewandel als auch bei der Sanierung von Amsterdam spielt der kreative Sektor eine wichtige Rolle. Die Kreativindustrie soll als Katalysator für städtische Neuentwicklung fungieren, indem sie das Image eines Viertels verändert: von rückständig bis hip. Es wurden Pläne umgesetzt, die für kurze Zeit oder dauerhaft Künstler in Vierteln unterbringen sollten, die für ein Upgrade vorgesehen waren. Obwohl das Budget der I Amsterdam und Creative City-Marketingkampagnen bescheiden blieb, waren sie dennoch konzeptuell weit fortgeschritten (und im Bewusstsein der Öffentlichkeit ausgesprochen präsent), da Stadtmarketing der Gipfel der durch die Konsumenten selbst hergestellten Inhalte ist, dem vorherrschenden Trend der Marketingtechniken. Kreative Hipster dienen als kommunikative Gefäße für Markenbildungsprojekte; zwischen Concept Stores, Galerien und Mode- und Street Art-Magazinen breitet sich die kulturelle Wirtschaft über die urbane Domäne bis in den öffentlichen Bereich aus.
Doch was heißt es, dass Amsterdam Creative City vor allem ein Markenbildungsprojekt ist, eine dünne Lackschicht, unter der wir banale ökonomische Anstrengungen finden? Es gibt den holländischen Ausdruck »de wens is de moeder van de gedachte«, der wörtlich übersetzt »Der Wunsch ist Mutter des Gedankens« heißt, eine pseudo-freudianische Volksweisheit, die gut zu der Realität der Creative City passt. Wenn man den Marketingexperten des Rathauses folgt, ist Amsterdam in einem international konkurrierenden Feld von Creative Cities in eine Art »kreative Kriegsführung« verwickelt.12 Wie Sun Tzu in Die Kunst des Kriegs sagte: »Alle Kriegsführung basiert auf Irreführung.« Hier ist also Amsterdam, eine Stadt, in der 70% der jungen Einwohner auf dem untersten Niveau des Bildungssystem (VMBO) abschließen, das unter einer Rekordzahl von Schulabbrechern leidet, und sich trotzdem das Label einer Creative City für alle gibt. Amsterdams Metamorphose in Richtung einer unternehmerischen Stadt hat bedenkliche soziale Folgen. Während die Stadt sich außerhalb nach Investitionen und Talent umsieht, wird die lokale Bevölkerung überflüssig, wenn sie nicht produktiv ist oder ihre Kreativität nicht genügend vermarkten kann. Diese überschüssige Bevölkerung wird durch die Stadterneuerungsoffensive langsam in Richtung Peripherie verdrängt. Dieses »urbane Facelifting« dreht sich genauso um das Entfernen von sozialem Gewebe, wie es sich bei plastischer Chirurgie um das Entfernen von Fettgewebe dreht.
In einem kürzlich erschienenen Artikel der Immobilienzeitschrift Real Estate Magazine13 können wir mehr über die seltsamen, geheimen Absprachen von Grundbesitz und Kunst lesen. Dort steht: »Das Konzept der kreativen Stadt ist im Aufstieg. Manchmal geplant, manchmal gewachsen, aber bis heute immer dank der Immobilienentwickler.« Der Artikel beschreibt einen runden Tisch zum Thema Creative City, der von Immobilienunternehmern besucht und von René Hoogendoorn organisiert worden war. Sie leitet die Direktion der »Strategischen Projekte« bei ING Real Estate, dem Immobilienzweig eines der größten Bankenkonglomerate der Niederlande. »Strategische Projekte« bedeutet laut Hoogendoorn, dass sie die Entwicklung von Projekten initiiert, die »Seele« brauchen; den Geschäftsbezirk Zuidas und das Gelände von Overhoeks, die Sanierung in den nördlichen Hafenvierteln auf dem Gebiet der alten Shell-Fabrik. Sie kombiniert diese Funktion mit einer Beratungsstelle in der Rietveld Kunst-Akademie, mit der Abteilung für räumliche Planung der Arbeitgebervereinigung und mit einer Tätigkeit als führendes Mitglied des Amsterdam Creativity Exchange, eines Vereins zum »Kreativitätsaustausch in Amsterdam«, der im Rahmen der Creative City-Strategie subventioniert wird und der in seinen eigenen Worten »ein Forum schaffen will, in dem Geschäft und Kreativität einander begegnen«.14 So ist es kein Zufall, dass die letzte Sitzung des Clubs in den leeren Shell-Büros des Overhoeks Geländes stattfand, und dass auf diese Weise bereits ein Vorgeschmack der dringend benötigten »Seele«15 zu spüren war. Im bereits genannten Artikel erklärt Hoogendoorn, dass ING Real Estate in Kunst und Kultur bis zu dem Punkt investiert, an dem sie den Wert der umgebenden Immobilien erhöhen. Interessante Beispiele sind die Finanzierung von Platform 21, des Designmuseums im Zuidas-Viertel, oder das Sponsoring des Post-Hausbesetzer-Performancefestivals Robodock in den Hafenvierteln im Norden der Stadt. Hogendoorn und andere Immobilienentwickler kämpfen noch mit der Frage, »wie man im Voraus den Nettowert des zukünftigen Mehrwerts von Kultur« festsetzt. Was zeigt, dass es bis zur endgültigen Kolonisierung der Kultur noch ein bisschen dauern wird.
Eine andere interessante Ankündigung im Artikel ist, dass Immobilienentwickler jetzt allmählich begriffen haben, dass die kulturelle »Software« für die erfolgreiche Realisierung der Immobilien-»Hardware« wichtig ist. Kulturinstitutionen und temporäre Kunstprojekte erzeugen »Verkehr« und erlauben es Entwicklern, Grundstücke »dem Geschmack der Zeit anzupassen«: »Es geht darum, Raum zu erschaffen! Was man nicht tun sollte, ist die öffentliche Ankündigung, dass Sie Künstler hereinbringen werden; stattdessen geben Sie ihnen das Gefühl, dass sie selbst daran gedacht haben. Wenn das organisch wächst, steigen auch die Niveaus organisch an«.16 Es ist außerdem interessant, dass die Unterscheidung zwischen urbaner »Software« und »Hardware« zu Beginn als Architekturausdruck von der Pop-Art Architekturgruppe Archigram geprägt wurde:
»Die wesentlichen Elemente, die die Stadt kennzeichneten, lagen nicht darin, was dauerhaft stand: die gebauten Wände, die Innenraum definierten, indem sie ihn vom Äußeren trennten. Diese relativ beständige Konfiguration war nicht mehr als ein Hintergrund, in dem Tätigkeiten oder ›Momente‹ stattfanden – und das waren die wahren Ausdrücke der städtischen Umwelt. Kurz gesagt wurde die Stadt nicht mehr als feste Architektur gesehen (die sofort die kybernetische Bezeichnung von ›Hardware‹ annahm), sondern als Menschen und die Situationen, die sie verursachen (die immaterielle ›Software‹17).«
Mit Zeitgenossen wie der italienischen Gruppe Archizoom und Publikationen wie Rabans Soft City18 richtete Archigram eine Kritik gegen die Planung des Modernismus, die von oben nach unten erfolgte, und brachte das eher organische Konzept der Stadt als lebenden Organismus vor. Das Urbane erwarb folglich seine zeitgenössische Computeranalogie, der zufolge die städtische Software die soziale »Programmierung« der Stadt ist und die Hardware ihre »Infrastruktur«. Ähnlich der Situationistischen Internationale (SI) – die mit einer Herangehensweise von unten nach oben durch die Schaffung von »Situationen« experimentierten, durch Psycho-Geographie und dérive – wurden subjektive, organische und Bottom-up-Herangehensweisen ein Brennpunkt für utopischen Urbanismus.19
Wie weiter oben durch die Immobilienentwickler gezeigt, verwendet die Creative City-Strategie diese Hardware-Software-Dialektik daher intrinsisch in der Stadtentwicklung. Natürlich können wir dies beklagen, aber ist es nicht interessanter, dem Ausdruck städtische Software neue Bedeutung einzuflößen? Was, wenn wir das utopische Denken von heute, das sich mit freier Software beschäftigt, mit dem älteren kritischen Gedankengut zum Urbanismus vermischen? Es gibt eine erstaunliche Ähnlichkeit von älteren Ideen über Urbanismus und zeitgenössischen Ideen zum Thema Open Source. Wenn man einen weiteren Blick auf Constant Nieuwenhuys New Babylon wirft, eine Umgebung, die ununterbrochen durch ihre kreativen Bewohner rekonfiguriert werden kann, ist dies dann nicht eine perfekte Metapher für eine Open Source-Gesellschaft? In den Sechzigern formulierte der französische Urbanist Henri Lefebvre, dessen Ideen eine gesamte Generation der städtischen Bewegungen anspornten, ein Recht auf die Stadt – und zwar in Worten, die gegenwärtig an die digitale Domäne gerichtet zu sein scheinen: »Das Recht der Stadt bedeutet das Recht der Bürger und der Stadtbewohner, […] in allen Netzen und in den Schaltkreisen der Kommunikation, der Information und des Austauschs zu erscheinen«.20 Wir müssen uns wieder vorstellen, wie eine Creative City aussehen würde. Und was das zu erfordern scheint, ist ein Open Source-Urbanismus.